Montag, 5. Juni 2017

Tatort: Amour fou - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.


"Amour fou" ist der erste Fall der Berliner Ermittler Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke), der sich nicht mehr mit dem Mord an Karows ehemaligem Partner beim Drogendezernat beschäftigt. In den ersten drei Fällen spielte diese Geschichte eine wichtige Rolle. In der vierten Folge, die im Dezember 2016 lief, fand sie dann ihren dramatischen Abschluss.
Nun konzentrieren sich die Ermittler erstmals nur auf einen Fall: Enno Schopper wurde auf einem Liegestuhl in seinem Schrebergarten verbrannt. Er war bis vor Kurzem als Lehrer an einer Gesamtschule im Rollbergkiez beschäftigt und aufgrund seiner Homosexualität wiederholt von den Schülern drangsaliert worden. Als dann das Gerücht die Runde machte, er habe einen Jugendlichen in der Sportumkleide unsittlich berührt, musste er die Schule verlassen. Aus diesem Grund vermutet Ennos Ehemann Armin Berlow (Jens Harzer) den Mörder unter den Schülern. Die Kommissare tippen auf Duran Bolic (Justus Johanssen). Enno und Armin hatten das ehemalige Problemkind bei sich aufgenommen und sichergestellt, dass er von der Straße wegkommt und Abitur macht. Da Duran der Junge ist, den Enno angeblich in der Umkleide belästigt hat, vermuten die Ermittler, dass er nicht ohne Gegenleistung bei dem homosexuellen Paar wohnen durfte. Doch sie können Duran nicht befragen. Er ist verschwunden. Neben dem Fall spielt auch das Privatleben der beiden Kommissare wieder eine Rolle. Der Plan von Rubins jüngerem Sohn Kaleb (Louie Betton) hat tatsächlich funktioniert: Bei seiner Bar Mitzwa in der vorherigen Folge sind sich seine Eltern Nina und Viktor (Aleksandar Tesla) wieder nähergekommen. Viktor hatte die Kommissarin wegen ihres ausschweifenden Nachtlebens verlassen und war gemeinsam mit dem älteren Sohn Tolja (Jonas Hämmerle) ausgezogen. Nun kommen die beiden zurück, doch das neu gewonnene Familienglück hält nicht lange. Der bisexuelle Karow hat währenddessen eine Affäre mit der Gerichtsmedizinerin, bandelt aber auch mit dem frischen Witwer Armin Berlow an.

Uneins, unbequem, unsympathisch

Wo kann man Nina Rubins "Susi & Strolch"-Shirt kaufen?
Foto: rbb/H. J. Pfeiffer
Wie bereits im vorherigen "Tatort - Die Liebe, ein seltsames Spiel" liegt auch in "Amour fou" ein Schwerpunkt auf den (Liebes-)Beziehungen der Charaktere. Da wäre einerseits Nina Rubin, die die Rückkehr ihrer Mannes gleich mit einer weiteren durchzechten Nacht feiert und sich mit ihm zum Zähneputzen verabreden muss, um überhaupt gemeinsame Zeit zu verbringen. Auf der anderen Seite Robert Karow, der ohne zu Zögern bei einem Verdächtigen übernachtet, während seine Kollegin die komplette Nacht im Auto auf der Straße wartet (Rubin: "Spielt die ganze Zeit Spielchen und muss seinen Schwanz überall reinstecken."). Nina Rubin ist die Ermittlerin, die ich beim Sonntagskrimi mit Abstand am unsympathischsten finde. Mit ihrer überdrehten und egozentrischen Art geht sie mir einfach auf die Nerven. Karows selbstsicheres, bestimmtes Wesen ist ein guter Ausgleich. In dieser Folge wendet sich das Blatt jedoch etwas: Hier ist es Rubin, die versucht Karow auszubremsen. Dennoch sind die persönlichen Probleme der Ermittler blutleer. Ninas Geschichte dreht sich seit der ersten Folge im Kreis - Streit mit ihrem Mann, Versöhnung, Streit, Versöhnung - sodass schnell vergessen ist, worüber sie sich dieses Mal uneinig sind. Karow ist ein undurchschaubarer und unnahbarer Charakter, bei dem nie ganz klar ist, was in ihm vorgeht.
Stipe (l.) liebt Jasna, doch die erwartet Durans Kind 
Foto: rbb/Andrea Hansen
Die Beziehungen der Nebencharaktere sind deutlich interessanter. Besonders der Witwer Armin Berlow ist eine spannende Rolle, da lange nicht klar ist, wie er wirklich zu seinem Mann Enno und seinem unfreiwilligen Pflegesohn Duran steht. Dabei hat er die meiste Zeit einen gewissen Gruselfaktor  ("Ich höre wie er [sein verbrannter Ehemann] anfängt zu flackern."). Jens Harzer verleiht dem Charakter durch sein unausgeglichenes Spiel Tiefe, sodass seine wahren Gefühle schwer zu durchschauen sind. Dadurch wird die Suche nach dem Mörder spannender, was auch nötig ist, da er und der verschwundene Duran lange Zeit die einzigen handfesten Verdächtigen sind. Zwar tauchen noch zahlreiche andere Figuren auf, beispielsweise Durans schwangere Freundin Jasna (Lisa Vicari) und sein ehemaliger Kumpel Stipe (Aaron Hilmer), deren Motive sind aber nicht stichhaltig genug, um sie ernsthaft als Mörder in Betracht zu ziehen. Auch sonst sind die Ermittlungen eher langweilig. Hospitantin Anna Feil (Carolyn Genzkow) meldet sich immer genau dann mit neuen Erkenntnissen, wenn Rubin und Karow nicht weiterkommen. Dass die Assistenten mehr zur Ermittlung beitragen als die Kommissare, ist keine Seltenheit beim "Tatort" und in Städten wie Münster eher Regel als Ausnahme. Dennoch ist die Arbeit des Berliner Teams nicht wirklich nachvollziehbar. Die Kriminaltechnik übersieht beispielsweise zahlreiche Blutspuren am Tatort, die Karow später bei einem nächtlichen Luminoltest entdeckt. Die Auflösung des Falls ist auch nur bedingt ein Ergebnis der Ermittlungen, sondern geschieht mehr durch Zufall, als Rubin zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist.

