Donnerstag, 29. Juni 2017

Mary Poppins (Musical) - Rezension

2004 feierte das "Disney"-Musical "Mary Poppins" Weltpremiere am Londoner West End. Seit Oktober 2016 läuft es nun erstmalig in Deutschland im Stuttgarter "Apollo Theater". Als eingefleischter Musicalfan wollte ich das Stück schon eine ganze Weile lang sehen. Am 25. Juni war es endlich soweit. Wer ebenfalls Interesse an "Mary Poppins" hat, kann sich freuen. Es läuft zwar gerade in Stuttgart aus, doch danach zieht es direkt weiter in Deutschlands Musical-Metropole Hamburg. 
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass sich meine Rezension ausschließlich auf die Nachmittagsvorstellung am 25. Juni 2017 und deren Besetzung bezieht. Die Bilder im folgenden Post sind offizielle Promofotos und zeigen nicht zwangsläufig die Stuttgarter Produktion oder die Besetzung, die ich gesehen habe.

Zwischen Buch und Film

Momentan noch in Stuttgart, bald in Hamburg
Foto: Katrin Mertens
Mary Poppins ist ein Kindermädchen, das eines Tages bei der Londoner Familie Banks auftaucht. Die Eltern sind mit der Erziehung ihrer beiden Kinder Jane und Michael überfordert und nehmen gerne die Hilfe der Nanny an, nachdem etliche Vorgängerinnen bereits gekündigt haben. Schnell bemerken Jane und Michael, dass Mary Poppins kein gewöhnliches Kindermädchen ist. Sie hat magische Fähigkeiten und kennt allerlei ungewöhnliche Menschen. 
Die Geschichte hat sich die australische Autorin P. L. Travers ausgedacht. Zwischen 1934 und 1988 veröffentlichte sie mehrere Bücher mit ihrer außergewöhnlichen Protagonistin. 1964 brachte "Disney" einen Spielfilm heraus, der lose auf den Geschehnissen des ersten Romans beruht. Travers war mit dem Ergebnis nicht zufrieden und weigerte sich die Filmrechte der anderen Bücher zu verkaufen.

v.l.: Jane, Bert, Michael und Mary auf dem Dach
Foto: Stage Entertainment
Das Musical folgt größtenteils der Handlung des "Disney"-Films, enthält jedoch auch Teile der Originalgeschichte, die es nicht in die Verfilmung geschafft haben. Am besten hat mir hier gefallen, dass Mary Poppins deutlich strenger ist. Travers hat am Film vor allem bemängelt, dass ihr striktes, eitles und uneinsichtiges Kindermädchen viel zu süßlich und lieb gewesen sei. Im Musical hat die Protagonisten einen großen Teil ihrer Strenge zurück erlangt. Sie verschwindet beispielsweise einfach, als sie das Gefühl hat, dass Jane und Michael undankbar sind und nimmt das Spielzeug der beiden mit. Als Kind habe ich den Film gerne geguckt, fand es aber immer seltsam, dass die Nannys in Scharen vor den Banks-Geschwistern geflohen sind. Die wirkten immer so brav und niedlich. Im Musical sind sie das auf gar keinen Fall. Michael ist frech und vorlaut, während Jane jeden herumkommandiert und auf Menschen herabsieht, die einer niedrigeren sozialen Schicht angehören.
Tanzszene in der "Gesprächsstoffhandlung"
Foto: Stage Entertainment
Es wird ebenfalls auf die Jugend der Banks-Eltern eingegangen, wodurch die Probleme der Familie im Musical deutlicher und greifbarer werden als im Film. Dennoch gibt es auch Änderungen, die mich gestört haben. So ist Mrs. Banks keine Suffragette, also Frauenrechtlerin, mehr, sondern eine ehemalige Schauspielerin, die sich nur noch ihrem Mann und dem Haushalt widmet. Das ist leider ein Schritt in die falsche Richtung - hin zu einer veralteten Denkweise, gegen die im Film von 1964 noch protestiert wurde. Diese altmodische Entwicklung ist auch seltsam, da die restlichen Szenen sehr bunt und überdreht sind. Die Sequenz mit den Karussellpferden wurde beispielsweise durch eine Erzählung aus dem Buch ersetzt, in der Mary Poppins mit den Kindern die "Gesprächsstoffhandlung" von Mrs. Corry besucht. In einer farbenfrohen Tanzsequenz bilden die drei hier das berühmte Wort "Supercalifragilisticexpialigetisch" aus Buchstaben, die sie in dem Laden gekauft haben. Ich persönlich hatte das Gefühl, dass die einzelnen Szenen zum Teil etwas zusammenhangslos sind und die eigentliche Kernhandlung aus dem Fokus gerät. Besonders das Ende wirkt eher gehetzt. Das Verhalten der Hauptcharaktere dreht sich viel zu schnell und ohne Erklärung um 180 Grad. Das ist nicht sonderlich glaubhaft und schwächt die Moral der Geschichte, da nicht deutlich herausgearbeitet wird, was die einzelnen Mitglieder der Familie Banks zum Umdenken bewegt hat.

"Völlig ohne Fehler"

Mary Poppins ist vollkommen perfekt
Foto: Stage Entertainment
So heißt das Lied, mit dem sich Mary Poppins bei den Kindern vorstellt. Darin bezeichnet sie sich mehrfach als "völlig ohne Fehler", "perfekt" und "anständig". Dass Jane und Michael ihr hochmütiges Verhalten bald nachäffen, kann man ihnen kaum verdenken. Obwohl Mary eigentlich die Hauptperson der Geschichte ist, habe ich das Gefühl, dass sie nur sporadisch im Fokus steht. Die Familie Banks und auch Bert scheinen deutlich präsenter zu sein. An den Darstellern liegt das jedoch nicht. Ausnahmslos alle haben in meinen Augen tolle, passende Stimmen und stellen ihre Rollen mit großer Freude dar. Allen voran Masha Karell als Miss Andrew, das eiskalte, ehemalige Kindermädchen von George Banks, das nun auf dessen Kinder aufpassen soll. Karell spielt die grausame Nanny so herrlich böse und gruselig, dass man die Angst der anderen Charaktere gut nachvollziehen kann. Besonders spannend ist die Szene, in der Miss Andrew Mary Poppins begegnet. Die jüngere Frau jagt ihre bösartige Konkurrentin mit Magie aus dem Haus. Hier zeigt sich eine andere Facette der titelgebenden Hauptfigur. Denise Jastraunig, Darstellerin von Mary Poppins, lässt ihre Rolle beinahe so unheimlich und gnadenlos wirken wie Gegenspielerin Miss Andrew. Außerdem hat sie eine angenehme Gesangsstimme, die sowohl herrisch ("Spielt euer Spiel") als auch sanft ("Die Vogelfrau") und gelöst ("Supercalifragilisticexpialigetisch") klingen kann. Dasselbe gilt für David Boyd ("Bert"), Livio Cecini ("George Banks") und Jennifer van Brenk ("Winifred Banks"). 
Mit Gesang macht das Aufräumen mehr Spaß
Foto: Theatre Royal Plymouth
Besonders in Erinnerung bleiben die beiden Kinderdarsteller: Namira Reber als Jane und Zinedine Strasser als Michael Banks. In den meisten Musicals wird auf minderjährige Rollen verzichtet. In den wenigen, die es gibt, fungieren Kinder meist nur als schmückendes, vorwiegend stummes Beiwerk, das nur für einige große Ensemblenummern auf die Bühne geholt wird (beispielsweise "Florian" in "Ich war noch niemals in New York") oder als junge Version der Hauptcharaktere, die gänzlich verschwindet, sobald die Rolle erwachsen ist (beispielsweise "kleine Nala" und "kleiner Simba" in "Der König der Löwen"). Jane und Michael Banks sind jedoch in vielen Szenen und Tanznummern dabei und haben eigene Songs. Namira und Zinedine wirken sehr sicher und harmonieren toll mit ihren älteren Kollegen. Obwohl sie lieb und niedlich wirken, spielen sie die verwöhnten, hochnäsigen und frechen Seiten ihrer Figuren so überzeugend, dass man sie in diesen Szenen gerne maßregeln möchte. Ein großes Lob auch für die bunte, internationale Zusammensetzung des ganzen Ensembles, das man dennoch ohne jegliche Probleme verstehen kann.


