Sonntag, 3. Juni 2018

Letztendlich sind wir dem Universum egal - Buch vs. Film

- Der folgende Text enthält Spoiler -

Am 31. Mai ist der Film "Letztendlich sind wir dem Universum egal" in den deutschen Kinos angelaufen, der auf dem gleichnamigen Jugendbuch von David Levithan basiert. Ich habe den Roman kurz vor dem Kinostart gelesen und werde in diesem "Buch vs. Film" beide Versionen miteinander vergleichen. 

Seit A sich erinnern kann, wacht er (da es im Deutschen kein passendes Pronomen wie das englische "they" gibt, werde ich mich in diesem Text immer auf "er" beziehen und orientiere mich dabei auch an der Inhaltsangabe des Buches) jeden Morgen in einem anderen Körper auf. Die einzigen Dinge, die er weiß: Es ist immer eine Person im gleichen Alter wie er und nie jemand, der zu weit vom letzten Körper entfernt wohnt. So hat er schon viele Leben für einen Tag gelebt. Dabei ist er immer darauf bedacht, so wenig wie möglich zu verändern oder durcheinanderzubringen. Doch dann wacht er in Justin (Justice Smith) auf und trifft auf dessen Freundin Rhiannon (Angourie Rice, Mako). Er verliebt sich sofort in sie, obwohl er weiß, wie aussichtslos die Lage ist. Jeden Tag versucht er, sie wiederzusehen, jedes Mal in einem anderen Körper. Letztendlich verrät er ihr sein Geheimnis, das er noch nie jemandem anvertraut hat. Für Rhiannon ist das anfangs zu viel zu Verarbeiten. Erst langsam versteht sie, dass sie es tatsächlich immer mit derselben Person zu tun hat, die immer in einem anderen Körper steckt. Sie merkt, dass sie Gefühle für A entwickelt, aber kann sie wirklich eine Person lieben, die jeden Tag in einer komplett anderen Person steckt? 


Perspektiventausch für die Verfilmung

Kann diese Liebe wirklich funktionieren?
Foto: Orion Pictures
Der größte Unterschied zwischen dem Roman und der Adaption ist die Erzählperspektive. Während die komplette Geschichte im Buch aus As Sicht abläuft, verfolgen die Zuschauer beim Film größtenteils Rhiannons Leben. Die einzigen Szenen, in denen A alleine zu sehen ist, sind die, in denen er morgens aufwacht und sich mit seinem jeweiligen Körper vertraut macht. Nur als er in Rhiannons Körper landet, bekommt der Zuschauer etwas mehr Einblicke in sein Leben beziehungsweise wie er ihr Leben führt. Diese Änderung hat mich überrascht. Gerade As Leben macht das Buch so besonders und einzigartig. Als Leser erlebt man ihn jeden Tag in einem anderen Körper. Seine Ansichten sind wirklich spannend zu lesen, weil er schon so viel erlebt hat und so viel kennt. Das alles genauso überzeugend auf die Leinwand zu bringen, ist sicherlich schwer. Doch ich hatte gehofft, dass sich der Film mehr auf As Leben konzentriert. Dadurch, dass der Fokus eher auf Rhiannon liegt, wirkt die Adaption mehr wie ein typischer Liebesfilm mit einem besonderen Twist in Form von A. Das ist schade. Ich muss allerdings sagen, dass mich die schauspielerische Leistung der vielen verschieden Darsteller von A durchweg überzeugen konnte. Sie alle haben es geschafft, dass man ihn in ihnen wiedererkennt. Auch deshalb ist es ärgerlich, dass der Zuschauer viel mehr vom Alltag der Sechzehnjährigen sieht, in die er sich verliebt hat. Teilweise sind da Szenen und Charaktere bei, die nicht wirklich etwas zur Geschichte beitragen und fehl am Platz wirken. So konnte ich mit Rhiannons Schwester Jolene (Debby Ryan), die extra für den Film hinzugefügt wurde, nicht wirklich etwas anfangen. Die einzigen Momente mit ihr sind die gemeinsamen Autofahrten zur Schule. Sie hört die meiste Zeit nur halb gelangweilt zu und wirkt dabei immer, als wäre sie halb betrunken. Bis zum Ende gibt es keinen einzigen Augenblick, der zeigt, wieso sie ein wichtiger Teil der Geschichte sein soll. 
Jolenes Charakter hätte auch wegfallen können
Foto: Screenshot Trailer
Während dieser im Buch nicht existente Teil Platz im Film bekommt, wird ein interessanter Teil aus dem Roman stark reduziert: Nathans (Lucas Jade Zumann) Geschichte. Nachdem A in seinem Körper war, glaubt er, der Teufel hätte Besitz von ihm ergriffen. Er lässt nicht locker, um herauszufinden, was mit ihm passiert ist und wirft damit große Wellen. Dutzende Foren und Nachrichtensender thematisieren seine Story, was A natürlich Sorgen bereitet. Diesen Vergleich zu einer dämonischen Besessenheit fand ich im Buch sehr spannend. Besonders mysteriös wird es aber, als er eine Person trifft, die angeblich genauso ist wie er selbst. Ob das letztendlich stimmt oder nicht, wird offen gelassen. Das alles gibt dem Leser aber wirklich zu denken, was genau A eigentlich sein könnte. Der Roman zeigt dadurch auch negative Aspekte auf, als A selber darüber nachdenkt, wie er sich jeden Tag ungefragt in das Leben einer Person drängt und es jederzeit drastisch verändern könnte. Das alles bleibt in der Verfilmung sehr oberflächlich. Ab der Hälfte wird das Thema quasi fallen gelassen, Nathan komplett aus der Handlung verdrängt und sich nur noch auf die Liebesgeschichte konzentriert.
Rhiannon liebt A, doch reicht das für eine feste Beziehung?
Foto: Screenshot Trailer
Eine Änderung, die mir bei dem Film allerdings gut gefallen hat, ist das Ende. Im Buch wird es schon während der Geschichte verständlich, wieso sich A schließlich gegen die Beziehung entscheidet. Immer wieder spricht er darüber, dass er die Leben, in die er schlüpft, so wenig wie möglich durcheinanderbringen möchte. Als Leser bin ich fest davon ausgegangen, dass er die Idee, einen Körper einfach nicht mehr zu verlassen und damit das Leben dieser Person zu stehlen, niemals durchziehen wird. Da der Film allerdings alle seine Gedanken zu diesem Thema fast komplett ausradiert, wäre die Entscheidung für die Zuschauer wahrscheinlich weniger nachvollziehbar gewesen. Daher fand ich es gut, dass er für ein paar Tage wirklich in Alexanders (Owen Teague) Körper bleibt und dadurch versteht, wie falsch diese Lösung ist. Die Szene, in der A in dessen Körper nach Hause kommt und die Familie auf ihn gewartet hat, um dessen Geburtstag zu feiern, war sehr eindrücklich. Erst dann realisiert A wirklich, dass er ein Leben an sich reißt, das ihm nicht gehört. 

