Dienstag, 27. Juni 2017

Schlafende Geister (Kevin Brooks) - Rezension

"Schlafende Geister" ist der erste Band der Detektiv-Craine-Reihe von Kevin Brooks, die in England spielt und sich um den britischen Privatdetektiv John Craine dreht. Das Buch ist 2011 im englischen Sprachraum unter dem Originaltitel "A Dance of Ghosts" erschienen. Noch im selben Jahr wurde die deutsche Ausgabe, die 397 Seiten umfasst, im Deutschen Taschenbuch Verlag ("dtv") veröffentlicht.

Bisher kannte ich Brooks durch seine Jugendbücher (zum Beispiel "Lucas", "The Road of the Dead", "iBoy", "Candy", ...) von denen ich fast alle gelesen habe. Da mir diese Geschichten immer gefallen haben, bin ich letztendlich auch auf seine Kriminalromane aufmerksam geworden, obwohl ich Bücher dieses Genres eher selten lese.

In diesem ersten Band wendet sich eine verzweifelte Mutter an John Craine und beauftragt ihn, nach ihrer verschwundenen Tochter Anna Gerrish zu suchen. Sie ist der Meinung, dass die Polizei zu wenige Nachforschungen betreibt und sieht Craine als letzte Chance. Als er mit seiner Arbeit beginnt, mischt sich plötzlich Detective Chief Inspector Mick Bishop ein, der über jeden Schritt des Privatermittlers informiert werden möchte. Bishop und der Fall holen bei Craine einige schmerzhafte Erinnerungen an die Oberfläche zurück. Darunter auch die brutale Ermordung seiner Frau Stacy vor 17 Jahren, die er noch immer nicht verarbeitet hat. Bei seinen Ermittlungen stößt der Privatdetektiv allerdings auf weitaus mehr als nur Hinweise zur Vermissten und macht sich dabei Feinde.