Tolles Bühnendesign trifft auf mittelmäßigen Soundtrack

Noch ohne Requisiten: Das Haus der Familie Banks
Foto: Disney Video
"Mary Poppins" besticht vor allem durch die Optik. Neben den farbenfrohen Kostümen, fällt besonders das Bühnenbild ins Auge. Das Stück beginnt mit einem atemberaubenden Sternenhimmel und den Schornsteinen auf Londons Dächern. Danach wechselt das Setting vor allem zwischen dem Park, der mit lediglich einem Metalltor und einer Statue relativ unspektakulär aussieht und dem Zuhause der Familie Banks. Das ist ein großes, aufklappbares Puppenhaus, das sich drehen lässt und verschiedene Räume offenbart. Alles ist liebevoll detailliert gestaltet und passt vom Stil her perfekt zu den 1910er Jahren, in denen die Geschichte spielt. Auch die Effekte sind toll. Der Kamin im Kinderzimmer katapultiert jeden, der in ihn hineinklettert, sofort aufs Dach und das Küchenequipment kann in wenigen Sekunden kaputt gehen und sich wieder selbst reparieren. Besonders die Szene, in der Mary Poppins Miss Andrew eine Lektion erteilt, ist toll choreografiert. Die Bühne nimmt verschiedene Farben an, je nachdem welche der Frauen gerade die Oberhand hat. Weiterhin lässt Mary ihre Gegenspielerin durch die Gegend wirbeln und zwingt sie mit Magie in einen Käfig. Die Effekte sind herrlich unheimlich, weshalb es verständlich ist, dass das Musical ab einem Alter von 7 Jahren empfohlen wird und Kinder unter 3 Jahren keinen Zutritt haben. 
Mary (r.) erteilt Miss Andrew eine Lektion
Foto: Pacific Conservatory Theatre
Was mich am Stück deutlich gestört hat, war der Soundtrack. Die meisten Songs aus dem "Disney"-Film wurden zwar übernommen, aber etwas abgeändert. Der Text von "Supercalifragilisticexpialigetisch" besteht beispielsweise zu einem großen Teil aus dem Buchstabieren des Wortes, was nach der vierten oder fünften Wiederholungen langweilig wird. Auch die Position der Songs ist anders. Das Stück "Drachensteigen" wird beispielsweise am Ende des Films von der endlich vereinten Familie Banks gesungen. Im Musical kommt es bereits zu Beginn des zweiten Akts vor und ist hier ein Duett zwischen Bert und den Kindern, was dem Lied den emotionalen Kontext der glücklichen Familie nimmt. Da ein Bühnenmusical aus deutlich mehr Songs besteht, als ein Film, wurden etliche neue Lieder, darunter "Völlig ohne Fehler" und Miss Andrews Solo "Krautsaft und Fischöl", geschrieben. Für mich war davon leider keins auch nur annähernd so berührend oder eingängig wie die Musikstücke aus dem Film. Da einige Handlungsstränge im Musical fehlen, sind auch die dazugehörigen Lieder gestrichen worden, darunter "Wir sind die Kämpfer fürs Frauenrecht" und "Ich lach so gern". Ich habe mich daher gefreut, dass mein Lieblings-"Mary Poppins"-Stück "Die Vogelfrau" weitestgehend unangetastet blieb. 

Fazit

"Mary Poppins" ist ein farbenfrohes, verrücktes und familienfreundliches Musical. Fans des "Disney"-Films sollten sich bewusst sein, dass das Stück kein eins zu eins Remake ist, sondern sich nur im Kern an der Verfilmung orientiert. Liebhaber der Originalgeschichten werden sich hingegen freuen, dass das Musical deutlicher auf P. L. Travers Vorstellungen eingeht als der Film. Die Handlung ähnelt dem Aufbau der "Mary Poppins"-Bücher: Einige kurze Erzählungen anstelle eines einzigen Abenteuers mit rotem Faden. Das ist schade, da man so wenig über die Charaktere und ihre Entwicklung erfährt. Sie bleiben einseitig - genau wie der Soundtrack. Viele der bekannten Lieder aus dem "Disney"-Film wurden leider verändert, um vom Stil her zu den neuen zu passen. Dennoch bleiben Melodie und viele Refrains gleich, sodass man noch immer mitsingen kann. Vor allem visuell besticht das Musical - durch tolle Projektionen, eine übers Publikum fliegende Protagonistin, wunderschöne Bühnenbilder und allerhand magische Effekte. Letztendlich ist "Mary Poppins" nicht das beste Musical aus dem Hause "Disney": Nicht so berührend wie "Der König der Löwen" und nicht so ein schöner Soundtrack wie bei "Tarzan", doch mit Stücken wie "Aladdin" und "Die Schöne und das Biest" hält es durch seine tolle Optik, den Humor, die bekannten Kindheits-Melodien und den ansteckenden Enthusiasmus der talentierten Darsteller locker mit.


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Für alle Interessierten, hier noch der Trailer:



Dienstag, 27. Juni 2017

Schlafende Geister (Kevin Brooks) - Rezension

"Schlafende Geister" ist der erste Band der Detektiv-Craine-Reihe von Kevin Brooks, die in England spielt und sich um den britischen Privatdetektiv John Craine dreht. Das Buch ist 2011 im englischen Sprachraum unter dem Originaltitel "A Dance of Ghosts" erschienen. Noch im selben Jahr wurde die deutsche Ausgabe, die 397 Seiten umfasst, im Deutschen Taschenbuch Verlag ("dtv") veröffentlicht.

Bisher kannte ich Brooks durch seine Jugendbücher (zum Beispiel "Lucas", "The Road of the Dead", "iBoy", "Candy", ...) von denen ich fast alle gelesen habe. Da mir diese Geschichten immer gefallen haben, bin ich letztendlich auch auf seine Kriminalromane aufmerksam geworden, obwohl ich Bücher dieses Genres eher selten lese.

In diesem ersten Band wendet sich eine verzweifelte Mutter an John Craine und beauftragt ihn, nach ihrer verschwundenen Tochter Anna Gerrish zu suchen. Sie ist der Meinung, dass die Polizei zu wenige Nachforschungen betreibt und sieht Craine als letzte Chance. Als er mit seiner Arbeit beginnt, mischt sich plötzlich Detective Chief Inspector Mick Bishop ein, der über jeden Schritt des Privatermittlers informiert werden möchte. Bishop und der Fall holen bei Craine einige schmerzhafte Erinnerungen an die Oberfläche zurück. Darunter auch die brutale Ermordung seiner Frau Stacy vor 17 Jahren, die er noch immer nicht verarbeitet hat. Bei seinen Ermittlungen stößt der Privatdetektiv allerdings auf weitaus mehr als nur Hinweise zur Vermissten und macht sich dabei Feinde.


