Samstag, 9. Juni 2018

Polizeiruf 110: In Flammen - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Sylvia Schulte (Katrin Bühring), die Oberbürgermeisterkandidatin der rechtspopulistischen PFS, wurde bei lebendigem Leib verbrannt. Der Rostocker Kripo-Chef Henning Röder (Uwe Preuss) ermahnt die Kommissare, besonders feinfühlig zu ermitteln. Bei Katrin König (Anneke Kim Sarnau) brennen jedoch schnell die Sicherungen durch, als sie auf Erik Meissner (Patrick von Blume, Tatort: Dunkle Zeit), den Ex-Mann des Opfers, trifft. Er wohnt zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Lilli (Lisa Hagmeister) und den gemeinsamen Kindern auf einem Bauernhof, der sehr traditionell und völkisch orientiert ist. Kommissar Alexander Bukow (Charly Hübner) kann die Sorgen der ländlichen Bevölkerung im Gegensatz zu seiner Kollegin verstehen. Das ohnehin schon angeschlagene Verhältnis der beiden Polizisten leidet unter ihren unterschiedlichen Ansichten. In ihrem Kriminalfall kommen sie jedoch relativ schnell voran: Karim Jandali (Atheer Adel) hatte sich am Tatabend mit dem Opfer gestritten. Der syrische Flüchtling war nicht nur der politische Berater von Sylvia Schulte, sondern auch ihr heimlicher Geliebter. Die Ermittlung spitzt sich dramatisch zu, als die Kommissare ihren Hauptverdächtigen aus Mangel an Beweisen freilassen müssen und anschließend mit dessen Entführung erpresst werden.

Zum Saisonende nochmal ein "Best of"

