Sonntag, 11. Juni 2017

Tatort: Level X - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.


Kommissarin Karin Gorniak (Karin Hanczewski) und ihr Sohn Aaron (Alessandro Emanuel Schuster) müssen in "Level X" mit ansehen, wie der 17-jährige Internetstar "Simson" (Merlin Rose) vor laufender Kamera erschossen wird. Er hatte gerade für eines seiner beliebten "Prank"-Videos einige Rocker heimlich mit einer Drohne gefilmt. Während der Ermittlungen schaut halb Dresden Gorniak und ihrer Kollegin Henni Sieland (Alwara Höfels) zu. Denn die verdächtigen YouTuber "Scoopy" (Wilson Gonzalez Ochsenknecht) und Emilia (Caroline Hartig), sowie ihr zwielichtiger Manager Magnus Cord (Daniel Wagner) streamen Verhöre und Polizeieinsätze live ins Internet. Daher steht das Team um Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) unter großem Druck. Auch privat läuft es nicht rund. Gorniak hat nur wenig Zeit für Sohn Aaron, der bei den Ermittlungen im jugendlichen Umfeld des Opfers jedoch eine große Hilfe wäre. Sieland hingegen ist einsam, nachdem ihr Freund Ole Herzog (Franz Hartwig) sie verlassen hat.

Swag, Alter, ich hab doch delivered!

Neugierig vs. konservativ
Foto: MDR
"Level X" ist Teil der Themenwoche "Woran glaubst du?". Die Jugend glaubt vor allem ans Internet - jedenfalls laut der ARD, deren Zuschauer-Durchschnittsalter bei 60 Jahren liegt. Glücklicherweise wurde für diese Thematik ein relativ junges "Tatort"-Team gewählt, das in der Welt der Sozialen Medien und angesagten Internetstars nicht allzu verloren wirkt. Mit Ausnahme von Kommissariatsleiter Schnabel, der mit gewohnt konservativer Einstellung an das Thema herangeht ("Der Fernseher hat aus dem Kreis der Familie einen Halbkreis gemacht! Und das Internet aus diesem Halbkreis Punktehaufen!"). Die anderen Mitglieder des Teams erklären ihm alle technischen und jugendkulturellen Aspekte in vereinfachter Art und Weise, sodass der "Tatort" für Zuschauer jeden Alters verständlich ist. Zu Beginn der Folge wirkt das Ganze jedoch noch sehr steif. Vor allem Magnus Cord, der Manager des Opfers, ist die peinliche Karikatur eines hippen, junggebliebenen Unternehmers. Sätze wie "Er hatte einen Spirit. Er hatte Personality!" findet man höchstens bei "Germany's next Topmodel", nicht aber im Sprachgebrauch der Generation Y. Im Verlauf der Handlung nehmen diese Fremdschäm-Momente ab und der Fall wird zu einer passablen Darstellung der Alles-wird-dokumentiert-Mentalität. 
Leichen bringen Views: "Scoopy" (r.) filmt am Tatort
Foto: MDR/Gordon Muehle
In den Nachrichten findet man fast täglich Berichte über Gaffer, die Fotos von Unfällen machen und dadurch die Arbeit der Rettungsdienste behindern. Dieses Benehmen stellt "Level X" deutlich an den Pranger. So muss der geschockte Schnabel Horden von jungen Menschen davon abhalten, Fotos von "Simsons" blutiger Leiche zu machen ("Da ist ein Toter! Das filmt man nicht!"). Während die Kommissarinnen Cord verhören (Natürlich in dem typischen, gläsernen Büro mit Polstermöbeln, das jeder Start-up-Unternehmer im Fernsehen hat.), werden sie permanent gefilmt. Was folgt sind Beschimpfungen und Kritik aus der Bevölkerung, die die Ermittlungen hautnah verfolgt, jeden Schritt des Teams beurteilt und Gerüchte streut. Die Kommentare werden immer wieder eingeblendet, genau wie die Live-Videos der verschiedenen Internetstars. Das Einblenden der Livevideos trägt, vor allem gegen Ende der Folge, deutlich zum Tempo bei. Die Userkommentare hätte es hingegen nicht gebraucht. Sie sind zum Teil sehr schwer zu lesen und ihr Inhalt ist weder sonderlich amüsant noch bringt er die Handlung voran. Die Polizei Dresden bittet die Internet-Community in einer Szene um Hilfe. Auf die Tatsache, dass alle Hinweise sehr vage sind und in völlig unterschiedliche Richtungen gehen, wird jedoch nicht eingegangen. Das ist schade. Es wäre interessant zu sehen, wie der "Tatort" damit umgeht, dass sich Onlinenutzer beispielsweise zusammenschließen, einen vermeintlichen Täter identifizieren und eine Hetzjagd starten. Trotz nerviger Einblendungen und der anfangs sehr übertriebenen "Jugendsprache", stellt "Level X" die krankhaften Ausmaße der Generation YouTube und Instagram realistisch dar. Gegen Ende möchte man Schnabel fast zustimmen, als er verzweifelt fragt: "Kann nicht jemand dieses verdammte Internet einfach wieder abschalten?"

"Du bist komisch." - "Ja, ich weiß."

Aaron: Früher Problemkind, jetzt Hobby-Ermittler
Foto: MDR/Gordon Muehle
Dieser kurze Austausch findet zwischen Kommissarin Sieland und ihrem Fast-One-Night-Stand Kai (Björn von der Wellen) statt. Tatsächlich sind die Dresdner Kommissarinnen gar nicht so komisch und deutlich weniger "problembelastet" als ihre "Tatort"-Kollegen aus Dortmund oder Berlin. Dennoch geht es auch bei ihnen nicht ohne private Nebenhandlungen. In "Level X" finden sie jedoch angenehmerweise nur dezent am Rande statt. Aaron, Gorniaks pubertierender Sohn, ist kein pöbelndes Problemkind mehr, wie noch im ersten Fall. Er ist diesmal sogar eine Bereicherung für die Folge, da er die Welt der Internetstars deutlich besser kennt als seine Mutter und ihr Team. Tatsächlich hätten sie sich einiges an Ärger und Peinlichkeit erspart, wenn Karin einfach auf die Anrufe ihres Sohns reagiert hätte. Ich mag Aaron Gorniak, da er eins der wenigen präsenten Kinder im Sonntagskrimi ist und einige amüsante Sprüche beisteuert. Sielands Freund Ole nervte mich jedoch von der ersten Folge an. Er hat außer ständigen Nörgeleien nichts zur Handlung beigetragen. Deshalb bin froh, dass die Beziehung zwischen ihm und Henni vorbei ist. Das Ende von "Level X" lässt offen, ob er in den nächsten Fällen auftauchen wird. Ich hoffe nicht. Der konservative Kommissariatsleiter Schnabel tastet sich in dieser Folge langsam in die ihm fremde, moderne Welt vor und probiert Onlinedating aus. Viele der Dauersingle-Ermittler, beispielsweise aus Saarbrücken und Münster, haben in vergangenen Krimis Partner im Netz gesucht. Was jedoch Schnabels Versuch hervorhebt, ist sein amüsanter, unwissender Umgang mit allen Medien und moderner Technik ("Eine Containerdatei."; "Eine bitte was?"; "'Ne Art doppelter Boden."; "Ahhhh."). Ich finde es gut, dass die Figuren bislang weitestgehend stimmig sind und ihre Charakterzüge auch bei verschiedenen Autoren beibehalten. Schnabel legt in "Level X", wie in den beiden bisherigen Folgen, ein männliches Dominanzverhalten an den Tag. Dennoch zeigt er sich auch väterlich-besorgt, wenn es um junge Mädchen geht ("Wenn das meine Tochter wäre, ich würde ihm die Eier abschneiden mit 'ner Nagelschere.").
Emilia (r.) wird von ihrer Mutter getröstet
Foto: MDR/Gordon Muehle
Wie das Zitat bereits andeutet, geht es in dem Fall um mehr als nur ein paar "Prank"-Videos im Internet. Leider nimmt er erst in der letzten halben Stunde an Fahrt auf. Davor zieht sich die Handlung. Das liegt vor allem daran, dass man die Nebencharaktere, wie beispielsweise "Scoopy", Emilias Kumpel Dominik (Tom Gramenz) und ihre Mutter Eva Kohn (Karina Plachetka) kaum kennen lernt. Lediglich bei Emilia selbst geht die Erzählung etwas mehr ins Detail. Alle anderen Figuren sind einseitig und wirken ein wenig wie Statisten. Außerdem sind die Handlungen der Figuren nicht immer schlüssig. Sieland und Gorniak fahren beispielsweise zu Emilia, da sie das Mädchen davon abhalten wollen, ein verstörendes Video von ihr zu sehen, das im Internet verbreitet wird. Doch während ihres Besuches erwähnen die Kommissarinnen den Clip mit keinem Wort und lassen die selbstmordgefährdete Emilia alleine zurück, ohne ihr davon erzählt zu haben. Gegen Ende der Folge wird der Fokus dann deutlich auf das Thema Selbstmord gelenkt. Nachdem alle Medien Shitstorm-artig über die "Netflix"-Serie "Tote Mädchen Lügen Nicht" und ihre Darstellung der Selbsttötung hergefallen sind, bin ich gespannt, ob "Level X" ähnliche Reaktionen hervorrufen wird.

Fazit

"Level X" punktet vor allem durch den trockenen Humor der Ermittler. Sieland und Gorniak begegnen dem Thema Internet angenehm offen und ersparen dem Zuschauer einen weiteren peinlichen Cyberspace-"Tatort", wie es schon mehrere in dieser Saison gegeben hat. Dennoch werden auch hier viele Klischees mitgenommen und die gekünstelte, jugendliche Sprache ist mehr Fremdschämen als authentisch. Die Alles-wird-dokumentiert-Mentalität wird jedoch überzeugend dargestellt und ist ein relativ neues, aktuelles Thema, das im Sonntagskrimi noch nicht oft behandelt wurde. Trotz des ständigen Filmens, erfährt man allerdings nur sehr wenig über die Nebenfiguren, von denen viele nur eine Handvoll Sätze sagen dürfen. Besonders im Hinblick auf die ARD-Themenwoche "Woran glaubst du?" wäre es sinnvoll gewesen, einige Charaktere diese Frage tatsächlich beantworten zu lassen.


Nach dem "Tatort" zeigt die ARD das Finale der vierten "Sherlock"-Staffel "Das letzte Problem".
Am nächsten Sonntag gibt es dann die letzte "Tatort"-Erstausstrahlung in dieser Saison. In "Borowski und das Fest des Nordens" müssen die Ermittler Klaus Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) rätselhafte Morde während der "Kieler Woche" aufklären. Es ist außerdem der letzte Fall mit Sibel Kekilli als Kommissarin Brandt.

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