Sonntag, 27. Mai 2018

Tatort: Schlangengrube - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann) und ihre schwer kranke Nachbarin Patrizia Merkens (Lilia Lehner) liegen schon lange im Dauerclinch. Als die Katzenliebhaberin durch einen Treppensturz in ihrer eigenen Wohnung stirbt, vermutet Staatsanwältin Ungewitter (Tessa Mittelstaedt), dass ihre Kollegin Klemm nachgeholfen hat. Kommissarin Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) glaubt nicht an die Theorie und sieht sich im "Allwetterzoo Münster" um, dem die Tote einen Großteil ihres Vermögens vermacht hat. Laut Pflegerin Henny Neubert (Julischka Eichel) soll Merkens dort täglich mehrere Stunden die Tiere gezählt haben, da sie vermutete, dass einige verschwunden seien. Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl), der eigentlich mit seinem Vater Herbert (Claus D. Clausnitzer) in den Urlaub fahren wollte, geht undercover als Aushilfspfleger im Zoo auf Spurensuche. Steckt Tierarzt Dr. Gremlich (Dirk Martens) hinter den Tierdiebstählen oder sogar Zoodirektor Dr. Schönweis (Felix Vörtler, Polizeiruf 110: Starke Schultern)? Rechtsmediziner Prof. Dr. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) versucht währenddessen den Medienmogul und Gourmet Dr. Richard Stockmann (Robert Hunger-Bühler) von seinen Kochkünsten zu überzeugen, um seine eigene Fernsehshow zu bekommen. Stockmann produziert auch die Tiersoap von Filmemacher Henry Schlör (Thomas Arnold, Tatort: Tollwut), die im Zoo gedreht wird. Kann das ein Zufall sein?

Münster, wie es leibt und lebt

Es gibt nicht nur menschliche Opfer
Foto: WDR
Das Trio Thiel, Krusenstern und Boerne hat seit Jahren konstant hohe Einschaltquoten und bricht regelmäßig Zuschauerrekorde. Warum? Ein Grund könnte sein, dass der Münsteraner "Tatort" im Gegensatz zu allen anderen Städten immer demselben simplen Muster folgt: Ein skurriler Mordfall, in den Boerne indirekt verwickelt wird; schräge Verdächtige mit albernen oder schwer auszusprechenden Namen; keine Bezüge zu vergangenen Fällen des Teams und einseitige Protagonisten, die anhand einer Eigenschaft definiert werden (Thiel ist ein Proll, Boerne ein Schnösel, Silke Haller (ChrisTine Urspruch) kleinwüchsig, "Vaddern" kifft und Klemm raucht). So bieten die Krimis aus der Fahrradstadt zwar keinerlei Überraschung, Spannung oder Innovation, aber der Zuschauer weiß, worauf er sich einlässt. Im vorherigen Fall "Gott ist auch nur ein Mensch" wollte der Rechtsmediziner beispielsweise unbedingt Künstler werden und hat alles daran gesetzt, einen bekannten Kunstschaffenden von sich zu überzeugen. Exakt dasselbe geschieht auch in "Schlangengrube", nur dass Boerne diesmal als Koch groß rauskommen will. Angenehmerweise nimmt diese Nebenhandlung jedoch deutlich weniger Raum ein als im letzten "Tatort". Für Münsteraner Verhältnisse halten sich die persönlichen Befindlichkeiten der Charaktere dieses Mal generell eher im Hintergrund. Staatsanwältin Klemms Verwicklungen in den Fall spielen schon nach 20 Minuten kaum noch eine Rolle, genauso wie die Kochversuche des Professors. Lediglich Thiels Urlaubspläne werden zwischendurch immer wieder aufgewärmt, obgleich wohl jedem Zuschauer klar sein müsste, dass der Hauptkommissar nicht nach Amsterdam radeln und seine Kollegen alleine lassen wird. Das wäre eine zu große Veränderung des Münsteraner Grundkonzepts! Schade eigentlich, denn Nadeshda darf in „Schlangengrube“ deutlich mehr Verantwortung übernehmen als sonst und beweist durch ihre lockere Art und ihre harmonischen Witzeleien mit Thiel, dass sie eine größere Rolle wirklich verdient hätte (Krusenstern: "'Fleisch + Blut', das ist ja mal ein schöner Name für eine Metzgerei. Obwohl, ne sorry, Meatshop heißt das ja jetzt." Thiel: "Na, wenn da den Veganern von 'Blatt + Satt' dahinten mal nicht der Appetit vergeht!"). Übrigens: Wegen der Schwangerschaft von Friederike Kempter wird erst Ende 2018 wieder gedreht, weshalb "Schlangengrube" in diesem Jahr der einzige neue Fall aus Münster ist. Wo Thiels Kollegin mehr Screentime bekommt, wird bei Boernes eingespart: Von der stets gut gelaunten, sympathischen Frau Haller ist in dieser Folge nur wenig zu sehen – gegen Ende des Krimis verschwindet sie sogar ganz. Aber leider ist auch die Missachtung der wichtigen Nebencharaktere ein typisches Merkmal des Teams.