Tiefgang des Buches fehlt im Film

A im Körper des transsexuellen Vic (Ian Alexander)
Foto: Screenshot Trailer
Das Thema der dämonischen Besessenheit bleibt nicht der einzige Aspekt, der relativ oberflächlich behandelt wird. Ärgerlich ist das vor allem dann, wenn das Potential vorhanden ist, genauer auf bestimmte Dinge einzugehen. Einmal wacht A beispielsweise im Körper eines Blinden auf. Diese Szene dauert nicht einmal eine halbe Minute und will dem Zuschauer lediglich veranschaulichen, dass die Person blind ist. Das wirkt wirklich sehr lieblos eingefügt, als wäre es nur mit in den Film gepackt worden, um zu zeigen: A kann auch in Menschen aufwachen, die mit Behinderungen leben. Schade nur, dass dann gar nicht gezeigt wird, wie A damit umgeht. Im Buch erzählt er Rhiannon von seinen Erfahrungen, die er gemacht hat, als er in Menschen gelebt hat, die blind waren.
Rhiannon ahnt nicht, dass Justin gerade nicht er selbst ist
Foto: Screenshot Trailer
Generell ist A im Buch öfter in "problematischen" Körpern, sei es in dem eines Drogenabhängigen, eines stark Übergewichtigen oder auch in dem eines "bösen" Mädchens, das von allen gefürchtet wird. Das macht seinen Charakter sehr interessant, weil man mitbekommt, wie er damit umgeht. Einerseits spricht er mit dem Leser über seine bisherigen Erfahrungen, die er bereits gemacht hat. Andererseits erlebt man dann auch noch in konkreten Situationen, wovon er zuvor gesprochen hat. Außerdem sind seine Beschreibungen, wie sich die Körper anfühlen, immer sehr anschaulich und verständlich. Dadurch glaubt man als Leser wirklich, zu verstehen, wie es ihm gerade ergeht. Diese ganzen spannenden Stellen wurden für den Film entfernt. Dadurch wirkt A als Charakter immer sehr weit weg. Der Zuschauer weiß kaum, was er denkt und wie er sich fühlt. Das alles sorgte dann dafür, dass ich in die Liebesgeschichte deutlich weniger investiert war als im Buch. Die Figuren sind dort einfach greifbarer, vor allem A. 
A ist im Buch viel interessanter
Foto: S. Fischer Verlag
Im Roman gibt es die sehr emotionale und eindrückliche Handlung, als A im Körper der depressiven, suizidgefährdeten Kelsea (Nicole Law) aufwacht. Durch die sehr bildlichen und ausführlichen Beschreibungen wird dem Leser gut verständlich gemacht, wie so eine Krankheit im Inneren einer Person aussehen kann. Diese Zeilen zu lesen war wirklich intensiv, weil ihre Gedanken so hoffnungslos und finster sind. Als A dann herausfindet, dass sie in wenigen Tagen Selbstmord begehen will, beschäftigt ihn das sehr und er sucht verzweifelt nach einem Weg, es zu verhindern. Diese Stelle hat bei mir einen starken Eindruck hinterlassen und mich wirklich berührt. Anders im Film: Dort wird die Thematik schwächer abgehandelt und die Lösung wirkt hier zu "einfach". Auch wenn es in beiden Fällen damit endet, dass A ihrem Vater alles erzählt und damit für sie Hilfe holt, wird über das Thema im Roman wirklich geredet, während das im Film so gut wie nicht passiert. Der Zuschauer erhält kaum einen Einblick, wie es in ihrem Inneren aussieht und die Szenen konnten mich nicht so sehr berühren, wie es der Roman geschafft hat. In der Adaption wirkt es daher leider einfach so als wäre diese Krankheit mit eingebaut worden, weil gerade durch die erfolgreiche "Netflix"-Serie "Tote Mädchen lügen nicht" verstärkt darüber geredet wird. Damit wird es zwar erwähnt, bleibt aber vollkommen oberflächlich. Immer dann, wenn es zu Tiefgang kommen könnte, wird das im Film schnell abgehandelt. So fragt Rhiannon A auch in einem ruhigen Moment, ob er sich mehr als Junge oder Mädchen fühlt. A antwortet nur halb im Scherz mit "Ja", dann ist die Szene auch schon vorbei. Im Buch werden Aspekte wie dieser deutlich ausführlicher behandelt, wodurch der Leser auch die Charaktere sehr viel besser versteht als der Zuschauer sie während des Films. 

Fazit

Während sich die Verfilmung zwar inhaltlich größtenteils an die Romanvorlage hält, fehlt es ihr an einigen Stellen an Tiefgang. Das Besondere an der Geschichte ist, dass der Hauptcharakter jeden Tag in einem anderen Körper aufwacht, doch der Film konzentriert sich mehr auf das Leben des Love Interests. Dadurch wirkt die Adaption an viele Stellen wie ein typischer Liebesfilm. Außerdem werden Charaktere eingefügt, die im Buch gar nicht oder kaum vorkommen, während dadurch andere interessantere Handlungen des Romans weniger Platz in der Adaption bekommen. Es kommen zwar auch ernste Themen wie Depressionen vor, doch anders als im Buch bleiben auch diese Stellen eher oberflächlich. Statt sich wirklich mit ihnen auseinanderzusetzen, scheinen sie eher nur deshalb mit eingebaut worden zu sein, damit sie vorkommen. Auch wenn der Film für sich allein stehend eine schöne Liebesgeschichte erzählt, konnte mich das Buch letztendlich viel mehr berühren.


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1 Kommentar:

  1. ich kann deine Meinung gut vertreten und es hat mich gefreut das zu lesen

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