Ein Fall, der die Vergangenheit zurückholt

Ein Roman voller Korruption und Lügen
Foto: dtv
Tatsächlich wird aus der Suche nach Anna Gerrish bald ein Mordfall und darüber hinaus zu einer deutlich größeren, bedrohlicheren Geschichte, was die Spannung immer weiter ansteigen lässt. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht und konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Insgesamt ist "Schlafende Geister" eine recht klassische Detektivgeschichte und daher nicht vollkommen außergewöhnlich und innovativ. Aber das habe ich auch nicht erwartet. Ich wollte einen packenden, gut geschriebenen Krimi und das ist “Schlafende Geister“ definitiv. Der Fall ist größtenteils realitätsnah und erzählt eine Geschichte, die sich so wirklich ereignen könnte. Fesselnd bleibt das Buch auch durch Brooks Schreibstil, der temporeiche Dialoge und präzise Schilderungen enthält. Dabei wird die ganze Geschichte aus der Sicht von Craine erzählt, wodurch man immer sehr nah am Geschehen ist. Er überzeugt außerdem mit einer ehrlichen und direkten Erzählweise. So werden beispielsweise die schlechten Lebensumstände der Vermissten nicht mit schönen Umschreibungen verziert, sondern ohne Umschweife so dargestellt, wie sie sind. Und auch John Craine wirkt durch die Wortwahl von Brooks nicht wie der perfekte, heldenhafte Detektiv, sondern wie ein normaler Mensch mit Fehlern und Schwächen. (Craine über die Vermisste: "Keinen hatte ihr Schicksal gekümmert. Und ich kann nicht mal sagen, dass es mich kümmerte. Irgendetwas trieb mich an, aber ob es Anna Gerrishs Geist war oder der quälende Widerhall von Stacys Tod oder nur meine eigene Wehmut und mein Selbstmitleid [...] ich wusste es nicht."). Als Protagonist ist er sehr angenehm, da seine Handlungen meist schlau und nicht zu voreilig sind. Umso ärgerlicher sind dann allerdings die wenigen Momente, in denen Craine diese Eigenschaften verliert. Er sucht beispielsweise sein Büro auf, obwohl er weiß, dass er verfolgt und überwältigt werden könnte. Da hätte ich ihm am liebsten zugerufen: "Was tust du denn da?" Ansonsten überwiegen seine cleveren Schlussfolgerungen und Verhaltensweisen aber eindeutig. Als man beispielsweise als Leser schon glaubt, dass ihm eine wichtige Information geklaut wurde, überrascht er einen. Denn er hat mit so einem Szenario gerechnet und trägt die Information auch nach dem Verlust bei sich, nur in anderer Form. Der grausame Mord an seiner Frau zeichnet ihn allerdings noch bis heute und auch das wird von Brooks thematisiert, da Craine in belastenden Momenten gerne zum Alkohol greift. Diese Aspekte, aber besonders die Rückblicke zu der Zeit, als seine Frau ermordet wurde, zeigen, durch welche Hölle er gegangen ist. Sie machen ihn außerdem als Figur vielschichtiger. Es kommen zudem Details seiner Vergangenheit ans Licht, die nicht nur dem Fall, sondern auch seinem Charakter, einen neuen, düsteren Aspekt verleihen. Darüber hinaus sind auch alle anderen Figuren in diesem Roman toll ausgearbeitet. Vor allem Stacy Craines Neffe Cal, Spezialist in Sachen Computer und Hacking, hat mir gut gefallen, besonders weil er nicht als wandelndes Klischee eines Informatik-Nerds dargestellt wird. Cal ist kein eingebildeter Charakter, und gibt mit seinen Fähigkeiten nicht ununterbrochen an. Er wirkt sehr sympathisch, da er seinem Schwiegeronkel gerne hilft und man merkt, wie eng die Beziehung zwischen beiden ist (Craine: "Was schulde ich dir?" [...] Cal: "Ja ... also ... denk einfach dran, was ich dir gesagt hab, okay? Ich arbeite gern mit dir. Ich vermisse es, wenn du nicht vorbeikommst."). Die gemeinsamen Aktionen mit ihm und dem Privatdetektiv, bei denen sie gerne mal das ein oder andere Gesetz brechen, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, haben sowohl unterhaltsame als auch sehr emotionale Aspekte. Stacy Craines Tod nimmt beide trotz der vielen vergangenen Jahre noch sehr mit und das wird immer mal deutlich ("Wir sahen uns beide eine Weile schweigend an und ich wusste, dass wir beide dieselbe Leere spürten, die verzweifelte Gewissheit, dass Stacy nicht da war und nie mehr da sein würde.").
John Craines Gegenspieler Mick Bishop, der sich in den Auftrag des Privatdetektivs einmischt, trägt auch dazu bei, dass die Spannung aufrecht erhalten bleibt. Er ist nicht nur unausstehlich, korrupt und unberechenbar, sondern hat auch noch eine machtvolle Position als Detective Chief Inspector bei der Polizei inne, die er geschickt zu nutzen weiß. Dadurch kann er machen, was er will, was er Craine immer wieder spüren lässt, indem er den Detektiv in seiner Arbeit behindert oder sogar offen bedroht. Man weiß nie, wann Bishop wieder auftaucht, wodurch eine beunruhigende Stimmung geschaffen wird. Über den gesamten Roman hinweg, ist er nur sehr schwer einzuschätzen und wirkt, als wäre er zu allem fähig. Bishop hat außerdem Verbindungen zur Vergangenheit des Privatdetektivs, da er mit Johns verstorbenen Vater zusammen bei der Polizei gearbeitet hat. Das gibt der Geschichte noch einen interessanten Aspekt und der Beziehung der beiden Charaktere mehr Tiefe.

Viele Wendungen und überraschende Auflösung

Der gesamte Aufbau des Romans gefällt mir sehr gut, da der Fall als vermeintlich kleiner beginnt, sich aber mit jeder neuen Erkenntnis zu einer Geschichte voller Korruptionen und Lügen entwickelt. Man kann viel Miträtseln, wird aber letztendlich auch sehr oft überrascht. Zwar gibt es vereinzelt Stellen, die voraussagbar sind, der gesamten Handlung jedoch kaum etwas von der Spannung nehmen. Im Gegensatz dazu sind die großen Wendungen nämlich umso unvorhersehbarer. Ab dem Moment, als Craine zum ersten Mal zu spüren bekommt, dass jemandem seine Nachforschungen nicht gefallen, wird die Handlung immer aufregender und es tauchen immer mehr Twists auf.
Der Roman ist unterteilt in zwei große Abschnitte. Am Ende des ersten Teils wird die Leiche der Vermissten gefunden, was nicht wirklich überraschend ist. Dabei kommt es zu einer der besten Wendungen in dieser Geschichte. Dem Leser wird eine Person als Mörder präsentiert, von der man sicher weiß, dass sie dazu nicht imstande gewesen sein kann. Das sorgt dafür, dass weiterhin keine Langeweile aufkommt, weil man ununterbrochen mitfiebert und rätselt. Im zweiten Teil kommt es zwischen Craine und seinen Gegenspielern zu einer aufregenden Hetzjagd, bei der ich das Buch kaum weglegen konnte. Vor allem die Auflösung gegen Ende des Romans hält noch einmal eine schockierende Offenbarung bereit, die ich nicht erwartet habe. Dabei wird der Leser Stück für Stück zur Wahrheit geführt und kann die Puzzlestücke gemeinsam mit Craine zusammensetzen. Das hat mir besonders gut gefallen, da nicht einfach eine Erklärung präsentiert wird, die man sich im Nachhinein zusammenreimen muss, sondern alles nachvollziehbar ist. Der endgültige Täter wird für mich dann aber doch unnötig grausam geschildert. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass der Autor zum Ende nochmal richtig schocken wollte. So wird beispielsweise die Wohnung des Mörders beschrieben und die Grausamkeiten, mit denen man dort konfrontiert wird, wollen gar nicht enden. Auch ohne diese Übertreibungen wäre der Täter sicherlich noch genauso beängstigend gewesen. Es ist besonders die kalte Unberechenbarkeit, die diesen Charakter auszeichnet und den Showdown zwischen ihm und Craine so nervenaufreibend macht. Selbst der Privatdetektiv als Protagonist wirkt hier nicht sicher. Somit hat mich diese Geschichte bis zum Schluss gefesselt.

Fazit

Mit "Schlafende Geister" beweist Kevin Brooks, dass er nicht nur tolle Jugendbücher schreiben kann. Auch im ersten Band seiner John-Craine-Reihe überzeugt der Autor mit einem fesselnden, direkten Schreibstil und erzählt eine Geschichte die mich von Anfang bis Ende nicht losgelassen hat. Der Roman beinhaltet einen spannenden Kriminalfall, der auch ohne übertrieben verstörende Elemente Spannung erzeugt und im Verlauf des Buches immer komplexer wird. Getragen wird die Handlung außerdem von den tollen Charakteren, die vielschichtig und abwechslungsreich sind. Selbst John Craines Gegenspieler erhält genug Facetten, um interessant und beängstigend zugleich zu wirken und dabei für einige überraschende Momente zu sorgen. Auch das Ende hält eine ausgefallene Auflösung bereit und trotz etwas überzeichnetem Täter kommt es zu einem tollen Showdown. Als Gelegenheits-Krimi-Leserin hat "Schlafende Geister" für mich eine tolle Kriminalgeschichte mit einem gut ausgearbeiteten Fall geboten.



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Sonntag, 25. Juni 2017

Rückblick: Die Sonntagskrimi-Saison 2016/2017

In der 2016/2017-Saison liefen insgesamt 44 neue Sonntagskrimis, davon 36 "Tatorte" und acht Mal "Polizeiruf 110" (die Rezensionen der Folgen von Mai und Juni findet ihr hier). Seit dieser Woche ist Sommerpause und die Zeit bis zu den neuen Episoden wird mit Wiederholungen überbrückt. Traditionell haben alle großen Medien das "Tatort"-Jahr noch einmal zusammengefasst: Welche Teams oder Kommissare aufgehört haben, wer keinen neuen Fall hatte (Falke zum Beispiel :/), das quotenstärkste Team (Überraschung! Es ist Münster.) und Co. 
Ich möchte die vergangene Saison auch Revue passieren lassen und die Folgen hervorheben, die mir am besten und am wenigsten gefallen haben - für den Sonntagskrimi insgesamt, da ich nicht verstehe, weshalb der "Polizeiruf" von den meisten ausgelassen wird.