Ob sich die beiden noch kriegen?
Foto: NDR
...denn "In Flammen" wirkt wie eine Zusammenfassung der letzten zehn Sonntagskrimi-Monate. In nur wenigen Wochen gab es drei Fälle, in denen die Kommissare auf einem Öko-Bauernhof mit konservativen, teils rechtsextremen Bewohnern ermitteln mussten. Neben dem deutsch-polnischen Team ereilte dieses Schicksal auch die Kollegen vom Schwarzwald-"Tatort". Erst  am vorherigen Sonntag verschlug es die Münchener Kommissare zu einer Gruppe Reichsbürger aufs Land. Aber aller guten Dinge sind vier: Zum Saisonende dürfen auch Bukow und König unter Nazis auf einem Öko-Bauernhof ermitteln oder "unser braunes Bullerbü", wie es Volker Thiesler (Josef Heynert) nennt. Dass die beiden Polizisten dabei unterschiedliche Ansichten haben, ist auch nichts Neues. Bei Lenski und Raczek sowie Berg und Tobler gab es ebenfalls jeweils einen Ermittler, der Sympathien für die Bauern entwickelt hatte und einen, der sie und ihre Ansichten abstoßend fand. In Rostock spielen die völkischen Siedler jedoch nur eine kleine Rolle. Im Fokus des Falls steht die rechtskonservative Partei, der das Mordopfer angehörte. Allerdings gab es auch hier schon einen ähnlichen Krimi in dieser Saison: Im Dezember mussten die Bundespolizisten Falke und Grosz in "Dunkle Zeit" die Fraktionsvorsitzende einer rechten Partei schützen, nachdem sie Morddrohungen erhalten hatte. Damals spielte Patrick von Blume einen engen Vertrauten der Politikerin. In "In Flammen" ist er nun als Ex-Mann des Mordopfers, ebenfalls Politikerin, zu sehen. In Rostock bleiben alle Handlungsstränge und die dazugehörigen Nebencharaktere sehr oberflächlich und klischeehaft. Sowohl die rechten Politiker als auch die heimatverbundenen Siedler entsprechen genau der Vorstellung, die der durchschnittliche Zuschauer von diesen Personengruppen haben wird. Dadurch sind deren Aktionen leicht vorhersehbar, was der Geschichte den Wind aus den Segeln nimmt. Trotz der Entführung am Ende will nie so richtig Spannung aufkommen. 
Im Rostocker Kripo-Team herrscht Eiszeit
Foto: NDR/Christine Schroeder
"In Flammen" greift außerdem die Geschehnisse aus den vorherigen Fällen mit Bukow und König auf. In der vorletzten Folge war die Kommissarin fast von einem Mann vergewaltigt worden, den sie daraufhin nicht nur kampfunfähig, sondern halbtot geprügelt hatte. In "Einer für alle, alle für Rostock" beschönigte ihr Kollege die Erlebnisse und sprach sie von jeglicher Schuld frei. In der aktuellen Episode stehen die beiden Polizisten nun auf Kriegsfuß, denn König hat in der Zwischenzeit reinen Tisch gemacht und dadurch Bukows Falschaussage entlarvt. Nun wird gegen beide intern ermittelt. Seit ihrem ersten gemeinsamen Fall fliegen zwischen den beiden Rostocker Kommissaren die Fetzen. In dieser Folge wird wieder einmal nicht-ganz-so-unterschwellig deutlich gemacht, wo der ständige Konflikt eigentlich herrührt (Bukow zu einem Verdächtigen: "Wenn man ganz langsam begreift, dass die Frau, der du vertraust, die Frau, mit der du gerne Zeit verbringst, mit der du gerne Sex hättest... Weil du ganz langsam begreifst, dass diese Frau sich gegen dich entscheidet. Und dieser Schmerz, der bohrt sich in einen rein."). Nach mittlerweile 17 Fällen werden die Zankereien langsam, aber sicher langweilig. Die unterschiedlichen Ansichten zum Thema ländliche Bevölkerung werden platt getreten, um noch mehr Drama zwischen den beiden Protagonisten zu erzeugen. Das ist schade, da es begrüßenswert ist, das Thema aus zwei Perspektiven zu beleuchten. Dem real existierenden Problem der aussterbenden Dörfer wird der Krimi nicht gerecht, genauso wenig wie den komplexen Charakteren. Ein weiteres Beispiel für einen scheinbar grundlosen Konflikt ist das Mobbing gegen Kommissar Anton Pöschel (Andreas Guenther). Seit Jahren wird er von Kollegen und Boss mies behandelt, ohne dass die Drehbuchautoren dafür ein Motiv liefern (Nicht, dass ein Grund das Mobbing entschuldigen würde!). In dieser Folge will Kripo-Chef Röder nicht, dass Pöschel ein Verhör führt, weil er "übermotiviert" sei. Stattdessen dürfen die schlecht gelaunten, streitenden und unorganisierten Bukow und König ran, die sich mehr schlecht als recht durch den Tag schleppen. Auch wenn "Pöschi" kein sympathischer Charakter ist, so ein Verhalten hat er nicht verdient. Außerdem sollte Mobbing im Fernsehen nicht als unkommentiertes Mittel zum Zweck dienen, um Konflikte zu kreieren.

