Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.
Das Rostocker "Polizeiruf"-Team Katrin König (Anneke Kim Sarnau) und Alexander "Sascha" Bukow (Charly Hübner) ermittelte zuletzt an Neujahr in der Folge "Angst heiligt die Mittel". Wer den Fall aufgrund von Kater oder Schlafmangel verpasst hat, sollte ihn schnellstmöglich nachholen, denn "Einer für alle, alle für Rostock" geht auf das spektakuläre Ende des Vorgängers ein. König und Bukow sollen offiziell aussagen, was sich bei der Festnahme des Vergewaltigers Martin Kukulies zugetragen hat. Bukow und der Chef der Mordkommission Hennig Röder (Uwe Preuss) möchten die Wahrheit zugunsten ihrer Kollegin beschönigen. König will hingegen zugeben, dass sie den Straftäter öfter geschlagen hat, als es zur Verteidigung notwendig gewesen wäre. Außerdem muss das Team herausfinden, wer Fußballfan Olaf Putensen (Steffen C. Jürgens) vor einen Lkw gestoßen hat. Dabei begeben sie sich ins Ultra-Milieu des Vereins "Rostock Red".
Katrin König hat die Stelle beim LKA in Berlin abgelehnt und kommt nach einer sechswöchigenAlles gut?"; König: "Tja, die ersten drei Selbstmordversuche haben nicht geklappt, aber ich werde jeden Tag besser."). Etwas anderes als ihr Galgenhumor bleibt den Kommissaren auch nicht wirklich. Bukow, der von Folge zu Folge ungepflegter und unberechenbarer wird, kommt besoffen zur Arbeit und erbricht nach einer Verfolgungsjagd. Auch seine Kollegin ist dem Alkohol nicht abgeneigt und scheint die Geschehnisse der letzten Folge noch nicht verarbeitet zu haben. Als sich die beiden Kommissare abends in einer Bar volllaufen lassen, kommen sie sich zum wiederholten Mal in ihrer gemeinsamen "Polizeiruf"-Zeit näher. "Tanzen Sie mit mir.", fordert König ihren Kollegen auf, der erwidert: "Ich kann nicht tanzen." Eine ganz ähnliche Szene gab es bereits 2014 in einem anderen NDR-Sonntagskrimi, dem "Tatort - Die Feigheit des Löwen"mit den Ermittlern Thorsten Falke und Katharina Lorenz. Die "Polizeiruf"-Version ist deutlich weniger romantisch, dafür umso lustiger."Dann stellen Sie sich in die Mitte und ich tanz' um sie rum.", fordert König genervt. Was folgt ist eine seltsame Mischung aus Liebeserklärung, Beschimpfung und Resignation ihrerseits. Er fasst sich kürzer: "Das ist jetzt auch keine Liebeserklärung, aber Frau König: Sie sind inzwischen der Mensch auf der Welt, der mir am meisten bedeutet." Nur wenige Filmminuten später, sind Bukow dann plötzlich auch wieder seine beiden Söhne wichtig. Er stellt nämlich fest, dass seine Exfrau Vivian (Fanny Staffa) und sein Kollege Volker Thiesler (Josef Heynert) mittlerweile zusammengezogen sind und befürchtet, sie könnten ihm die Söhne wegnehmen.
Auszeit zurück zur Rostocker Mordkommission. Ihre männlichen Kollegen scheinen nicht so recht zu wissen wie sie mit der fast-vergewaltigten Kommissarin umgehen sollen. In vielen anderen Sonntagskrimis enden solche Szenarien in Zickereien oder peinlicher Stille. In Rostock dominiert, wie immer, der rustikale schwarze Humor (Bukow: "
Auch professionell haben es die Ermittler mit einem sehr speziellen Pärchen zu tun. Das Mordopfer Olaf Putensen hatte vor sieben Jahren gemeinsam mit Doreen Timmermann (Lana Cooper) gegen deren damaligen Lebensgefährten Stefan Momke (Lasse Myhr) ausgesagt. Alle drei gehörten zu den "Red Rostock"-Ultras und waren an einer Schlägerei beteiligt, bei dem der Polizist Erik Kaschau (Jan Hasenfuß) so heftig misshandelt wurde, dass er dauerhafte Schäden davontrug. Timmermann und Putensen hatten Momke die volle Schuld zugeschoben. Nun ist er aus dem Gefängnis entlassen worden und stellt fest: Seine ehemalige Freundin hat mittlerweile die Ultraszene verlassen, geheiratet und kümmert sich mal mehr, mal weniger taktvoll, um ihren kleinen Sohn Thore (Louis Christiansen). Als das ehemalige Paar aufeinander trifft, fließt sowohl Blut als auch Leidenschaft. Lasse Myhr und Lana Cooper sind in ihren Rollen grandios. Man nimmt ihnen sowohl Verletzlichkeit und Einsamkeit als auch Blutrausch und Hass ab. Sie spielen ihre Charaktere so vielschichtig, dass ich mich mehrfach umentschieden habe, ob ich sie nun ein bisschen sympathisch oder total unsympathisch finde. Es ist außerdem eine nette Abwechslung eine weibliche Figur zu sehen, die sowohl äußerst brutal und kaltherzig als auch eine liebende Mutter ist.
Leider sind die Charaktere an einigen Stellen, aufgrund von Entscheidungen hinter der Kamera, nicht ganz stimmig. Doreen Timmermann hat ein Friseurgeschäft. Das heißt übrigens Haarpune (ist ein ziemlich unkreativer Name, wird im Laufe der Handlung aber noch wichtig sein). Das Schild an der Eingangstür zeigt auf der einen Seite das Wort "OFEN", auf der anderen "KLOSETT". Das mag ein kleiner Gag der Setdesigner sein, passt aber nicht wirklich zu der Charakterisierung von Doreen, die ansonsten weder als dumm noch als Witzbold dargestellt wird. Es ist auch nicht stimmig, dass sie als ehemaliger Ultra ihren Sohn Thore(!!!) vom Fußball spielen abhält, um Flöte zu üben. Der kleine Louis Christiansen stellt dabei die Rolle des begeisterten Nachwuchskickers mit so viel Spaß und Energie dar, dass es eine Freude ist ihm zuzuschauen.