Und die "Polizeiruf"-Saison!
Foto: Rheinische Post, 20.06.2017, S. C7

Meine Top-Krimis

Polizeiruf 110: Nachtdienst (München - von Meuffels; Mai 2017)

Von Meuffels und seine demente Zeugin
Foto: BR/die film gmbh /Hendrik Heiden
Eine verwirrte, ältere Dame meldet einen Mord in ihrem Pflegeheim. Das Personal behauptet jedoch, dass das Opfer an den Folgen eines Sturzes gestorben ist. Von Meuffels (Matthias Brandt) lässt nicht locker und ermittelt eine Nacht lang in dem Heim. Dabei wird ihm bewusst, mit welchen Problemen das unterbesetzte Personal zu kämpfen hat.

Ich bin kein Fan des Münchener Ermittlers Hanns von Meuffels, doch "Nachtdienst" war einer der besten "Polizeirufe", die ich je gesehen habe. Ein wenig beachtetes, aber unglaublich aktuelles Thema, grandiose Schauspieler und ein hochspannender Showdown. In diesem Krimi ist es von Vorteil, dass sich die Handlung fast ausschließlich auf das Heim und seine Bewohner konzentriert. So lernt man die Charaktere kennen und leidet mit ihnen. Selten hat mich ein Sonntagskrimi noch so lange nach der Ausstrahlung beschäftigt.


Tatort: Sturm (Dortmund - Faber, Bönisch, Dalay, Kossik; April 2017)

Ein gutes Team: Bönisch (l.) und Faber
Foto: WDR/Frank Dicks
Zwei Polizisten wurden auf ihrer nächtlichen Tour erschossen. Vor Ort bemerkt Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) Licht in einer Bankfiliale. Ein Mann arbeitet emsig am Computer - und trägt eine Sprengstoffweste. Während sich Faber zu ihm gesellt, versuchen seine Kollegen die Drahtzieher des geplanten Anschlags zu entlarven.

Mein Lieblings-"Tatort" in diesem Jahr kam aus Dortmund. Wie bei "Nachtschicht" hat mich hier vor allem der spannende, völlig unvorhergesehene Showdown und das Echtzeit-Gefühl gepackt. Normalerweise ist das Dortmunder Team am stärksten, wenn sie "gemeinsam" (also eigentlich mehr gegeneinander) arbeiten. Doch hier ist es gerade der Aspekt, dass sich alle vier Ermittler alleine durchschlagen und Sorgen umeinander machen, der den Krimi spannend hält. Besonders Aylin Tezel als "Kommissarin Nora Dalay" legt eine fantastische schauspielerische Darbietung hin, bei der man Gänsehaut bekommt. Zusammen mit dem aktuellen Thema (so aktuell, dass die Ausstrahlung nach dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt verschoben wurde) und dem, für das Dortmunder Team typischen, trockenen Humor, ein richtig guter "Tatort".


Tatort: Feierstunde (Münster - Thiel, Krusenstern, Boerne; September 2016)

Frau Haller kümmert sich um Boerne
Foto: WDR/Wolfgang Ennenbach
Rechtsmediziner Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) hat neue Fördergelder für seine Forschung bewilligt bekommen und feiert den Erfolg mit einigen Kollegen. Die ALS-Forschung von Prof. Harald Götz (Peter Jordan) ging hingegen leer aus, wofür sich der Wissenschaftler an Boerne rächen möchte und die ganze Party-Gesellschaft als Geiseln nimmt.

Ich kann den Hype um den Münsteraner "Tatort" nicht verstehen: Hat man einen gesehen, kennt man sie alle. Doch "Feierstunde" ist eine angenehme Ausnahme. Auf die üblichen Standardwitze und -sprüche wird weitestgehend verzichtet. Auch die nervigen Zickereien zwischen Boerne und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) fallen weg, da sich die beiden selten am selben Ort aufhalten. Stattdessen wird die Beziehung der Streithähne zu ihren sonst eher ins Abseits geschobenen Kolleginnen Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) und Silke "Alberich" Haller (ChrisTine Urspruch) vertieft. Durch die Geiselnahme und das nachvollziehbare Motiv des Mörders ist "Feierstunde" auch deutlich seriöser, spannender und glaubwürdiger als die meisten anderen "Tatorte" aus der Universitätsstadt.


Tatort: Wendehammer (Frankfurt a.M. - Brix, Janneke; Dezember 2016)

v.l.: Janneke und Brix mit einer Nachbarin
Foto: HR/Degeto/Bettina Müller
Ein Mann wird von seiner Nachbarin als vermisst gemeldet. Beide wohnen in demselben Wendehammer - genauso wie Nils Engels (Jan Krauter), der sein Einfamilienhaus in eine digital überwachte Festung verwandelt hat. Zwischen den Nachbarn herrscht schon lange ein Kleinkrieg. Ist der nun eskaliert?

In dieser Saison gab es viele Krimis, die digitale Vernetzung, Internet und Überwachung thematisiert haben. "Wendehammer" geht auf diese Aspekte nur am Rande ein. Im Fokus stehen die bodenständigen Streitigkeiten zwischen den skurrilen Nachbarn, darunter eine alternde Operndiva mit zwei Mops-Hunden und eine selbsternannte Hobbyermittlerin, die den Kommissaren waghalsige Mord-Theorien präsentiert. Durch die schrulligen Charaktere, den trockenen Humor des Frankfurter Teams und die clevere Auflösung des Vermisstenfalls ist "Wendehammer" ein weiteres Highlight der Saison.


Tatort: Borowski und das dunkle Netz (Kiel - Borowksi, Brandt; März 2017)

Borowski (Mitte) mit zwei Cybercrime-Beamten
Foto: NDR/Christine Schroeder
Der Leiter der Cybercrime-Abteilung des LKA wurde ermordet. Die Kommissare Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) kommen schnell auf die Spur eines Auftragskillers aus dem Darknet. Doch wer hat ihn angeheuert?

Wie in "Wendehammer" dreht sich auch dieser "Tatort" um das Internet und digitale Kommunikation. Allerdings liegt hier der Schwerpunkt auf diesem Thema, weshalb die Folge zum Teil wie einer Lehrvideo für Computeranfänger wirkt. Dennoch ist sie gut, da die Charaktere, besonders die beiden nerdigen Cybercrime-Beamten, sehr sympathisch und locker sind, anders als im letzten Krimi der Saison "Borowski und das Fest des Nordens". Der Killer ist herrlich gruselig und mysteriös, was die Spannung deutlich anhebt. Auch in diesem "Tatort" gibt es einen aufregenden Showdown, der zwar nicht unvorhergesehen kommt, aber dennoch unheimlich ist.


Polizeiruf 110: Angst heiligt die Mittel (Rostock - Bukow, König; Januar 2017)

König (r.) fordert einen Vergewaltiger (l.) heraus
Foto: NDR/Christine Schroeder

Eine Obdachlose wurde in einem kleinen Dorf brutal ermordet. Für die Anwohner steht fest: Die beiden kürzlich zugezogenen Sexualstraftäter sind die Schuldigen. Doch in ihren Aussagen finden sich zahlreiche Ungereimtheiten. Als einer der beiden Ex-Häftlinge stirbt und der andere verschwindet, vermuten die Ermittler einen Fall von Selbstjustiz.

Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander Bukow (Charly Hübner) stellen in diesem Fall zum wiederholten Mal unter Beweis, dass sie zu den besten Ermittlerteams Deutschlands gehören. Beide sind emotional kaputt und müssen sich in dieser Folge noch mehr Schwierigkeiten stellen. Auf ihre gewohnt ruppige Art gehen sie mit den herrlich unsympathischen Verdächtigen um und scheuen nicht vor direkter Konfrontation. Besonders der Showdown ist sehr eindrücklich und lässt einen auch nach 21:45 Uhr nicht los, ebenso wie das Thema Selbstjustiz und das Schicksal von Frau König, das in der darauffolgenden Folge "Einer für alle, alle für Rostock" erneut aufgegriffen wird.