Schräg, doch trotzdem unterhaltsam

Glücklicher hat der Zuschauer Thiel selten gesehen
Foto: WDR/Thomas Kost
Normalerweise kommt auch der Fall deutlich zu kurz. Drehbuchautor Jan Hinter gelingt es in "Schlangengrube" jedoch, die Waage zwischen Klamauk und Krimihandlung ausgeglichen zu halten. Der ein oder andere lahme Witz bleibt dem Zuschauer nicht erspart (Krusenstern: "Es gibt für alles zahlungskräftige Abnehmer - selbst für hässliche Vögel und giftige Schlangen." Thiel: "Sie meinen, es gibt noch Hoffnung für mich?"), generell steht aber die Ermittlung im Vordergrund. Thiels Undercover-Arbeit im Zoo bildet dabei das Highlight. Hinter verzichtet darauf, den Kommissar wie einen Trottel dastehen und ihn möglichst peinliche Aufgaben machen zu lassen, um für billige Lacher zu sorgen. Stattdessen ist Thiel ein fähiger Aushilfspfleger und stellt sich bei der unauffälligen Befragung seiner neuen Kollegen deutlich geschickter an, als die Dresdner Ermittlerinnen im "Tatort" letzte Woche. In der besten Szene des ganzen Krimis begleitet er die Pinguine beim Ausgang durch den Zoo: Ein grinsender Kommissar neben einer Schar watschelnder, kleiner Frackträger - einfach süß! In den letzten 15 Minuten rutscht die Geschichte dann jedoch zu weit in die Abstrusität ab. Krude Auflösungen und schräge Showdowns sind typisch für Münster. In diesem Fall geht die Identität des Mörders allerdings in einem so hanebüchenen und konstruierten Tathergang unter, dass wohl nur Hardcore-Thiel-und-Boerne-Fans ihren Spaß haben werden. Alle anderen "Tatort"-Zuschauer können wahrscheinlich bloß den Kopf schütteln, wenn die beiden Ermittler mehrmals wie in einem Cartoon von links nach rechts rennen und sich verpassen.
Nadeshda und Thiel sind keine Schlangen-Fans
Foto: WDR/Thomas Kost
Während "Schlangengrube" seinen Vorgängern in den meisten Punkten gleicht, gibt es dennoch einen Aspekt, der ihn abhebt: das Thema. Ich kann mich spontan an keinen Sonntagskrimi erinnern, in dem es hauptsächlich um Tierdiebstahl geht. In den letzten Jahren häufen sich bestimmte Thematiken - darunter Rechtsextremismus (z.B. Sonnenwende, Dunkle Zeit) und Technologie (z.B. Mord Ex Machina, Level X). Es ist schön, wenn es auch andere Ansätze gibt, die noch nicht völlig ausgelutscht sind. Der Zuschauer erfährt in "Schlangengrube" einige interessante Fakten über den Handel mit Tieren und den Münsteraner Zoo (Bei der Kinopremiere des "Tatorts" erzählte Jan Josef Liefers, dass er die zutrauliche Pinguindame schon vor einigen Jahren bei der Premiere des Films "Madagascar" getroffen hat.). Die tierischen Opfer werden vielen Zuschauern wohl auch deutlich näher gehen als die menschlichen. Tiefe bekommt der immer wenig emotionale Münsteraner Krimi dadurch nicht, allerdings werden sich bestimmt viele Zoofans wundern, wie es sein kann, dass mitten im laufenden Betrieb ein Pinguin totgespritzt wird und niemand etwas mitbekommt. Aber wenn der "Tatort"-Zuschauer mittlerweile eins gelernt hat, dann das: Bei Thiel und Boerne nie die Logik hinterfragen - es gibt keine.

Fazit

"Schlangengrube" ist eine der besseren Folgen aus Münster. Das liegt vor allem an der stringent erzählten Krimihandlung; den süßen, tierischen Stars und dem erfrischend unverbrauchten Thema. Die lockeren Frotzeleien zwischen den beiden Kommissaren sind amüsant und bestärken den Wunsch, Nadeshda mehr Sendezeit zu schenken. Die steife Koch-Nebenhandlung hätte getrost weggelassen werden können, da sie die alberne, konstruierte Auflösung schon früh erahnen lässt und den soliden Ermittlungen im Weg steht. Spannung und Logik gibt es, wie für das Team üblich, praktisch gar nicht, dafür rutscht der Humor angenehmerweise erst gegen Ende in den Klamauk ab. So ist "Schlangengrube" deutlich unterhaltsamer als die vorherigen Münsteraner Episoden, liegt in der "Tatort"-Gesamtwertung jedoch nur im Mittelfeld.


Nächste Woche verschlägt es die Münchener Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) in die niederbayerische Provinz. Ihr Mordopfer war Reichsbürger und hatte sich dort gemeinsam mit Gleichdenkenden ein eigenes "Staatsgebiet" geschaffen. Die Behörden vor Ort haben schon lange resigniert, daher sind die beiden Ermittler auf sich allein gestellt.

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