Ein Fall, der die Vergangenheit zurückholt

Ein Roman voller Korruption und Lügen
Foto: dtv
Tatsächlich wird aus der Suche nach Anna Gerrish bald ein Mordfall und darüber hinaus zu einer deutlich größeren, bedrohlicheren Geschichte, was die Spannung immer weiter ansteigen lässt. Ich wollte unbedingt wissen, wie es weitergeht und konnte das Buch kaum aus der Hand legen. Insgesamt ist "Schlafende Geister" eine recht klassische Detektivgeschichte und daher nicht vollkommen außergewöhnlich und innovativ. Aber das habe ich auch nicht erwartet. Ich wollte einen packenden, gut geschriebenen Krimi und das ist “Schlafende Geister“ definitiv. Der Fall ist größtenteils realitätsnah und erzählt eine Geschichte, die sich so wirklich ereignen könnte. Fesselnd bleibt das Buch auch durch Brooks Schreibstil, der temporeiche Dialoge und präzise Schilderungen enthält. Dabei wird die ganze Geschichte aus der Sicht von Craine erzählt, wodurch man immer sehr nah am Geschehen ist. Er überzeugt außerdem mit einer ehrlichen und direkten Erzählweise. So werden beispielsweise die schlechten Lebensumstände der Vermissten nicht mit schönen Umschreibungen verziert, sondern ohne Umschweife so dargestellt, wie sie sind. Und auch John Craine wirkt durch die Wortwahl von Brooks nicht wie der perfekte, heldenhafte Detektiv, sondern wie ein normaler Mensch mit Fehlern und Schwächen. (Craine über die Vermisste: "Keinen hatte ihr Schicksal gekümmert. Und ich kann nicht mal sagen, dass es mich kümmerte. Irgendetwas trieb mich an, aber ob es Anna Gerrishs Geist war oder der quälende Widerhall von Stacys Tod oder nur meine eigene Wehmut und mein Selbstmitleid [...] ich wusste es nicht."). Als Protagonist ist er sehr angenehm, da seine Handlungen meist schlau und nicht zu voreilig sind. Umso ärgerlicher sind dann allerdings die wenigen Momente, in denen Craine diese Eigenschaften verliert. Er sucht beispielsweise sein Büro auf, obwohl er weiß, dass er verfolgt und überwältigt werden könnte. Da hätte ich ihm am liebsten zugerufen: "Was tust du denn da?" Ansonsten überwiegen seine cleveren Schlussfolgerungen und Verhaltensweisen aber eindeutig. Als man beispielsweise als Leser schon glaubt, dass ihm eine wichtige Information geklaut wurde, überrascht er einen. Denn er hat mit so einem Szenario gerechnet und trägt die Information auch nach dem Verlust bei sich, nur in anderer Form. Der grausame Mord an seiner Frau zeichnet ihn allerdings noch bis heute und auch das wird von Brooks thematisiert, da Craine in belastenden Momenten gerne zum Alkohol greift. Diese Aspekte, aber besonders die Rückblicke zu der Zeit, als seine Frau ermordet wurde, zeigen, durch welche Hölle er gegangen ist. Sie machen ihn außerdem als Figur vielschichtiger. Es kommen zudem Details seiner Vergangenheit ans Licht, die nicht nur dem Fall, sondern auch seinem Charakter, einen neuen, düsteren Aspekt verleihen. Darüber hinaus sind auch alle anderen Figuren in diesem Roman toll ausgearbeitet. Vor allem Stacy Craines Neffe Cal, Spezialist in Sachen Computer und Hacking, hat mir gut gefallen, besonders weil er nicht als wandelndes Klischee eines Informatik-Nerds dargestellt wird. Cal ist kein eingebildeter Charakter, und gibt mit seinen Fähigkeiten nicht ununterbrochen an. Er wirkt sehr sympathisch, da er seinem Schwiegeronkel gerne hilft und man merkt, wie eng die Beziehung zwischen beiden ist (Craine: "Was schulde ich dir?" [...] Cal: "Ja ... also ... denk einfach dran, was ich dir gesagt hab, okay? Ich arbeite gern mit dir. Ich vermisse es, wenn du nicht vorbeikommst."). Die gemeinsamen Aktionen mit ihm und dem Privatdetektiv, bei denen sie gerne mal das ein oder andere Gesetz brechen, um der Wahrheit auf die Schliche zu kommen, haben sowohl unterhaltsame als auch sehr emotionale Aspekte. Stacy Craines Tod nimmt beide trotz der vielen vergangenen Jahre noch sehr mit und das wird immer mal deutlich ("Wir sahen uns beide eine Weile schweigend an und ich wusste, dass wir beide dieselbe Leere spürten, die verzweifelte Gewissheit, dass Stacy nicht da war und nie mehr da sein würde.").
John Craines Gegenspieler Mick Bishop, der sich in den Auftrag des Privatdetektivs einmischt, trägt auch dazu bei, dass die Spannung aufrecht erhalten bleibt. Er ist nicht nur unausstehlich, korrupt und unberechenbar, sondern hat auch noch eine machtvolle Position als Detective Chief Inspector bei der Polizei inne, die er geschickt zu nutzen weiß. Dadurch kann er machen, was er will, was er Craine immer wieder spüren lässt, indem er den Detektiv in seiner Arbeit behindert oder sogar offen bedroht. Man weiß nie, wann Bishop wieder auftaucht, wodurch eine beunruhigende Stimmung geschaffen wird. Über den gesamten Roman hinweg, ist er nur sehr schwer einzuschätzen und wirkt, als wäre er zu allem fähig. Bishop hat außerdem Verbindungen zur Vergangenheit des Privatdetektivs, da er mit Johns verstorbenen Vater zusammen bei der Polizei gearbeitet hat. Das gibt der Geschichte noch einen interessanten Aspekt und der Beziehung der beiden Charaktere mehr Tiefe.

Viele Wendungen und überraschende Auflösung

Der gesamte Aufbau des Romans gefällt mir sehr gut, da der Fall als vermeintlich kleiner beginnt, sich aber mit jeder neuen Erkenntnis zu einer Geschichte voller Korruptionen und Lügen entwickelt. Man kann viel Miträtseln, wird aber letztendlich auch sehr oft überrascht. Zwar gibt es vereinzelt Stellen, die voraussagbar sind, der gesamten Handlung jedoch kaum etwas von der Spannung nehmen. Im Gegensatz dazu sind die großen Wendungen nämlich umso unvorhersehbarer. Ab dem Moment, als Craine zum ersten Mal zu spüren bekommt, dass jemandem seine Nachforschungen nicht gefallen, wird die Handlung immer aufregender und es tauchen immer mehr Twists auf.
Der Roman ist unterteilt in zwei große Abschnitte. Am Ende des ersten Teils wird die Leiche der Vermissten gefunden, was nicht wirklich überraschend ist. Dabei kommt es zu einer der besten Wendungen in dieser Geschichte. Dem Leser wird eine Person als Mörder präsentiert, von der man sicher weiß, dass sie dazu nicht imstande gewesen sein kann. Das sorgt dafür, dass weiterhin keine Langeweile aufkommt, weil man ununterbrochen mitfiebert und rätselt. Im zweiten Teil kommt es zwischen Craine und seinen Gegenspielern zu einer aufregenden Hetzjagd, bei der ich das Buch kaum weglegen konnte. Vor allem die Auflösung gegen Ende des Romans hält noch einmal eine schockierende Offenbarung bereit, die ich nicht erwartet habe. Dabei wird der Leser Stück für Stück zur Wahrheit geführt und kann die Puzzlestücke gemeinsam mit Craine zusammensetzen. Das hat mir besonders gut gefallen, da nicht einfach eine Erklärung präsentiert wird, die man sich im Nachhinein zusammenreimen muss, sondern alles nachvollziehbar ist. Der endgültige Täter wird für mich dann aber doch unnötig grausam geschildert. Beim Lesen hatte ich das Gefühl, dass der Autor zum Ende nochmal richtig schocken wollte. So wird beispielsweise die Wohnung des Mörders beschrieben und die Grausamkeiten, mit denen man dort konfrontiert wird, wollen gar nicht enden. Auch ohne diese Übertreibungen wäre der Täter sicherlich noch genauso beängstigend gewesen. Es ist besonders die kalte Unberechenbarkeit, die diesen Charakter auszeichnet und den Showdown zwischen ihm und Craine so nervenaufreibend macht. Selbst der Privatdetektiv als Protagonist wirkt hier nicht sicher. Somit hat mich diese Geschichte bis zum Schluss gefesselt.

Fazit

Mit "Schlafende Geister" beweist Kevin Brooks, dass er nicht nur tolle Jugendbücher schreiben kann. Auch im ersten Band seiner John-Craine-Reihe überzeugt der Autor mit einem fesselnden, direkten Schreibstil und erzählt eine Geschichte die mich von Anfang bis Ende nicht losgelassen hat. Der Roman beinhaltet einen spannenden Kriminalfall, der auch ohne übertrieben verstörende Elemente Spannung erzeugt und im Verlauf des Buches immer komplexer wird. Getragen wird die Handlung außerdem von den tollen Charakteren, die vielschichtig und abwechslungsreich sind. Selbst John Craines Gegenspieler erhält genug Facetten, um interessant und beängstigend zugleich zu wirken und dabei für einige überraschende Momente zu sorgen. Auch das Ende hält eine ausgefallene Auflösung bereit und trotz etwas überzeichnetem Täter kommt es zu einem tollen Showdown. Als Gelegenheits-Krimi-Leserin hat "Schlafende Geister" für mich eine tolle Kriminalgeschichte mit einem gut ausgearbeiteten Fall geboten.



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