Meine Flop-Krimis

Tatort: Taxi nach Leipzig (2016) (Norddeutschland - Borowski, Lindholm; November 2016)

v.l.: Lindholm, Borowski und ihr Entführer
Foto: NDR/Meyerbroeker
Die Hannoveraner "Tatort"-Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) und ihr Kieler Kollege Klaus Borowski steigen nach einem Seminar zusammen in ein Taxi. Der Fahrer Rainald Klapproth (Florian Bartholomäi) hat gerade erfahren, dass seine Exfreundin Nicki morgen seinen Erzfeind heiratet und verliert die Nerven. Er macht sich mit Lindholm und Borowski als Geiseln auf den Weg zu ihr.

Natürlich waren mit dem 1000. "Tatort" eine Menge Erwartungen verbunden, doch "Taxi nach Leipzig (2016)" wäre bei mir auch als reguläre Folge durchgefallen. Die Kommissare verhalten sich unnatürlich und nerven nach kurzer Zeit. Eine Logiklücke folgt auf die nächste und selbst der erfahrene "Tatort"-Bösewicht Florian Bartholomäi kann aus seiner platt geschriebenen Antagonisten-Rolle nur bedingt viel herausholen. Es ist auch schade, dass viele Chancen im Hinblick auf das Jubiläum vertan wurden. So gibt es zwar ein paar kleine Gastauftritte ehemaliger Ermittler, doch von den aktuell über 20 Teams sieht man nur Lindholm und Borowski, selbst dessen Partnerin Sarah Brandt fehlt. Außerdem ist die Handlung weder innovatives noch außergewöhnlich, was einem so bedeutenden Jubiläum einfach nicht gerecht wird.


Polizeiruf 110: Wölfe (München - von Meuffels; September 2016)

Eine Leiche mit Bissspuren gibt Rätsel auf
Foto: BR/Christian Schulz
Von Meuffels Kollegin Constanze Hermann (Barbara Auer) hat sich in einem Wellness-Center einquartiert, um ihre Alkoholsucht zu bekämpfen. Eines Nachts begegnet ihr im angrenzenden Wald eine Wolfsgestalt mit leuchtenden Augen. Zuerst glaubt Hermann an eine Wahnvorstellung, doch am nächsten Morgen wird in der Nähe eine Tote mit Bissspuren gefunden.

Ich habe so gut wie nie Probleme damit Handlungen zu folgen, doch dieser "Polizeiruf" ist dermaßen diffus, dass ich irgendwann fast aufgegeben habe. Die Liebesgeschichte zwischen von Meuffels und Hermann ist langweilig und lenkt vom Fall ab. Der wiederum wirkt eher wie ein schlechter Mystery-Horror-Thriller als ein Krimi. Nicht einmal das ist wirklich überzeugend gemacht, da weder Spannung noch Grusel aufkommen wollen. Spätestens bei der völlig unglaubwürdigen Auflösung kommt man sich endgültig verarscht vor. 


Tatort: Babbeldasch (Ludwigshafen - Odenthal, Kopper, Stern; Februar 2017)

Odenthal (l.) redet mit einer Toten
Foto: SWR/Martin Furch
Kommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) wird Zeugin wie Sophie Fetter (Malou Mott), die Leiterin des Mundarttheaters "Babbeldasch", während einer Vorstellung stirbt. Sie beginnt undercover unter den Theaterleuten zu ermitteln - angestachelt von der toten Sophie selbst, die der Kommissarin in ihren Träumen erscheint.

Die Handlung an sich ist sehr skurril und würde eher zum Münsteraner oder Weimarer Team passen. Die haben im Gegensatz zu "Babbeldasch" jedoch nicht den Anspruch seriös zu sein. Die Folge nimmt sich viel zu ernst, was bei der schrägen Handlungen und den amateurhaft vorgetragenen Dialogen einfach peinlich wirkt. Tatsächlich gab es für diesen "Tatort" nur ein grobes Skript. Der Text und viele Handlungen wurden von den Schauspielern, darunter viele Laiendarsteller, improvisiert. Die Idee selbst ist klasse und innovativ. Bei der Umsetzung wirkt das Ganze jedoch sehr unkoordiniert, da oft mehrere Personen gleichzeitig sprechen oder niemand, sodass ungewollte Pausen entstehen. Dazu kommen Odenthals fragwürdige Traumsequenzen und unnötige Privatgeschichten. Der Kampfspruch "BABBELDASCH GEHT WEITER!" verfolgt mich immer noch. Vor allem seit bekannt wurde, dass der zweite Impro-"Tatort" schon abgedreht ist. Yay.


Tatort: Es lebe der Tod (Wiesbaden - Murot, Wächter; November 2016)

Murot ist - mal wieder - der Schlüssel
Foto: HR
Ein Serienmörder hat bereits fünf Menschen in der Badewanne die Pulsadern aufgeschnitten. Kommissar Felix Murot (Ulrich Tukur) und sein Team stellen einen sechsten Mord nach, um den Täter aus der Reserve zu locken. Der Plan gelingt, doch vor seiner Festnahme hatte er bereits ein weiteres Opfer entführt: Die Tochter von Murots Kollegin Magda Wächter (Barbara Philipp). Die Ermittler müssen sich mit der Rettung beeilen, da die junge Frau in Lebensgefahr schwebt.

Noch ein experimenteller Krimi - im Gegensatz zu "Babbeldasch" wenigstens mit Drehbuch und für Murot-Verhältnisse sogar mit halbwegs plausibler Handlung. Dennoch konnte mich auch sein sechster Fall nicht überzeugen. Der Kommissar steht erneut im Fokus und um ihn herum wird eine krude Krimi-Handlung gesponnen, bei der der Mörder es mal wieder auf Murot abgesehen hat. Dafür, dass der Wiesbadener "Tatort" von vielen für seine innovativen Geschichten gelobt wird, ist das Grundkonzept in allen Folgen sehr ähnlich. Statt Spannung und Mördersuche wird eher Melodramatik und Selbstbeweihräucherung geboten.... Irgendwie erinnert mich das an etwas....


Tatort: Dunkelfeld (Berlin - Rubin, Karow; Dezember 2016)

Rubin (l.) und Hospitantin Anna eilen Karow zu Hilfe
Foto: rbb/Oliver Vaccaro
Im vierten Fall der Berliner Ermittler Robert Karow (Mark Waschke) und Nina Rubin (Meret Becker) wird der Mord an Karows Partner, der sich als roter Faden durch die vorherigen Folgen gezogen hat, endlich aufgeklärt. 

Nachdem das Rätsel um Karows toten Kollegen über drei Fälle gestreckt wurde, musste für den Showdown etwas Spektakuläres her. Also viel grobe Gewalt, einige Liter Blut und eine möglichst komplizierte Handlung. Was nicht wirklich clever ist, da zwischen den einzelnen Folgen des Teams jeweils etwa sechs Monate lagen und es dementsprechend ohnehin nicht einfach ist, die vollständige Vorgeschichte im Kopf zu haben. Die große Enthüllung werden halbwegs geübte Krimigucker auch schnell erahnen. Dazu kommen mal wieder Rubins Probleme mit ihrer Familie und eine alte Affäre von Karow wird auch noch ausgegraben. Insgesamt ein hektischer, konfuser und seelenloser "Tatort" aus der Hauptstadt.


Tatort: Der Tod ist unser ganzes Leben (München - Batic, Leitmayr; April 2017)

Die Kommissare sind in einer heiklen Situation
Foto: BR/X Filme/Hagen Keller
Den Ermittlern ist in der Folge "Die Wahrheit" ein brutaler Messerstecher entwischt. Da entkommene Mörder im Sonntagskrimi ein No-Go sind, erhalten die beiden Münchener Kommissare Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) und Ivo Batic (Miroslav Nemec) nun eine zweite Chance ihn dingfest zu machen. Schnell können sie einen Verdächtigen festnehmen. Doch bei seiner Überführung geht alles schief.

An sich ist der Fall eigentlich ganz in Ordnung, weshalb er dennoch auf der "Flop"-Liste steht: Er ist komplett chaotisch und unorganisiert. Es gibt viele Zeitsprünge, verschiedene Perspektiven, dazu noch einige große Logiklöcher... Dank unausgeglichener Ermittler, mäßiger Spannung und langweiliger Nebenhandlungen bietet dieser "Tatort" kaum Punkte, für die es sich lohnen würde, der Handlung folgen zu wollen. Dass der handfeste Streit der beiden Kommissare, der eine zentrale Rolle spielt, schon drei Wochen später in "Die Liebe, ein seltsames Spiel" vergessen ist, macht die Folge zusätzlich noch unglaubwürdig.


So, das waren die sechs Folgen, die mir in der vergangenen Saison am besten und am wenigsten gefallen haben. Wie sieht es bei euch aus? Welche Folgen sind euch positiv oder negativ im Gedächtnis geblieben? Und mit welchen Serien überbrückt ihr die Sommerpause? Schreibt eure Meinung gerne in die Kommentare.

Wir machen keine Sommerpause. Bei uns gibt es weiterhin Rezensionen und Posts zu verschiedenen Filmen, Büchern und Serien. Folgt uns auf Facebook, Twitter und Instagram, um weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.



Samstag, 24. Juni 2017

The Shannara Chronicles - Rezension

Die MTV Serie “The Shannara Chronicles” entstand 2016 aus dem Buch „Die Elfensteine von Shannara“ von Terry Brooks. In Deutschland kann man sie auf Amazon Video gucken. Es gibt bisher eine Staffel mit 10 Folgen. Eine weitere Staffel ist für Herbst 2017 geplant. 
Die Handlung spielt in einer postapokalyptischen Welt, in der die Menschheit sich in verschiedene Rassen wie Elfen, Trolle und Gnome entwickelt hat. Außerdem wurde die meiste Technologie zerstört bzw. vergessen, sodass die Leute wie im Mittelalter leben. Die Verschmelzung von futuristischen/postapokalyptischen und Fantasy/Mittelalter Aspekten, gibt der Serie einen sehr individuellen Look.
Foto: MTV
Die Geschichte handelt von den drei Teenagern Will (Austin Butler), Eretria (Ivana Baquero) und Amberle (Poppy Drayton). Will ist ein Halbelf, der mit seiner Mutter und seinem Onkel auf einer kleinen Farm groß geworden ist. Nachdem seine Mutter gestorben ist, bricht er auf, um die Kunst der Heiler zu erlernen. Auf dem Weg dorthin wird er von dem Vagabundmädchen Eretria erst gerettet und dann beraubt. Amberle, die Enkeltochter des Elfenkönigs, nimmt an einem Lauf teil um Hüterin des Ellcrys, einem mächtigen Baum, zu werden und gewinnt. In einer Vision sieht sie, dass ihre Welt von Dämonen und einem Zauberer bedroht wird. Um das zu stoppen, müssen Amberle, Will und Eretria die Samen des Ellcrys zu dem Blutfeuer bringen, von dem niemand weiß wo es genau liegt.


Erwartungen

Dass die Welt super aussieht, wusste ich schon vorher.
Foto: MTV
Meine Erwartungen, nachdem ich den Vortrag auf der MagicCon über die Special Effects gehört und mir den Trailer angeschaut habe, sind durchwachsen. Ein großer Pluspunkt der Serie ist für mich, wie cool alles aussieht. Die Effekte sind super gut gemacht, was nicht überrascht bei einer Firma, die an Game of Thrones mitarbeitet. "Fantasy“ ist mein Lieblingsgenre für Bücher und Filme, also ein weiterer Pluspunkt. Was mich nicht so anspricht, ist die Idee einer postapokalyspischen Welt. Ich kann mit Distopien wenig anfangen. Als ich mit einer Freundin darüber geredet habe, meinte sie, dass sie ein paar Folgen gesehen hat und die Serie langweilig fand. Die Serie hat nur 10 Folgen und da sie wirklich sehr hübsch aussieht, werde ich sie trotzdem anfangen zu gucken.

Nach 5 Folgen

Die Kostüme sind sehr cool. 
Foto: MTV
Ich habe jetzt die Hälfte der Serie geguckt. Eine Erwartung, die sich zu 100% bestätigt hat, war wie fantastisch die Serie aussieht. Nicht nur die Effekte, auch die Szenerie und der Hintergrund sind gut gemacht. Das Einzige, was mir komisch vorkommt, ist das hellrote Blut. Wobei die Personen ja keine normalen Menschen sind, also vielleicht ist es Absicht. Die Kostüme haben mir auch richtig gut gefallen. Sonst ist Kleidung in Fantasy eher mittelalterlich inspiriert, hier ist es modern bis futuristisch. Einer der Hauptcharaktere trägt z.B. eine Lederjacke. Am Anfang war es etwas komisch, weil es so anders ist, aber jetzt gefällt es mir sehr gut. 
Die Geschichte bewerte ich als durchschnittlich. Ich finde es in Fantasy schwer eine neue und unvorhersehbare Handlung zu haben. Meistens folgen sie der einfachen „Held geht auf eine Reise, um die Welt zu retten und das Böse zu stoppen“-Formel. So ist es auch bei Shannara. Eine kleine Abwechslung gibt es, weil es drei Hauptcharaktere auf dem Quest sind. Das bringt Vor- und Nachteile mit sich. Während das nervige „Ein Junge und ein Mädchen sind zusammen unterwegs und verlieben sich“ umgangen wird, gibt es dafür Dreiecksbeziehungs- und Eifersuchtsdrama.
Nicht nur die Hauptcharaktere sehen cool aus. 
Foto: MTV
Was ich schade finde, ist, wie wenig Zeit mit "World Building“ verbracht wird. Ich hätte auch gerne eine ausführlichere Vorstellung der Charaktere gehabt, vor allem der Nebencharaktere. Ich habe viel zu lange überlegt, wie sie miteinander verwandt sind (Wer von denen ist ihr Vater oder gibt es noch einen Bruder?).
Die einzige Sache, die mich abgrundtief an dieser Serie stört und weshalb ich sie nicht uneingeschränkt empfehlen würde: Die Charaktere. Ich habe noch nie überall so unfähige Personen in einer Serie gesehen. Man würde von einem Captain der Garde eigentlich erwarten, dass sie einem Angreifer gewachsen ist. Aber nein, keiner der "Guten" konnte dem Feind lange standhalten. Selbst in Kämpfen, in denen sie in der Überzahl sind, haben sie Probleme. Fehler werden entweder so oft gemacht, dass es sehr nervig wird oder sind vorhersehbar. Eine mächtige, böse Person, die angeblich tot ist, sollte nicht nur von einem Soldat bewacht werden! Ich würde gerne dahin reisen und den Leuten mal was von gesundem Menschenverstand erzählen.

Nach der Serie
v.l. Amberle, Will & Eretria 
Foto: Kirsty Griffin/ MTV
Ich habe die erste Staffel von“The Shannara Chronicles” fertig geguckt und war am Ende doch positiv überrascht. Die Charaktere haben sich gebessert bzw. sie hatten weniger Zeit für ihre irrsinnigen Entscheidungen. Sie sind aber auch im Laufe der Geschichte angenehm gewachsen. Einige Fehler haben sie aber VIEL zu oft gemacht. Ein wichtiger Gegenstand wurde einer Person von denselben Leuten fünf Mal  gestohlen. Irgendwann war es nur noch lachhaft. Es gibt nicht viele Personen, die für mehr als eine Folge relevant bleiben. Das macht die Handlung gradliniger und es gibt weniger Nebenplots. Für mich sind dafür die Charaktereinführungen viel zu kurz gekommen. Vor allem bei Nebencharakteren musste ich erstmal den Namen googlen. 
Für eine Teenager-Serie gab es wenig Liebesdrama.
Foto: MTV
Gut gemacht ist die Spannung. Es gibt keine langweiligen Folgen und es ist eigentlich immer etwas passiert. Das Liebesdrama hält sich in Grenzen. Ich hatte die Befürchtung, dass es in jeder Folge Dreiecks-Beziehungsdrama und Eifersucht zwischen den weiblichen Charakteren geben wird. Da hat Serie mich aber positiv überrascht. Während das Liebesdrama immer mal wieder aufkommt, bleibt es meistens im Hintergrund.
Eine Sache, die ich noch nicht überhaupt nicht erwähnt habe, sind die Schauspieler. Ich finde sie waren alle gut. Besonders die weiblichen Hauptcharaktere, gespielt von Ivana Baquero und Poppy Drayton, haben mir mit ihren verschiedenen Facetten und Emotionen gefallen.
Ich werde an dieser Stelle noch einmal von den Effekten und der Szenerie schwärmen. Wenn ihr die Serie nur dafür guckt, ist sie ihre Zeit wert. Auch in Sachen Kostüme und Maske ist es super schön gemacht. Durch die futuristisch angehauchte Welt sind die Kostüme neu und interessant. Entgegen meiner Erwartungen hat mir der Twist der postapokalyptischen Zeit mit am besten gefallen. Die Interaktionen der Hauptcharaktere und der früheren (unsere) Welt waren gut gemacht und wirkten nicht gestellt. 