Zum Saisonende die überraschendste Auflösung

Pöschel (2.v.l.) befragt Mitarbeiter des Mordopfers
Foto: NDR/Christine Schroeder
"In Flammen" wirkt in jeder Hinsicht extrem emotional und dramatisch. Als sei die anstehende interne Ermittlung nicht schon stressig genug für die beiden Protagonisten, lässt Drehbuchautor Florian Oeller auch noch eine Entführung einfließen, die sich gezielt gegen die Kommissare richtet. Während ihr Seelenleben aber in praktisch jeder Szene präsent ist, bleibt die Geschichte vieler anderer Charaktere verborgen. So verhalten sich beispielsweise Schultes Mitarbeiter Dominik Wolf (Dietmar Horcicka) und Doris Wagner (Susi Banzhaf, Sankt Maik) wirklich auffällig. Doch die eine Person wird erst gegen Ende des Krimis kurz oberflächlich interessant, während die andere ganz verschwindet. Auch Lena Schulte (Pauline Rénevier), die Tochter des Mordopfers, scheint nur zu existieren, um Sendeminuten zu füllen. Trotz der vielen Charaktere gibt es kaum echte Verdächtige. Letztendlich ist das auch egal, denn "In Flammen" präsentiert den wohl überraschendsten Täter in dieser Saison. Ich lehne mich jetzt mal weit aus dem Fenster und sage: Ich glaube nicht, dass mehr als zwanzig Zuschauer den Mörder um 21:30 Uhr enttarnt haben werden. Weshalb ich mir da so sicher bin, kann ich an dieser Stelle leider nicht begründen, da es die komplette Handlung spoilern würde. Nur soviel: Die Auflösung passt nicht zu den Ermittlungen. Doch der Rostocker "Polizeiruf" wäre nicht der Rostocker "Polizeiruf", wenn es nicht auch viele positive Aspekte gäbe - zugegeben, weniger als in den vorherigen Folgen. Das größte Lob gilt der tollen Kameraarbeit von Jan Prahl. Die wenige Spannung in diesem Krimi wird fast ausschließlich über die fantastischen Bilder getragen - wie die Spiegelung des tödlichen Feuers im Lackschuh des Mordopfers. Auch die krassen Gegensätze werden toll inszeniert: Zuerst spricht die optimistisch und selbstsicher wirkende Sylvia Schulte vor jubelnden Anhängern, in der nächsten Einstellung, nur durch einen Schnitt getrennt, winselt sie gefesselt und weinend um ihr Leben. Außerdem bezieht der Rostocker "Polizeiruf" deutlicher Stellung zu den realen, aktuellen politischen Ereignissen als die vorherigen drei Krimis zum gleichen Thema (König: "Die armen Deutschen, die sich wieder Mal als Opfer von `denen da oben´ sehen - als besorgte Bürger, die Bautzen vergessen haben und denken, dass sie heute in einer Diktatur leben, `Wir sind das Volk!´grölen.`Wir sind das Volk!´, das haben doch mutige Menschen gerufen, Bukow, oder? Heute rufen das doch keine mutigen Menschen mehr - im Gegenteil!"). In den sozialen Netzwerken wird es also wieder eine kleine, braune Gruppe geben, die sich über angebliche "Volkserziehung", "Gehirnwäsche" oder "Propaganda" echauffiert. Die Tatsache, dass Bukow gegen seine Kollegin wettert und es somit ein relativ ausgewogenes Meinungsbild gibt, werden die "besorgten Bürger" wohl beflissentlich ignorieren (Bukow: "Wissen Sie, was `der größte Mindfuck der deutschen Geschichte´ ist? Dass so schlaue Leute wie Sie sich auf einen Gaul setzen, der rot angepinselt wurde und von da oben mit einer Moralgrütze über alles und jeden herziehen, der unter Ihnen sitzt."). Unterschiedliche Meinungen und ein differenziertes Bild waren schon immer Stärken des Rostocker Teams. Das beweisen sie in dieser Folge aufs Neue.

Fazit

"In Flammen" ist eine der schwächeren Folgen mit Bukow und König. Das liegt vor allem an der repetitiven Handlung, die in einer überraschenden, aber leider auch hanebüchenen, Auflösung endet. Außerdem bleiben sämtliche Nebencharaktere blass und stereotypisch, während die private Fehde der beiden Kommissare immer weiter dramatisiert und hochgeschaukelt wird. Die schlechte Stimmung im Rostocker Revier wirkt generell immer uninspirierter und langweiliger. Dennoch lohnt sich der Fall wegen der tollen Schauspieler und der großartigen Kameraaufnahmen. Weiterhin ist es toll, wie differenziert das Thema Radikalisierung der ländlichen Bevölkerung angegangen wird, ohne dabei gezwungen oder belehrend zu wirken. "In Flammen" ist ein guter Krimi, der jedoch nicht ganz das Rostocker Durchschnittsniveau erreicht.


Damit ist die Sonntagskrimi-Saison 2017/2018 leider vorbei. Während der Sommerpause werden wie jedes Jahr Wiederholungen der aktuellen Teams gezeigt. Neue Folgen gibt es dann voraussichtlich Ende August/Anfang September. 
"Watch.Read.Talk." macht hingegen keine Sommerpause. Wir posten auch weiterhin regelmäßig neue Beiträge. Nächste Woche erscheint beispielsweise unser Rückblick auf die Sonntagskrimi-Saison, in der wir die Fälle hervorheben, die uns am besten und am wenigsten gefallen haben. Hier findet ihr unsere Top/Flop-Liste der vorherigen Sonntagskrimi-Saison (2016/2017).

Folgt uns auf FacebookTwitter und Instagram, um diese und weitere Beiträge nicht zu verpassen.
Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.



0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen