Samstag, 19. Mai 2018

Tatort: Wer jetzt allein ist - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Die 22-jährige Doro Meisner (Svenja Jung) wird auf dem Rückweg von einer Party erdrosselt. Ihre geschockte WG-Mitbewohnerin Laura Nix (Kyra Sophia Kahre) berichtet den Dresdner Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels, Allein gegen die Zeit) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski), dass Doro schon länger verfolgt wurde. Sie hatte sich unter dem Usernamen "Birdy" in einem Datingportal angemeldet, derselbe Account wurde später benutzt, um liebestolle Männer um eine Menge Geld zu bringen. Die Betrogenen hatten sich daraufhin als "Vogeljäger" zusammengetan und Jagd auf Doro gemacht. In den Verhören kristallisieren sich zwei Verdächtige heraus: Petrick Wenzel (Aleksandar Jovanovic, Tatort: Gott ist auch nur ein Mensch), der zurückgezogen mit seiner kranken Mutter zusammenlebt und Andreas Koch (Daniel Donskoy, Sankt Maik), ein vermögender, alleinstehender Unternehmer. Da Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, Das Leben danach) auf handfeste Beweise pocht, verabreden sich die Ermittlerinnen unerlaubterweise privat mit den Männern. Damit bringen sie sich in große Gefahr, denn während Sieland von Wenzel bedrängt wird, entwickelt Gorniak Gefühle für Koch.

Starke Schwankungen in jeder Hinsicht

Datet Gorniak einen Mörder?
Foto: MDR
"Déjà-vu", der vorherige Fall aus Dresden, war einer der besten "Tatorte" der letzten Jahre - spannend, berührend, toll gespielt und eindrücklich. An dieses sehr hohe Niveau knüpft "Wer jetzt allein ist" nicht an, was vor allem an den schwachen Kommissarinnen und einigen Logikschwächen liegt. Doch dazu später mehr. Im Vergleich zu anderen Folgen des Ermittlerteams, wie beispielsweise "Level X" und "Auge um Auge", steht der Krimi zum Thema Online-Dating nämlich noch recht gut da. Hauptgrund ist die durchgängig düstere, bedrückende Atmosphäre. In der ersten Szene ruft das spätere Mordopfer ihre Mitbewohnerin an und flüstert ängstlich, dass einer ihrer Verfolger aufgetaucht sei und sie panische Angst habe. Später sieht der Zuschauer dann ihren Todeskampf in voller Länge, um wenige Minuten später noch doppelt und dreifach versichert zu bekommen, dass der Mord brutal war (Falko Lammert (Peter Trabner): "Die Halsschlagader, die ist quasi geplatzt." Sieland: "Da war jemand wütend." Lammert: "Aber richtig." Sieland: "Massive Gewalteinwirkung, oder?" Lammert: "Da hat jemand richtig geackert!") Im weiteren Verlauf des Krimis spielt Drehbuchautor Erol Yesilkaya mit sehr realistischen Gruselelementen - sei es ein Eindringling in den eigenen vier Wänden, von einem Fremden bedrängt zu werden oder schlicht Dunkelheit (Der Verhörraum hat den Charme eines schwarzen Lochs.). Das Thema Online-Dating passt sehr gut zu diesem Ansatz. Yesilkaya vermeidet es, den Zuschauer mit erhobenem Zeigefinger vor den Gefahren des Treffens mit Fremden zu warnen. Die Botschaft des "Tatorts" scheint eher zu sein, dass man auf den ersten Blick nicht wissen kann, was sich unter der Oberfläche eines Menschen verbirgt. So erleben beide Kommissarinnen bei ihren Verabredungen sympathische, aber auch unheimliche Momente, die viele Interpretationsmöglichkeiten lassen. Sieland und Gorniak sind weniger komplex. Erstere befragt ihr Date extrem auffällig zu den "Vogelfängern" und lässt sich wie eine Anfängerin beim "heimlichen" Durchsuchen des Hauses ertappen. Letztere wirkt wie ein Zombie - überhaupt nicht bei der Sache und sehr passiv. Das plötzliche, romantische Interesse an Koch habe ich ihr beim besten Willen nicht abgenommen. Die Kommissarin wirkt eher, als wolle sie die ganze Zeit genervt flüchten. Diese Entwicklung ist schade, denn eigentlich mag ich das Team aus Dresden sehr gerne. Ihre Fälle waren meistens durchschnittlich, aber die beiden Ermittlerinnen konnten immer durch ihre effiziente, logische Arbeitsweise und ihren trockenen Humor überzeugen. Diesmal wirken sie sehr unausgereift, und eckig - besonders auffällig ist ihre ungewöhnlich schleppende Sprechweise, zum Teil gibt es sogar Pausen zwischen einzelnen Wörtern. In dieser Hinsicht ist besonders der Schluss eine Enttäuschung. Für Alwara Höfels war es ihr letzter Einsatz als "Tatort"-Ermittlerin Henni Sieland. Ihre Verabschiedung fällt sehr schmucklos, unspektakulär und steif aus - im Gegensatz zur offiziellen Erklärung ihres Ausstiegs. Im Gespräch mit BILD gab sie an, dass "unterschiedliche Auffassungen zum Arbeitsprozess und ein fehlender künstlerischer Konsens" sie zu ihrer Entscheidung bewegt hätten, da sie sonst ihre "Verantwortung als Künstlerin" gefährdet gesehen hätte.

Charme statt Logik

Schnabel (r.) ist kein gewöhnlicher "Babysitter"
Foto: MDR
Während die Kommissarinnen seltsam steif und unnahbar bleiben, blühen zwei andere Charaktere auf: Kommissariatsleiter Schnabel und Gorniaks pubertierender Sohn Aaron (Alessandro Schuster). Beide sind bislang eher anstrengende Figuren gewesen. Schnabel hat sich mit seinen Pegida-nahen Aussagen nicht nur bei Sieland unbeliebt gemacht, während Aaron vor allem dazu da war, seiner Mutter irgendeine Art von Hintergrundgeschichte zu geben. In "Wer jetzt alleine ist" haben die beiden ihre eigene kleine Nebenhandlung, die mit ihrem locker-lustigen Unterton in krassem Gegensatz zur düsteren Krimigeschichte steht: Gorniak hat ihrem Sohn einen Konzertbesuch verboten, nachdem er eine schlechte Note in Mathe geschrieben hatte. Damit er sich nicht während ihres nächtlichen Dates mit Andreas Koch davonschleicht, soll Schnabel auf den Teenager aufpassen. Der konservative Kommissariatsleiter hat in der Vergangenheit (z.B. "Tatort: Level X") bereits mehrfach bewiesen, dass er nicht wirklich viel mit jungen Menschen, Technik und modernen Entwicklungen anfangen kann. In "Wer jetzt allein ist" zeigt Schabel jedoch eine andere Seite von sich. Mit Geduld und einer guten Portion Humor dringt er zu Aaron durch und baut so etwas wie eine väterliche Freundschaft auf - trotz unterschiedlicher Ansichten (Aaron: "Sagen Sie, die Mucke von vorhin, die hören Sie aber nicht privat, oder? Die ist doch nur zum Foltern." Schnabel: "Peter Alexander entspannt mich."). Zugegeben, die Geschichte trägt nichts zur Handlung bei und wirkt teilweise etwas abgedroschen, beispielsweise, wenn Schnabel Aaron mit Handschellen an den Tisch fesselt, damit der seine Matheaufgaben erledigt. Dennoch ist die charmante, kleine Nebengeschichte ein Highlight der Folge, da das Zusammenspiel der Charaktere deutlich ungezwungener wirkt, als an den anderen Schauplätzen.
Die Ermittler sind selten einer Meinung
Foto: MDR
Bis ins Revier reicht Schnabels neu gefundene Gelassenheit dann doch nicht. Er findet heraus, dass ein Polizist scheinbar Informationen an die Presse weitergegeben hat, wodurch die Mitbewohnerin des Mordopfers in Lebensgefahr gerät. Anstelle aber etwas zu unternehmen, um sie zu schützen, wartet er lieber auf die beiden Kommissarinnen, um sie anzuschnauzen. Es gibt leider noch mehrere andere Unstimmigkeiten und Logiklöcher. Am meisten hat mich geärgert, dass kaum darauf eingegangen wurde, wer nun eigentlich die "Vogeljäger" mit Doros Account um ihr Geld betrogen hat. Schon zu Beginn des Krimis beschuldigen die Kommissarinnen den Betreiber der Dating-Seite (Bernd-Christian Althoff). Danach wird gar nicht mehr in diese Richtung ermittelt, stattdessen sind sich die Ermittler sicher, dass der Mörder unter den Chatpartnern zu finden ist. Ebenso schnell wird die Zahl der Verdächtigen dann von zehn auf zwei eingegrenzt. Wie es Laura Nix geschafft hat, dem Angriff zu entgehen und was es mit den Murmeln auf sich hatte (Kann hier aus Spoiler-Gründen nicht ins Detail gehen.), erfährt der Zuschauer ebenfalls nicht. Die Ermittlungen wirken sehr lückenhaft und ziellos, so als sei die Handlung eigentlich eine Mischung aus Drama und Thriller gewesen, aus der plötzlich doch ein Krimi werden sollte. Besonders enttäuschend ist in dieser Hinsicht die Auflösung, da das Motiv des Täters nicht abschließend geklärt wird. Stattdessen werden noch mehr Fragen aufgeworfen, auf die es keine Antworten gibt.

Fazit

"Wer jetzt allein ist" rangiert sowohl bei den Dresdner Folgen, als auch beim "Tatort" insgesamt im Mittelfeld. Das liegt vor allem an den Kommissarinnen. Sonst sind sie aufgeweckt, engagiert und haben ihren eigenen Kopf. Diesmal wirken sie müde, uninspiriert und lustlos. Angesichts des vielversprechenden, unheimlichen Undercover-Einsatzes ist das sehr schade. Da der Elan der Ermittlerinnen fehlt, bleibt das meiste Potenzial des Falls ungenutzt. Dabei ist er durch die bedrohliche Stimmung und die düsteren Kameraeinstellungen durchgehend spannend und macht neugierig auf das Ende. Die Auflösung lässt den Zuschauer dann allerdings unbefriedigt zurück, da einige Wendungen und das Motiv des Täters nicht wirklich aufgeklärt werden und somit viele Fragen offen bleiben. Die beunruhigende Atmosphäre und die in krassen Gegensatz dazu stehende ungezwungene, humoristische Nebenhandlung machen diesen "Tatort" dennoch sehenswert.


Nächste Woche kommt der "Tatort" wieder wie gewohnt am Sonntag. In "Schlangengrube" müssen die Münsteraner Kommissare Frank Thiel (Axel Prahl) und Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) in den eigenen Reihen ermitteln, denn das Todesopfer hatte Streit mit Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann). 

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