"Er ist ein attraktiver Mann"

Armin Berlow (l.) und Karow verstehen sich gut
Foto: rbb/Andrea Hansen
Eins der zentralen Themen von "Amour fou" ist Homosexualität und die Ignoranz anderer Menschen. Viele von Ennos Kiez-Schülern machen keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegenüber Schwulen. "Sie fühlen sich zweiter Klasse und lassen es an einer dritten aus", wird es an einer Stelle treffend formuliert. Die Charaktere sehen sich immer wieder Vorurteilen und Klischees gegenüber, sodass der Zuschauer einen kleinen Einblick erhält, wie schwierig es auch heute noch ist, offen homosexuell zu sein. So wird Armin Berlow von anderen als "Mutti" abgestempelt, weil er den Haushalt führt und seinem Mann und Pflegesohn die Wäsche macht. Seit ein Video im Präsidium aufgetaucht ist, das Karow beim Geschlechtsverkehr mit einem Mann zeigt, zieht sich auch seine Bisexualität als roter Faden durch die Berliner "Tatorte". Seine intensiven Flirts mit Berlow, der erst seit einigen Tagen verwitwet ist, wirken dennoch deplatziert. Karow setzt damit eine sehr lange Reihe von romantischen Verwicklungen zwischen Verdächtigen und "Tatort"-Kommissaren fort. 
"Amour fou" deutet am Rande auch ein anderes Thema an: Wie weitreichend Konsequenzen sein können. Eine als klein empfundene Lüge schlägt plötzlich immer größere Wellen und kann Leben nachhaltigen beeinträchtigen. Auf diesen Aspekt wird nicht intensiv eingegangen, was schade ist, dennoch bleibt er nachdrücklich im Gedächtnis. Genauso wie die Frage, ob der "Tatort" von einem Automagazin gesponsert wurde. Ich habe nicht mitgezählt (Falls es jemand gemacht hat, schreibt euer Ergebnis gerne in die Kommentare, bin echt neugierig.), aber gefühlt ein Dutzend Mal fallen die Namen verschiedener Automarken oder Wagentypen. 

Fazit

"Amour fou" ist aus meiner Sicht der bislang beste "Tatort" des Teams Rubin und Karow, da er sich erstmals nur auf einen klassischen Whodunit-Fall konzentriert und die privaten Probleme der Kommissare nicht allzu viel Sendezeit einnehmen. Es stellt sich sowieso die Frage, weshalb Rubins Streitigkeiten mit ihrem Mann noch thematisiert werden, obwohl sie von Folge zu Folge kaum variieren. Im Vergleich zu den anderen Sonntagskrimis, ist "Amour fou" dennoch nur Durchschnitt. Gründe hierfür sind die zähe Ermittlungsarbeit, zahlreiche Ungereimtheiten und die fast zufällige Auflösung. Punkte sammelt der Fall bei den interessanten Charakteren, der Wahl des Themas und dem ein oder anderen witzigen Spruch. Wie die Aussage des Kriminaltechnikers: "Frag' doch mal Sherlock!", da im Anschluss an den Tatort die neue "Sherlock"-Folge "Der lügende Detektiv" ausgestrahlt wird.


In der nächsten Woche zeigt das Erste einen neuen "Tatort" aus Dresden. Die Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) müssen in "Level X" den Mord an einem jungen YouTuber aufklären.
Folgt uns auf Facebook, Twitter und Instagram, um weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen