Sonntag, 11. Juni 2017

Sherlock: Das letzte Problem - Rezension

- Der folgende Text enthält Spoiler -

Endlich läuft die vierte Staffel der beliebten BBC-Reihe "Sherlock" auch im deutschen Fernsehen. Wir haben uns die drei neuen Folgen angesehen.

John Watson (Martin Freeman) hat in der vorherigen Folge "Der lügende Detektiv" erfahren, dass sein bester Freund Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch) eine Schwester namens Eurus (Sian Brooke) hat. Im Finale der vierten Staffel bringen die beiden Sherlocks Bruder Mycroft ("Sherlock"-Produzent Mark Gatiss) nun dazu, ihnen die ganze Wahrheit über die Kindheit der Holmes-Geschwister zu erzählen. Die kleine Eurus wurde früh als "äraprägendes Genie" bezeichnet und aufgrund ihrer manipulativen Fähigkeiten und ihrer Empathielosigkeit in einer Einrichtung namens "Sherrinford" weggesperrt. Die drei Männer machen sich auf den Weg dorthin. Sie wollen überprüfen, ob es sich bei der Frau, die sich als Johns Therapeutin ausgegeben hat, tatsächlich um Eurus Holmes handelt. Vor Ort müssen sie entsetzt feststellen, dass das skrupellose Genie die Kontrolle über "Sherrinford" erlangt hat. Sie zwingt Sherlock, Mycroft und John dazu, Spielchen zu spielen, bei denen es um Leben und Tod geht. Die letzte Aufgabe offenbart Sherlock eine grausame Wahrheit.

Völlig ausgelöscht

Eurus ist die intelligenteste der Holmes-Geschwister
Foto: ARD Degeto/BBC/Hartswood Films 2016
Das Finale beginnt im Inneren eines Flugzeugs. Ein kleines Mädchen (Honor Kneafsey, mit viel zu alt klingender deutscher Synchronstimme) wacht auf und stellt fest, dass alle anderen Passagiere und die Crew bewusstlos sind. Ihre Versuche, sie zu wecken, schlagen fehl. Als sie an ein klingelndes Handy geht, ertönt die Stimme von Sherlocks Gegenspieler Jim Moriarty (Andrew Scott), die sie zum "letzten Problem" willkommen heißt. Währenddessen inszenieren Sherlock und John eine gruselige Vorstellung für Mycroft, damit er ihnen die Wahrheit über Eurus erzählt (John: "Jemand hat ihm [Sherlock] gesagt, dass Sie erst mit der Wahrheit rausrücken, wenn Sie sich in die Hosen machen."; Mycroft: "Jemand?"; John: "Ich glaube, ich."). Nach einigem Zögern tut er es auch. Die Geschichte hat mich kaum gefesselt, da man immer nur dieselben kurzen Rückblicke sieht. Hier wäre es wünschenswert gewesen, mehr von der Vergangenheit und der kleinen, unschuldig wirkenden Eurus (Indica Watson) zu erfahren. Vor allem die Augenblicke, in denen das kleine Mädchen "Redbeard" in eine Falle lockt, wären interessant gewesen, da man sich kaum vorstellen kann, dass eine Fünfjährige zu so etwas fähig ist. So erfährt man alles nur durch Mycrofts einseitige Schilderungen. Es wird auch nicht aufgeklärt, wieso Sherlock in all den Jahren nie durch Zufall Hinweise