"Wir machen uns kaputt!"
In Rostock fliegen die Fäuste
Foto: NDR
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Auszeit zurück zur Rostocker Mordkommission. Ihre männlichen Kollegen scheinen nicht so recht zu wissen wie sie mit der fast-vergewaltigten Kommissarin umgehen sollen. In vielen anderen Sonntagskrimis enden solche Szenarien in Zickereien oder peinlicher Stille. In Rostock dominiert, wie immer, der rustikale schwarze Humor (Bukow: "
"Wir sind nicht gut füreinander!"
Doreen mit Mann (Frederic Linkemann) und Sohn
Foto: NDR/Christine Schroeder
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Wiedersehensfreude bei Doreen und Stefan
Foto: NDR/Christine Schroeder
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Und die Moral von der Geschicht'...
Kaum ein Sonntagskrimi kommt ohne Sozialkritik aus. "Einer für alle, alle für Rostock" beschäftigt sich weniger mit einem klaren Thema, dafür werden zentrale Sinnfragen angesprochen. Als roter Faden zieht sich Katrin Königs Zwiespalt durch den "Polizeiruf": Soll sie die Wahrheit sagen und wegen eines Vergewaltigers ihre Karriere riskieren oder ihre Werte als Polizistin verraten und mit einer Lüge leben? Letztendlich scheint sie sich für die erste Option zu entscheiden. Bukow hingegen ist bereit eine Falschaussage zu machen und schreckt auch nicht davor zurück Zeugen und Verdächtige hart anzugehen ("Ich bin auch froh, dass nicht alle meine Festnahmen gefilmt wurden."). Diese Gegensätzlichkeit, die in den älteren Folgen noch deutlich stärker vorhanden war, macht das Duo zu meinem liebsten "Polizeiruf"-Team. Selbst der sonst eher besonnene Thiesler verteidigt eine Falschaussage: "Willst du, dass wir jedes Mal "Mea Culpa" schreien, wenn wir so eine blöde Drecksau ein bisschen hart anfassen?" Ich bin gespannt, inwieweit auf diese Einstellung innerhalb des Teams in den nächsten Folgen eingegangen wird.
Evelyn pflegt seit Jahren ihren Mann Erik (hinten)
Foto: NDR/Christine Schroeder
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Auch an anderen Stellen werden gesellschaftskritische Themen angesprochen. Sehr einprägsam ist die Szene, in der die Ermittler den Polizisten Erik Kaschau besuchen, der vor Jahren von den Ultras zusammengeschlagen wurde. Seine Frau Evelyn (Anna König) ist verzweifelt, da sie eine Betreuung ihres schwer behinderten Mannes nicht finanzieren kann und nach all den Jahren der Pflege am Ende ihrer Kraft ist. Besonders ergreifend und vermutlich leider sehr realitätsnah ist ihre Schilderung des sozialen Umfelds: "Alle waren tief betroffen. Haben uns hoch und heilig versichert, dass sie uns unterstützen. Das Amt, die Kollegen, unsere Freunde... und jetzt lässt sich außer Rico [Eriks bester Freund und sein Polizeikollege] keiner mehr blicken." Es ist schade, dass Evelyn nur wenige Szenen hat. Ihre Hassliebe ihrem behinderten Mann gegenüber ist auf der einen Seite erschreckend, auf der anderen zum Teil auch verständlich. Anna König stellt diesen Zwiespalt lebendig dar und es wäre wünschenswert gewesen dem Charakter mehr Zeit zur Entfaltung zu geben. Es ist interessant, dass ein wichtiger gesellschaftlicher Aspekt nur kurz angesprochen wird. Normalerweise ist eine solche Thematik der Grundstein des Sonntagskrimis, um den dann ein Mordfall gesponnen wird.
Fazit
"Einer für alle, alle für Rostock" punktet vor allem durch interessante Charaktere und starke Darsteller. Der Kriminalfall selbst ist nur mäßig spannend und das Opfer wird so selten thematisiert, dass ich den Namen für diese Rezension noch einmal nachgucken musste. Auch auf das eigentliche Thema, Fußball-Ultras, wird nur oberflächlich eingegangen. Hätte der Film im Rockermilieu oder in jeglicher anderen gewaltbereiten Gruppierung gespielt, wäre die Handlung wohl nicht viel anders gewesen. Die sozialkritischen und moralischen Fragen sind sehr eindringlich und dennoch dezent gehalten. Weniger dezent sind die bissigen Dialoge und amüsanten Oneliner, die jetzt schon die Vorfreude auf den nächsten Fall wecken. "Einer für alle, alle für Rostock" ist eine gute "Polizeiruf"-Folge, zählt aber nicht zu den Besten des Rostocker Teams.
Nächste Woche ist Pfingstsonntag, daher läuft eine Wiederholung des Münsteraner "Tatort - Schwanensee" von 2015. Am Pfingstmontag kommt dann wieder eine Erstausstrahlung. In "Amour fou" müssen die Berliner Kommissare Nina Rubin und Robert Karow den Mord an einem schwulen Lehrer aufklären, der in seinem Garten verbrannt ist.
Und noch ein Tipp für alle Krimifans: Nach beiden "Tatorten" läuft jeweils die Erstausstrahlung einer neuen "Sherlock"-Folge.
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