Montag, 5. Juni 2017

Sherlock: Der lügende Detektiv - Rezension

- Der folgende Text enthält Spoiler -

Endlich läuft die vierte Staffel der beliebten BBC-Reihe "Sherlock" auch im deutschen Fernsehen. Wir haben uns die drei neuen Folgen angesehen.

Nach Mary Watsons (Amanda Abbington) Tod im Staffelauftakt, sind alle Charaktere in "Der lügende Detektiv" mehr oder weniger am Ende. Allen voran ihr trauernder Ehemann John (Martin Freeman), der versucht seine Gefühle in Sitzungen bei einer neuen Therapeutin zu verarbeiten. Er geht auch auf Abstand zu seinem besten Freund Sherlock Holmes (Benedict Cumberbatch), denn Mary hatte sich in die Schusslinie einer Kugel geworfen, die für Sherlock bestimmt war. Der Detektiv kann seine Gefühle nicht einordnen und beginnt erneut mit dem Konsum harter Drogen ("Durch das, was sie [Mary] tat, hat sie meinem Leben einen Wert verliehen. Dieser Wert hat eine Währung, mit der ich nicht umzugehen weiß."). Schnell ist Sherlock in sehr schlechter körperlicher und seelischer Verfassung (Pathologin Molly (Louise Brealey): "Ich hatte schon Gesündere auf dem Seziertisch."). Seine Umgebung hält ihn für nicht zurechnungsfähig - vor allem als er den angesehenen Unternehmer und Wohltäter Culverton Smith (Toby Jones) bei Twitter als Serienkiller bezeichnet.

Das Böse ist auch nicht das, was es mal war

Hämisches Lachen, aber sonst eher öde: Culverton Smith
Foto: BBC
Culverton Smith wurde als der "große Bösewicht" der vierten Staffel angekündigt. Tatsächlich taucht er - mit Ausnahme seines Fotos auf einem Plakat in der ersten Folge - nur in "Der lügende Detektiv" auf. Die Episode beginnt mit einer Rückblende: Smith möchte einigen Freunden und seiner Tochter Faith (Gina Bramhill) ein schockierendes Geständnis machen, aber nur unter der Bedingung, dass er ihnen ein Medikament verabreichen darf. Es löscht das Kurzzeitgedächtnis ("Ich habe doch nur vor euch etwas anzuvertrauen, das mir auf der Seele liegt, ohne eure damit unnötig zu belasten."). Ich habe mich die ganze Zeit über eins gefragt: Wieso machen die das mit? Wer hat so viel Vertrauen zu einem anderen Menschen, dass er bereit ist, sein Gedächtnis löschen zu lassen und hinterher keine Ahnung zu haben, was geschehen ist? Nicht nur der Inhalt, auch die Gestaltung der Szene ist äußerst seltsam. Die in weiß gekleideten Krankenschwestern mit Mundschutz, die alle Anwesenden an Tröpfe anschließen, wirken eher amüsant als bedrohlich. Dasselbe trifft auf Smiths lieblos aufgesagtes Geständnis, er müsse jemanden töten, zu. Faith beunruhigt es jedoch genug, um sich Notizen zu machen und drei Jahre später Sherlock Holmes aufzusuchen.
Sherlock und Faith verbringen die Nacht draußen
Foto: BBC
Sie erzählt dem zugedröhnten Detektiv von dem Abend und bittet ihn, ihr zu helfen. Diesen Teil der Handlung habe ich genossen, da es die einzigen Szenen in der gesamten vierten Staffel sind, in der Sherlocks Deduktionen im Mittelpunkt stehen. Wie man es aus den vorherigen Jahren gewohnt ist, nimmt er vor Faiths Augen ihr ganzes Leben auseinander, während seine Erkenntnisse als Animationen im Raum schweben. Er rekonstruiert sogar ihre Küche inmitten einer Londoner Straße. Die Drogen spielen ihm zwar den ein oder anderen mentalen Streich, doch das ist äußerst witzig - etwa wenn er seinen eigenen Gedankengängen nicht folgen kann und die verwirrte Faith fragt, warum er gerade dies oder das getan hat.
Letztendlich überführt Sherlock den beliebten Wohltäter natürlich. Im Gegensatz zu einigen clever durchdachten Todesfällen der vorherigen Folgen, mordet Culverton jedoch relativ unspektakulär. Einzig die Tatsachen, dass er seine Taten immer wieder unbemerkt beichtet und sich in einer Cornflakes-Werbung amüsanterweise als "Cereal killer" bezeichnet, peppen seine Geschichte auf. Leider ist er insgesamt nicht so herrlich böse, charismatisch oder durchtrieben wie Moriarty oder Magnussen. Viel konnte Toby Jones aus der Rolle aber auch nicht herausholen, da Culverton Smith lediglich in einer Folge auftaucht, die auch noch zu einem großen Teil von den persönlichen Dramen der Hauptfiguren eingenommen wird.

Wir brauchen ein Spin-off über Mrs. Hudsons "wilde Jahre"!