auf seine Schwester gefunden hat. Zu Beginn der Folge sieht man alte Videoaufnahmen der Familie, das heißt, es wird vermutlich auch Videos und Fotos von Eurus geben. Es ist schwer vorstellbar, dass Mr. und Mrs. Holmes (Benedict Cumberbatchs Eltern Timothy Carlton und Wanda Ventham) nichts von ihrer Tochter aufbewahrt haben - besonders nachdem Mycroft ihnen vorgegaukelt hat, Eurus wäre bei einem Brand ums Leben gekommen.
Die Familie Holmes besucht Eurus
Foto: ARD Degeto/BBC/Hartswood Films 2016
Als Sherlock, Mycroft und John schließlich "Sherrinford" erreichen, stellen sie fest, dass die Gefangene schon lange keine Gefangene mehr ist. Sie hat das Personal manipuliert und willenlos gemacht (Mycroft: "Eurus redet nicht einfach nur mit Menschen, sie programmiert sie um. Jeder, der Zeit mit ihr verbringt, ist automatisch gefährdet.") Was die Serie bislang so gut gemacht hat, ist, dass Sherlocks Deduktionen meist stimmig waren. Obwohl seine Beobachtungsgabe an Magie oder eine Superkraft erinnert, waren seine Erklärungen immer nachvollziehbar. Bei Eurus Fähigkeiten ist das nicht der Fall. Es wird nicht einmal der Versuch unternommen ihre Manipulationen zu erklären. Das ist schade, denn so wirkt sie nicht wie eine authentische Gefahr, sondern mehr wie ein verrückter Bösewicht aus einem Film.
Molly ist Sherlocks Spielchen leid
Foto: BBC
Ein Beispiel wäre "Saw", denn bei jedem ihrer Spiele kann potenziell jemand sterben. Tatsächlich sind sie wenig abwechslungsreich. Bei zweien geht es darum einen Menschen zu töten, was zu langen Diskussionen führt (Wer soll schießen? Auf wen soll geschossen werden?). Ein drittes besteht daraus einen Mörder zu identifizieren. Das ist leider eine von nur zwei Stellen in "Das letzte Problem", in der Sherlock auf gewohnte Art und Weise deduziert. Das vierte Spiel ist perfider: Sherlock muss Molly Hooper (Louise Brealey) innerhalb von drei Minuten dazu bringen "Ich liebe dich." zu sagen, ansonsten sprengt Eurus sie in die Luft. Die Pathologin weiß dabei nicht in welcher Gefahr sie sich befindet und Sherlock darf es ihr nicht sagen. Die Sequenz ist berührend, da man Cumberbatch und Brealey an ihrer Mimik ansehen kann, wie schwer es Molly und Sherlock fällt, über ihre Gefühle zu sprechen. Interessant ist vor allem die Tatsache, dass die Produzenten und Drehbuchautoren Mark Gatiss und Steven Moffat zuerst eine völlig andere Szene geplant hatten (Moffat: "Molly was actually trapped inside the coffin and they had to solve a puzzle to get her out."). Die gefiel aber absolut niemand anderem aus dem "Sherlock"-Team oder ihrem Umfeld, sodass die beiden sie schlussendlich am letzten Tag des Drehbuchschreibens ersetzt haben (Moffat: "We came out [with the new version] saying `That's the best scene in the episode.´").

Ein Ende mit vielen Fragen

Der echte "Redbeard" lag jahrelang in einem Brunnen
Foto: BBC
Während des vierten Spiels, betäubt Eurus Sherlock und er wacht auf dem alten Anwesen seiner Familie auf. Schritt für Schritt begreift er dort die furchtbare Wahrheit: "Redbeard", sein treuer Irish Setter, der in anderen Folgen immer wieder erwähnt wurde, ist gar kein Hund. "Redbeard" war der Spitzname von Victor Trevor (Harry Tuffin), Sherlocks bestem Freund aus Kindertagen. Eurus war neidisch, da die beiden Jungs sie nie mitspielen ließen und beförderte Victor in einen Brunnen, wo er später ertrank. Aus Selbstschutz hatte der junge Sherlock die eigene Schwester aus seinen Erinnerungen gelöscht und sich selbst vorgegaukelt, "Redbeard" sei ein Hund gewesen.
Der Detektiv erkennt, dass er Eurus helfen muss, um die kranken Spielchen zu beenden. Sie war immer einsam und wurde als kleines Mädchen in einem Hochsicherheitstrakt weggesperrt. Das verängstigte Kind im Flugzeug aus der ersten Szene ist eine Metapher und stellt Eurus dar. Durch ihre außergewöhnliche Intelligenz schwebt sie über allem, ist dabei allerdings von anderen Menschen abgeschnitten und alleine. Nachdem Sherlock ihr versichert hat, dass er bei ihr ist, lässt sie sich widerstandslos zurück nach "Sherrinford" bringen. 
Nein, ich habe leider nicht mit Paint nachgeholfen
Foto: BBC
Neben Eurus übernatürlichen Fähigkeiten, anders kann man sie nicht nennen und der Tatsache, dass Sherlock in etwa 30 Jahren keinen einzigen Hinweis auf seine Schwester oder seinen besten Freund gefunden hat, gibt es noch zahlreiche andere Unstimmigkeiten. Beispielsweise, dass der Detektiv, der mit einem Blick eine halbe Lebensgeschichte herausfindet, die fehlenden Glaswände von Eurus Zelle nicht bemerkt. Oder dass Mary Watson (Amanda Abbington) in ihrer Abschiedsbotschaft, dazu gleich mehr, nur auf Sherlock und John eingeht, ihre kleine Tochter Rosie aber mit keinem Wort erwähnt. Diese Dinge kann man eventuell noch ignorieren. Aber über einen Aspekt kann man einfach nicht hinwegsehen: Die schlechten Effekte. Ich hätte wirklich gerne ein Foto von dem Moment, als ich zum ersten Mal die Szene gesehen habe, in der eine Bombe Sherlocks Wohnung in der Baker Street zerstört. Es ist lächerlich, wie der Detektiv und John Watson dramatisch durch die Fensterschreiben nach draußen springen, aber die Explosion ist noch peinlicher. Sie sieht wirklich unglaublich unecht aus und passt damit überhaupt nicht zu der Serie, die ansonsten ein fantastisches Setdesign hat.
Nun möchte ich aber noch auf das Ende eingehen, das eigentlich keins ist. John bekommt eine letzte Videobotschaft seiner toten Frau Mary. Darin ermuntert sie ihren Ehemann und Sherlock weiterhin Fälle zu lösen ("Wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch zwei Männer, die in einer heruntergekommenen Wohnung diskutieren, als wären sie schon immer dort gewesen und als würden sie immer dort sein. Die besten und klügsten Männer, die ich je gekannt habe: Meine Baker Street Boys, Sherlock Holmes und Dr. Watson."). Währenddessen sieht man, wie die Wohnung nach dem Bombeneinschlag renoviert wird. Außerdem rennen Lestrade, Mrs. Hudson und Molly durchs Bild, wie zur Erinnerung, dass sie eigentlich auch Teil der Stammbesetzung sind. Was mit Mrs. Hudson nach der Explosion passiert ist, wie Molly und Sherlock sich nach dem "Ich liebe dich" ausgesprochen haben... nichts davon erfährt man. Die Endszene wirkt deutlich wie ein Abschluss der Serie, auch wenn es zu einer Fort- oder Absetzung bislang noch keine Informationen gibt. Es bleiben dennoch eine Menge Fragen unbeantwortet. Daher ist es schade, dass die meisten Charaktere während der vierten Staffel auf der Strecke geblieben sind.

Fazit

"Das letzte Problem" erinnert nur entfernt an eine "Sherlock"-Folge. Kaum Deduktionen, kaum Humor, dafür Gewalt und Unstimmigkeiten in der Geschichte. Man erfährt zwar unglaublich viel über Eurus Holmes, allerdings immer nur durch andere Personen oder ihr Fantasie-Ich. Dafür werden dieselben Rückblenden ein ums andere Mal gezeigt, anstelle die Möglichkeit zu nutzen, die jungen Holmes-Kinder besser kennen zu lernen. Dann hätte man vielleicht auch besser nachvollziehen können, wie genau Eurus Menschen manipuliert. So hat es den Anschein als hätte sie eine gruselige Superkraft. Ein weiteres großes Manko ist, dass viele der lieb gewonnenen Charaktere nur Statisten sind und keinen würdigen Abschied bekommen - ein Problem, dass diese Staffel leider dominiert hat. Toll ist jedoch die Rückkehr von Sherlocks Eltern. Sie sind super sympathisch und es wäre ein Fehler gewesen, sie nicht in die Geschichte um Eurus miteinzubeziehen. 
Einen großen Pluspunkt gibt es auch für die Szene, in der Eurus Sherlock attackiert, ihm die Kehle zudrückt und den Wachen vor ihrer Tür zu brüllt: "REIN HIER MIT EUCH! LOS! HINDERT MICH DARAN IHN UMZUBRINGEN! Oder nein, gebt mir noch eine Minute." Besser kann man die Beziehung zwischen Geschwistern vermutlich nicht darstellen.


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