Kann ich die Serie empfehlen?

Zusammenfassend würde ich sagen, die Serie ist einfach gestrickt. Charaktere und Handlung sind nicht kompliziert oder hoch innovativ. Durch ein paar neue Einfälle, wie z.B. Fantasy mit einer postapokalyptischen Welt zu verbinden, bleiben die alten Ideen dennoch interessant. Zwei Aspekte sind mir bei der Serie besonders aufgefallen, zum einen die Charaktere. Vor allem am Anfang fand ich sie alle unverständlich und unsympathisch. Im Laufe der Serie hat es sich gebessert. Entweder habe ich mich an ihre irritierende Art gewöhnt oder sie hatten weniger Zeit, um dumme Entscheidungen zu treffen. Zum anderen ist mir die gute Produktion drum herum aufgefallen. Ob es hochklassige Special-Effects sind, Kostüme, Masken oder die Szenerie, alles ist schön anzuschauen und fügt sich angenehm zu einer ästhetisch ansprechenden Serie zusammen.
Ich habe alles auf Englisch geguckt, daher kann ich nichts zu den deutschen Synchronstimmen sagen. Die Sprache in der Serie ist einfach zu verstehen. Ich würde sie auch für nicht-routinierte Englischsprachler empfehlen oder als erste Sendung auf Englisch. Insgesamt ist die Serie vor allem auf Teenager zu geschnitten. Sie ist gut geeignet für junge Leute, die Interesse an Fantasy haben, aber noch zu jung sind für z.B. Game of Thrones. Das heißt aber nicht, dass jeder über 18 es blöd finden muss. Man sollte nicht zu viel erwarten und vielleicht die eine oder andere Szene ignorieren. Dann ist "The Shannara Chronicles" eine schöne Serie, die perfekt für ein Wochenende in einer Fantasywelt ist. 


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Donnerstag, 22. Juni 2017

American Gods: Staffel 1, Folge 8 (Staffelfinale) - Rezension

- Der folgende Text enthält Spoiler -

In der vorherigen Folge "A Prayer for Mad Sweeney" wurde größtenteils eine Geschichte aus der Vergangenheit erzählt, während die Handlung in der Gegenwart nur wenig voran ging. Daher war ich wirklich gespannt, wie die letzte Folge "Come to Jesus" verläuft und ob es eine Konfrontation der Götter geben wird. Dazu kommt es tatsächlich, doch zuerst bekommt man Einblicke in die Vergangenheit der Liebesgöttin Bilquis (Yetide Badaki). Auch Mr. Wednesdays (Ian McShane) und Shadow Moons (Ricky Whittle) Reise geht weiter, ebenso wie die von Laura Moon (Emily Browning) und Mad Sweeney (Pablo Schreiber). Es geht für alle nach Kentucky zur Osterfeier der Frühlingsgöttin Ostara (Kristin Chenoweth). Dort tauchen die neuen Götter Media (Gillian Anderson) und Technical Boy (Bruce Langley) auf. Es kommt zwischen ihnen und Wednesday zu einer Auseinandersetzung und die Folge endet mit einigen Cliffhangern, nach denen die zweite Staffel gar nicht schnell genug kommen kann.

Interessante Göttinnen

Shadow (l.) und Mr. Wednesday erscheinen auf Ostaras Feier
Foto: starz
Zu Beginn erfährt man mehr Details zur Liebesgöttin Bilquis, die bisher nur zwei kurze Auftritte in vorherigen Episoden hatte. Im Unterschied zu den anderen Göttern, lernt man sie dadurch besser kennen, denn man sieht nicht nur ihre Blütezeit, sondern verfolgt auch mit, wie die Liebesgöttin immer weiter in Vergessenheit gerät. Ihr Charakter wird besser ausgebaut als manch anderer Gott, wie beispielsweise Vulcan (Corbin Bernsen) oder Czernobog (Peter Stromare), deren Vergangenheiten weniger ausführlich oder fast gar nicht behandelt wurden. 
Bilquis hat insgesamt nur sehr wenig Dialog, bringt dem Zuschauer aber viele Emotionen und Gedanken allein durch ihre Mimik nahe. Als sie durch Zufall in den Nachrichten sieht, wie ihr Tempel, in dem sie um 600 v. Chr. verehrt wurde, zerstört wird, zeichnen sich alle ihre Gefühle im Gesicht ab: Fassungslosigkeit, Schmerz, Trauer, all das wird Yetide Badakis Schauspiel greifbar.
Bilquis war einst sehr mächtig
Foto: starz
Zu Beginn habe ich mich gefragt, wieso sie im Staffelfinale diese Aufmerksamkeit bekommt. Das hat sich geändert, als Technical Boy erscheint und ihr durch eine Dating App dazu verhilft, wieder Menschen zu finden, die sie lieben und verehren. Ähnlich wie Vulcan hat sie die Hilfe der neuen Götter in der Vergangenheit entgegengenommen und ist ihnen nun etwas schuldig. Da der Krieg gegen die alten Götter unausweichlich scheint, ist schnell klar, dass sie sich daran beteiligen soll. Ich bin allerdings sehr gespannt, welche Kräfte Bilquis zu bieten hat. Bis jetzt hat man nur gesehen, dass sie Menschen verführt, mit ihnen schläft und sie danach mit ihrer verschlingenden Vagina in sich aufnimmt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Methoden im Kampf viel nützen. Meiner Meinung nach muss sie aber eine wichtige Rolle spielen, da ihr so viel Aufmerksamkeit zuteil wird und die neuen Götter sie auf ihrer Seite haben wollen.

Ostara als freundliche Gastgeberin
Foto: starz
Auch die alte Göttin Ostara, Inkarnation von Ostern und Gastgeberin der Osterfeier in dieser Folge, ist ein erfrischender Charakter, da sie sehr lebhaft und aufgeweckt auftritt. Dadurch sticht die Frühlingsgöttin zwischen den anderen Göttern heraus. Auf ihrer Feier erfährt man, dass sie Mad Sweeneys mysteriöse Bekanntschaft ist, die Laura wieder zum Leben bringen soll. Wie sich herausstellt, kann sie der Untoten den Gefallen nicht tun. Diese Szene mochte ich sehr gerne, weil sie mein Mitgefühl für Laura besonders stark geweckt hat. Ostara will ihr zuerst nicht helfen, willigt dann aber doch ein. Man rechnet also schon fast damit, dass Shadows Frau dem Leben als Zombie entfliehen kann und auch in ihrem Gesicht kann man die Hoffnung sehen, bevor sie zunichte gemacht wird. Dabei geht die Frühlingsgöttin sehr liebenswürdig mit Laura um ("You are perfectly lovely"), doch das Unverständnis der Untoten darüber ist klar zu erkennen, genauso wie ihre Verzweiflung ("But you said that you could re-gift the gift. I need the gift. I need to be alive."). Ihr Tod wurde durch einen Gott, Mr. Wednesday, befohlen, auch wenn Sweeney ihn ausgeführt hat und deshalb funktioniert die Wiederbelebung nicht. Als Laura das erfährt, sieht man vor allem bei Mad Sweeney die Schuldgefühle, denn er weicht Ostaras anklagendem Blick aus und wirkt alles andere als gleichgültig über das Schicksal der Untoten. Laura muss erstmal weiter vor sich hin verwesen. Ich hoffe, dass es in der zweiten Staffel doch noch eine Möglichkeit gibt, sie zu retten. Zusammen mit Mad Sweeney gibt sie dem Zuschauer viele tolle Szenen, ohne die einiges vom Humor und der Leichtigkeit in "American Gods" fehlen würde.
Laura (l.) erfährt die bittere Wahrheit
Foto: starz
Doch auch Ostara hat es nicht leicht. Sie muss sich Ostern mit Jesus teilen oder eher gesagt mehreren von ihnen. Da die Menschen immer leicht abweichende Vorstellungen von ihm haben, gibt es ihn in vielen Erscheinungsbildern, was eine sehr amüsante Idee ist. Alle diese Jesusvorstellungen sind bei Ostaras Osterfeier in Kentucky dabei, was ein komisches Bild abgibt, da sie alle recht ähnlich aussehen und fast die Hälfte der Gäste nur aus diesen Jesuscharakteren besteht. Da sie in einigen Szenen im Hintergrund stehen, sehen sie wie Leute auf einer verrückten Mottoparty aus. Auch wenn Ostara vor ihren Gästen gut gelaunt und fröhlich ist, kommt im Gespräch mit Wednesday heraus, dass sie unter der fehlenden Aufmerksam leidet. Doch der alte Gott hat einen geniale Idee, um ihr zu helfen: Wenn die Menschen nicht an sie glauben, muss Ostara sie dazu zwingen. Dieser Plan kommt ihr sehr gelegen. Wie genau er aussieht, wird während der Konfrontation der neuen Götter und Odin deutlich. Dazu gleich mehr.

Die Götter treffen aufeinander

Media (Mitte) und die "Kinder" von Technical Boy
Foto: starz
Endlich kommt es nach der ersten spannenden Konfrontation in der fünften Folge zu einem erneuten Treffen zwischen den Göttern. Der große Krieg steht noch bevor, doch in dieser Episode bekommt man einen Vorgeschmack darauf, der die Neugier auf Staffel zwei deutlich steigert. Von den neuen Göttern sind nur Media und Technical Boy anwesend, doch dann taucht Mr. Worlds (Crispin Glover) Gesicht als Bild auf einem der gesichtslosen Köpfe der "Kinder" auf. Der ungewöhnliche Auftritt des Anführers der neuen Götter ist nicht nur überraschend, sondern bringt noch weitere Spannung in die Auseinandersetzung. Allerdings wirkt seine Rede darüber, dass Wednesday auf jeden Fall verlieren wird, nicht allzu beunruhigend. Denn Mr. World ist nicht mal körperlich anwesend und erscheint, anders als in der ersten Konfrontation, nicht besonders bedrohlich. Seine tatsächliche physische Anwesenheit wäre deutlich beeindruckender gewesen. Wie der Konflikt aufgebaut ist und verläuft, hat mir sehr gut gefallen. Das liegt besonders daran, dass Mr. Wednesday das erste Mal die neuen Götter aktiv angreift und provoziert. Er erschlägt die "Kinder" von Technical Boy mit Blitzen, dabei bringt er die neuen Götter kurz aus dem Konzept. Sie sind ehrlich überrascht darüber, dass der alte Gott genug Kraft dafür hat und haben diese Aktion nicht kommen sehen. Die Ermordeten opfert er außerdem im Namen von Ostara, die dadurch stärker wird und Odin sie so für seine Seite gewinnt. Es folgt eine weitere Wendung, als Wednesday die Göttin bittet, ihren Plan auszuführen. Sie lässt alles pflanzliche
Mr. World ist nur digital anwesend
Foto: starz
Leben in einem gewaltigen Umkreis zurückgehen, so dass nur braune Erde bleibt. Diese Kraft der Frühlingsgöttin ist beeindruckend und sieht optisch toll aus: Die Entwicklung der Pflanzen wird im Zeitraffer zurückgedreht, bis nichts mehr übrig ist: Odin: "Tell them we've taken the spring. They can have it back when they pray for it." Dadurch zwingt Wednesday seine Rivalen dazu, dafür zu sorgen, dass die Frühlingsgöttin neue Anhänger bekommt. Da sie wohl nicht wollen, dass die Menschen verhungern, sind sie in einer Zwickmühle, denn wer verehrt sie dann noch? Somit verhelfen sie aber einem alten Gott zu neuer Kraft, der sich allerdings nicht auf ihrer sondern Odins Seite befindet, der davon profitiert. Dieser Trick Wednesdays ist raffiniert. Der Krieg entwickelt sich dadurch außerdem zu sehr viel mehr als nur einen physischen Kampf und macht ihn interessanter. Für Mr. World ist diese Provokation zu viel. Noch einmal taucht sein Gesicht auf einem der "Kinder" auf: "You wanted a war [...]? You have one. Be glad. It will be the war you'll die in." Somit steht der Krieg unausweichlich fest.


Odins dramatischer Auftritt

Ostara hinterlässt totes Land
Foto: starz
In dieser Folge passiert außerdem etwas, auf das man lange gewartet hat. Shadow erfährt endlich, wer Mr. Wednesday wirklich ist. Die Art, wie Odin es ihm präsentiert, ist allerdings etwas übertrieben. Er zählt mit bebender Stimme jeden seiner Beinamen auf, beispielsweise Grimnir, während er einen gewaltigen Sturm mit Gewitter aufziehen lässt. Irritierter war ich allerdings von Shadows Reaktion, als Odin ihn nach seinem und Ostaras Auftritt fragt: "Do you believe?" Denn er bejaht diese Frage. Keine zehn Minuten zuvor hat er noch mit einem Jesus darüber gesprochen, dass sich alles immer noch wie ein Traum anfühlt, er aber auch an dieser Erklärung zweifelt. Jetzt glaubt Shadow aber doch an alles. Das ist wieder so ein Moment, in dem ich Shadow nicht verstehe. Hätte er mit dem Jesus darüber gesprochen, dass er langsam glaubt, alles könnte real sein, hätte seine Antwort ja noch Sinn für mich gemacht. So wirkt seine Reaktion eher fragwürdig. Am Anfang war Shadow als Charakter noch nahbar, weil er mehr im Fokus steht und man die Ereignisse aus seiner Sich verfolgt. Doch von Folge zu Folge ist er weiter von mir weggerückt, da er besonders in den letzten Episoden oft der passive Beobachter war, so dass ich in manchen Szenen sogar vergessen habe, dass er anwesend ist. Dadurch ist es schwer, ihn als Protagonisten zu sehen, was ich schade finde. Da er nun eingeweiht ist und das Unwissen ein Ende hat, hoffe ich, dass er in der zweiten Staffel deutlich aktiver wird.
Odin während seiner Rede
Foto: starz
Spannend wird es außerdem, weil kurz nach Ostaras Auftritt Laura mit Sweeney die Szene unterbricht. Wednesdays strahlendes Lächeln verschwindet beim Klang ihrer Stimme sofort und Shadow hat ab diesem Moment richtet sich seine komplette Aufmerksamkeit auf Laura. Mit dieser offenen Situation endet die Szene. Mir gefällt der Cliffhanger dieses Finales sehr gut. Der große Kampf in Wisconsin steht bevor, Lauras Chancen auf eine Wiederbelebung sehen schlecht aus. Auch die Frage, wie Wednesday auf ihre Präsenz reagieren und ob es Shadows Glauben beeinflussen wird, weckt meine Neugier. Außerdem frage ich mich, wie sich die Dynamik zwischen ihnen wandeln könnte. Schließlich weiß Laura, wer hinter ihrem Tod steckt und sollte sie Gelegenheit haben, ihrem Ehemann das mitzuteilen, könnte das Shadows Beziehung zum alten Gott sehr verändern. Genauso gespannt bin ich darauf, ob Ostara mehr Macht erlangen wird. Und welche Rolle wird Bilquis im Krieg der Götter spielen? Das alles macht mich unglaublich neugierig auf die nächste Staffel. 

Fazit

Laura möchte mit ihrem Ehemann (r. unten) sprechen
Foto: starz
Das "American Gods"-Finale "Come to Jesus" ist eine gelungene Folge und ein toller Abschluss der ersten Staffel. Sowohl Bilquis' Geschichte als auch die Konfrontation der alten und neuen Götter, ist interessant und weckt die Spannung darauf, wie es weitergehen wird. Auch die Situation zwischen Shadow, Wednesday und Laura am Ende lässt viele Fragen offen, die in der nächsten Staffel hoffentlich aufgegriffen werden. Da Shadow endlich weiß, dass der alte Gott Odin ist und er angeblich nun an alles glaubt, habe ich die Hoffnung, dass sein Charakter dadurch die Rolle des passiven Beobachters ablegt, damit er wieder interessanter wird. Mit Bilquis und Ostara sind zwei tolle Charaktere Teil des Kriegs geworden. Besonders bei der Liebesgöttin ist die Neugier geweckt, welche Rolle sie darin spielen wird. Insgesamt hat "Come to Jesus" mich nicht enttäuscht. Ich kann den Beginn der zweiten Staffel jedenfalls kaum erwarten. 


Nun heißt es allerdings erstmal Geduld haben. Wann man mit der nächsten Staffel rechnen kann, ist noch nicht bekannt. Bis jetzt steht nur fest, dass sie zehn Episoden haben wird. Hoffentlich werden bald weitere Infos folgen. Bis dahin findet ihr alle Rezensionen sowie einen Rückblick auf die gesamte erste Staffel hier.

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