Mrs. Hudson bietet Mycroft (Mark Gatiss) die Stirn
Foto: BBC
Das größte dieser Dramen ist der Bruch zwischen Sherlock und John, verursacht durch Marys Tod. Doch Mrs. Hudson (Una Stubbs) bringt die beiden spontan wieder zusammen. Als Sherlock unter Drogen mit einer Pistole um sich schießt, lässt sie vor seinen Augen eine Tasse Tee fallen. High oder nicht, er ist immer noch Brite und schmeißt die Waffe weg, um das Getränk zu fangen. Blitzschnell greift die Vermieterin nach der Pistole und zwingt Sherlock seine Handschellen herauszurücken. Was dann folgt, ist einer der wohl besten Momente in der TV-Geschichte: Mrs. Hudson brettert in einem schicken Sportwagen direkt vor das Haus von Johns Therapeutin - verfolgt von Polizeiwagen und einem Hubschrauber. Sie bittet Watson sich wieder mit Sherlock zu versöhnen. Der liegt völlig verstört im Kofferraum des teuren Autos. Dieser kurze, aber unglaublich spektakuläre Auftritt, macht Mrs. Hudson zu einem der coolsten und modernsten älteren Charaktere, die es derzeit gibt. Zu verdanken ist das auch der kecken und schwungvollen Spielweise von Una Stubbs (Bei der diesjährigen "MagicCon" verriet Louise Brealey, dass Stubbs auch im echten Leben die kesseste und versauteste der "Sherlock"-Schauspieler sei.). 
John will die Situation in die Hand nehmen, stellt aber nach wenigen Minuten fest, dass jeder seiner Schritte bereits vor zwei Wochen von Sherlock vorausgesagt worden war. Das ist einer der Faktoren, die mich an der Serie stören. Besonders in den späteren Folgen scheint keine der anderen Hauptfiguren irgendeine Chance zu haben eigene Entscheidungen zu treffen. Fast immer, wenn John, Mary, Molly oder Lestrade (Rupert Graves) etwas scheinbar eigenständig planen oder denken, stellt sich letztendlich heraus, dass Sherlock sie in diese Richtung gelenkt hat oder er zumindest wusste, was sie vorhaben, noch bevor sie überhaupt auf die Idee kamen. Selbst seine Entführung durch Mrs. Hudsons hat er, nach eigenen Angaben, bis auf den Kofferraum-Part vorausgeahnt. Sherlocks Allwissenheit nimmt den anderen Figuren ihre Persönlichkeit und Wichtigkeit, da sie so nur seine Marionetten sind. 
Dennoch basiert die Handlung vor allem auf Zufällen. John spricht sogar an, dass er Sherlock nur rechtzeitig vor Culverton Smith retten konnte, weil er Marys Videobotschaft aus der ersten Folge unabsichtlich gefunden hatte. Da "Der lügende Detektiv" nur darauf abzielt, dass Watson seinem besten Freund das Leben rettet, ist es schon enttäuschend, dass die wichtigste Stelle auf einem völligen Zufall beruht.  

"The other one"

Sherlocks Schwester fackelt nicht lange
Foto: BBC
Besonders ernüchternd war für mich jedoch die "große Enthüllung" am Ende. Viele Zuschauer hatten ja bereits bei der ersten Erwähnung von "the other one" in der dritten Staffel vermutet, dass Sherlock und Mycroft noch einen Bruder haben. Da aber konsequent Artikel (der, die, das) vermieden wurden, war ich direkt davon überzeugt, dass es sich bei einem weiteren Geschwisterkind sicher um eine Schwester handeln würde. Dementsprechend hat mich die Einführung von Eurus Holmes überhaupt nicht überrascht. Noch offensichtlicher war jedoch ihr Auftreten als Faith Smith. Das erste, was ich mir bei ihrem Auftritt in der Baker Street dachte, war: Die sah eben anders aus! Als dann die Therapeutin das nächste Mal auftrat, fiel mir die Ähnlichkeit zu Faith Nummer 2 auf. Überrascht hat mich dann allerdings, dass sie auch noch eine weitere Persönlichkeit innehatte, nämlich Johns emotionale Affäre aus dem Bus in der ersten Folge (John zur imaginären Mary: "Wir haben uns ständig SMS geschrieben. Weißt du wann? Jedes mal wenn du den Raum verlassen hast, als du unsere Tochter versorgt hast. Wenn sie geweint hat und du sie getröstet hast. Genau dann."). Ein großes Lob an Sian Brooke, die alle Charaktere völlig unterschiedlich spielt, sodass sie wirklich nur das Aussehen, nicht aber Gestik, Mimik oder Stimme verrät. 

Fazit

Im Gegensatz zu den anderen beiden "Sherlock"-Folgen der vierten Staffel, konzentriert sich "Der lügende Detektiv" stärker auf einen Kriminalfall und Sherlocks Deduktionen. Wie in den vorherigen Jahren werden sie toll dargestellt und lebendig animiert. Ein weiterer Pluspunkt ist der geniale Auftritt von Mrs. Hudson und die witzigen Kommentare der imaginären Mary Watson ("Setz' ihm den Hut auf! (...) Er sollte wirklich mal den Hut tragen im Gedenken an mich."). Dennoch kann auch "Der lügende Detektiv" nicht an den Charme und die Stimmung der anderen Staffeln anschließen. Man lernt keines der Opfer des Bösewichts Culverton Smith kennen oder erfährt genaueres über seine Taten. So ist er eher ein schräger Charakter mit unsympathischem Lachen als ein diabolischer Mörder. Die Einführung von Eurus Holmes weckt die Neugierde auf das Staffelfinale, da sie eine deutlich beunruhigendere und charismatischere Antagonistin ist als er. Der Fokus der Folge liegt jedoch deutlich auf dem Bruch zwischen John und Sherlock. Die Art und Weise wie dieser gekittet wird, ist unnötig kompliziert und beruht auf zu vielen Zufällen. Lediglich das Gespräch der beiden am Ende wirkt ehrlich und zielführend. 


Am Sonntagabend, nach dem neuen Dresdner "Tatort - Level X", läuft das Finale der vierten "Sherlock"-Staffel "Das letzte Problem" in der ARD.
Folgt uns auf Facebook, Twitter und Instagram, um weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen