Sonntag, 17. Dezember 2017

Tatort: Dunkle Zeit - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Nina Schramm (Anja Kling), die Fraktionsvorsitzende der rechten Partei "Neue Patrioten", bekommt regelmäßig Todesdrohungen. Eine ist so konkret, dass die beiden Bundespolizisten Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) zu Schramms Schutz abgestellt werden. Kurze Zeit später wird ihr Ehemann Richard (Udo Schenk) durch eine Autobombe getötet. Für die Witwe und ihre Partei ist klar: Hinter dem Attentat stecken Autonome, die den Wahlkampf behindern wollen. Schnell fassen die Ermittler die beiden linken Demonstranten Vincent Mark (Jordan Dwyer) und Paula Naumann (Sophie Pfennigstorf) ins Auge, doch auch Benjamin Reinders (Ben Braun), der Generalsekretär der Patrioten, scheint etwas zu verbergen.

Linksextreme gegen Rechtsextreme

Falke gegen Nina Schramm (M.)
Foto: NDR
Eins steht schon jetzt fest: Dieser "Tatort" wird polarisieren. Kaum war der Trailer veröffentlicht, gab es in den sozialen Netzwerken Dutzende Kommentare à la "zwangsfinanzierte Staatsmedien", "Lügenpresse", "Gehirnwäsche" und "Gleichschaltung". Die Krimi-Twitterer müssen sich also auf braune Brühe und Verschwörungstheorien einstellen. Aber hey, seht es positiv: Wenn sich rechte Accounts selbst zu erkennen geben, ist es leichter sie zu blockieren. Die Hasskommentare werden jedoch vermutlich von beiden Enden des politischen Spektrums kommen, denn auch die linke Szene wird, trotz Kommissar Falkes persönlicher Gesinnung, nicht besser dargestellt. An einer Stelle werden die Autonomen sogar mit der RAF verglichen. Erst vor wenigen Wochen hatte ein "Tatort" aus Stuttgart zu diesem Thema für Aufsehen gesorgt. "Dunkle Zeit"-Drehbuchautor und -Regisseur Niki Stein zeigt nachdrücklich, dass Extremismus immer schlecht ist, egal von welcher Seite. Das ist nicht der einzige wahre Kern dieses Krimis. Die Parallelen zur AfD, deren ehemaliger Parteivorsitzenden Frauke Petry, den Hetzparolen der rechten Seite und den ausartenden Demonstrationen der Autonomen sind klar erkennbar (Nina Schramm: "Weil sie Angst haben vor uns! Weil wir die Wahrheit sagen! Weil wir das Versagen der alten Eliten öffentlich machen!"). Vor gerade einmal drei Wochen lief der vorherige Fall von Falke und Grosz. In "Böser Boden" ermittelten die beiden inmitten von grotesk geschminkten Dorfbewohnern, die durch Fracking-Nebenprodukte zu Zombies wurden. Während dieses Szenario recht lächerlich wirkte, ist "Dunkle Zeit" beunruhigend realistisch. Es handelt sich dabei nicht wirklich um einen Krimi, da die Tätersuche in Vergessenheit gerät und viele typische Elemente, wie der Besuch im Leichenschauhaus oder die "Wo waren Sie zwischen x und y Uhr?"-Verhöre, fehlen. Stattdessen könnte die Folge gut als Politthriller bezeichnet werden. Die Gesinnungen aller Beteiligten spielen eine wichtige Rolle und obwohl die Handlung sehr dialoglastig ist, gibt es einige actionreiche Szenen, wie die, in der sich schwer bewaffnete Polizisten eine Schießerei mit den linken Verdächtigen liefern.

Wer ist der Täter?

Überlegter Kopf & impulsiver Bauch: Grosz & Falke 
Foto: NDR/Christine Schroeder
Wirklich neutral bleibt bei diesem politischen Pulverfass nur Kommissarin Grosz, die mit gewohnt emotionsloser Miene und klarem Verstand ermittelt, obwohl es ihr nicht einfach gemacht wird (Nina Schramm: "Am Ende werden Sie sich fragen, warum Sie das gemacht haben, ihr Leben geopfert: Kein Mann, keine Kinder, immer nur im Dienst."). Sie bleibt auch gegenüber ihres Kollegen Falke noch immer sehr distanziert und schlägt sein Angebot, zum "Du" überzugehen, aus. In diesem "Tatort" ist jedoch keine Figur darauf ausgerichtet, sympathisch zu sein. Die einen pöbeln herum und hauen gern mit der Faust (oder mehr) auf den Tisch - wie Falke und die linke Extremistin Paula. Die anderen beschimpfen jeden, der ihnen derzeit nichts nutzt und lügen mit falschem Lächeln in alle Kameras - wie Nina Schramm und der rechtsextreme "Journalist" Peter Roman (Wilfried Hochholdinger). Dann wären da noch die Neutralen wie Grosz, die keine klare Stellung beziehen und mal mit den einen, mal den anderen solidarisieren. Außerdem diejenigen, die ungefiltert das nachplappern, was sie irgendwo aufgeschnappt haben - wie Falkes Sohn Torben (Levin Liam). Richtig sympathisch ist keiner von ihnen. Dafür sind die Charaktere realistisch, wenn auch an einigen Stellen etwas stereotyp. Wie der junge, motivierte Generalsekretär, der mal wieder so spricht, wie sich der "Tatort"-Altersdurchschnitt Jugendslang vorstellt und damit kolossal daneben liegt ("PR-mäßig ist das natürlich splendid! Tweet ist schon raus."). Den Darstellern ist anzumerken, wie sie in der Geschichte aufgehen und sich Mühe geben, den politischen Konflikt und die Motive ihrer Rollen realistisch darzustellen. Besonders Anja Kling als Parteivorsitzende der "Neuen Patrioten" hat mir einen Schauer über den Rücken gejagt. Ich fand sie aber nicht ganz so überzeugend wie Natalia Wörner, die in der zweiten Staffel "Berlin Station" ebenfalls die Vorsitzende einer rechten Partei im Bundestagswahlkampf spielt. Ihre Reden wirkten deutlich kraftvoller, enthusiastischer und mitreißender, was sie und ihre Botschaft noch gefährlicher wirken ließ.
Paula manipuliert den naiven Mitläufer Vincent
Foto: NDR/Christine Schroeder
Das einzige, was mir an "Dunkle Zeit" überhaupt nicht gefallen hat, ist die Auflösung des ohnehin schon wenig beachteten Mordfalls. Dass letztendlich gleich mehrere Personen aus unterschiedlichen Kreisen in den Tod von Richard Schramm verwickelt sind, ist kein großer Spoiler. Allerdings waren mir die Verbindungen zu nebulös, um tatsächlich nachvollziehen zu können, wer welche Rolle und welches Motive hatte (Kriminaldirektorin Luisa Salvoldi (Clelia Sarto): "Gehen wir davon aus, der Anschlag galt vor allem Nina Schramm. Wer profitiert davon?" Falke: "Deutschland."). Außerdem wird der Fall künstlich in die Länge gezogen, da der Verfassungsschutz ein wichtiges Beweisstück von Anfang an hat, es Falke aber erst kurz vor Ende des "Tatorts" vorspielt. Weiterhin hat eine der in den Mord verwickelten Personen die Seiten gewechselt oder das zumindest vorgegeben. Auch ihre Motive und ihre wahre Sichtweise bleiben im Dunklen. Der Anschlag auf Professor Gerhard Schneider (Patrick von Blume), ein weiteres hohes Parteimitglied, bleibt ebenfalls ohne Erklärung. So interessant die Darstellung des politischen Konflikts auch ist, sie entschuldigt nicht für eine mangelhafte Auflösung. 

Fazit

"Dunkle Zeit" ist kein klassischer "Tatort". Die Folge ist jedoch gut gemacht und ereignisreich, sodass es ziemlich egal ist, zu welcher Fernsehreihe sie gehört. Der politische Konflikt wird ausführlich und von verschiedenen Seiten beleuchtet, ohne unnötig Vorurteile zu schüren oder eine Gesinnung zu bevorzugen. Die Charaktere sind abwechslungsreich und geben einen guten Überblick über die unterschiedlichen Motive und Gedankengänge der einzelnen Gruppierungen. Bei so viel Realismus und Politthriller gerät der Kriminalfall schnell in Vergessenheit und wird letztendlich nur halbherzig aufgeklärt. Das Schicksal einiger Figuren und ihre Rollen im Mordkomplott bleiben im Dunklen. So endet dieser "Tatort" leider eher schwach, obwohl der Rest der Handlung spannend und interessant ist.


Am nächsten Sonntag ist Heiligabend, aus diesem Grund läuft kein Sonntagskrimi. Wie immer gibt es jedoch eine Erstausstrahlung am zweiten Weihnachtsfeiertag. Am Dienstag, den 26. Dezember ermittelt das Team aus Weimar. Kira Dorn (Nora Tschirner) und ihr Kollege Lessing (Christian Ulmen) verfolgen in "Der wüste Gobi" einen verurteilten dreifachen Frauenmörder, der aus der Psychiatrie geflohen ist.

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