Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.
Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) ist völlig verstört: Einbrecher haben sie und ihre kleine Tochter Alma nachts unbemerkt beim Schlafen gefilmt. Ihre Kollegen vom deutsch-polnischen Polizeirevier nehmen die Ermittlungen auf. Lenski ist jedoch mit den Nerven am Ende. Auf Anraten ihrer Mutter (Natalia Bobyleva) nimmt sie eine Auszeit und zieht auf einen abgelegenen Hof. Der Besitzer Lennard Kohlmorgen (Jürgen Vogel, Tatort: Der wüste Gobi) ist ein sogenannter "Prepper". Mit eigenem Windrad zur Stromversorgung, einem Schutzbunker unter dem Teppich und genug Vorräten für eine kleine Armee, ist er bestens auf einen etwaigen Weltuntergang vorbereitet. Seine Teenagertochter Ulrike (Sofie Eifertinger) rebelliert gegen das eigenbrötlerische Leben. Ihr kleiner Bruder Henry (Jona Eisenblätter) vermisst vor allem seine Mutter Valeska (Patrycia Ziolkowska), die die Familie vor Kurzem verlassen hat. Als Valeska tot aufgefunden wird, fragt sich Lenski, inwieweit sie Kohlmorgen, dem sie mittlerweile nähergekommen ist, trauen kann. Während ihr Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) wegen einer Befragung auf dem Hof ist, fällt bundesweit der Strom aus. In der Umgebung bricht Anarchie aus...
In dieser Sonntagskrimi-Saison gab es bereits einen kleinen Zombie-Ausbruch in Norddeutschland und einen paranormalen Spuk in Frankfurt. Nun geht es um den bevorstehenden Weltuntergang und die Folgen einer nationalen Krise - wie auch immer es das Zweite noch geben soll, wenn das Erste bereits eingetreten ist. Ganz nach dem Motto: "Unter dem Druck der Welt verschrumpeln unsere Seelen" (Ja, dieser Satz fällt tatsächlich...) lässt es dieser "Polizeiruf 110" bis kurz vor Ende relativ ruhig angehen. Lenski beobachtet meist stumm die Familienauseinandersetzungen auf dem Hof, während Raczek mit Engelsgeduld zwischen radikalen Weltverbesserern und Reichsbürger-ähnlichen Gruppierungen ermittelt. Spannung kommt erst in den letzten Minuten auf, dann aber mit richtig Kugeln, Feuer und Panik - als habe sich plötzlich "Tatort"-Kollege Nick Tschiller ins brandenburgische Grenzland verirrt. Bei so viel Action interessiert es die Charaktere (und viele Zuschauer vermutlich) auch nicht mehr, wer Valeska Kohlmorgen getötet hat. Da ist es ganz praktisch, dass den Ermittlern die Auflösung in den Schlussminuten auf dem Silbertablett serviert wird - Befragung und Spurensicherung würden ja auch zu lange dauern, da bliebe weniger Zeit für den Weltuntergang. Immerhin: Der Tathergang ist wenig offensichtlich. Eine große Enttäuschung ist hingegen die Abwicklung des Einbruchfalls. In dieser Hinsicht sieht der Zuschauer überhaupt nichts von den Ermittlungen und erfährt dann gemeinsam mit Lenski am Telefon, wer in deren Wohnung eingedrungen ist. Die Täter waren unbekannt und werden auch danach nicht mehr aufgegriffen. Schade, denn der Gedanke, nachts von Fremden in den eigenen vier Wänden gefilmt zu werden, ist deutlich spannender und beunruhigender als alles, was in diesem Krimi sonst noch passiert (Lenski: "Die waren nur Zentimeter von meiner Tochter entfernt und ich habe geschlafen.").
Die Eindringlinge sind nicht das einzige, was die Kommissarin in diesem Krimi geflissentlich übersieht oder ignoriert. Es scheint, als würde sie mit Scheuklappen durch die Geschichte stolpern. Sie kehrt nach dem Einbruch in ihre Wohnung zurück, als sei nichts gewesen, verliert ihre kleine Tochter gleich zweimal aus den Augen und akzeptiert jede noch so schräge Situation auf dem Kohlmorgen-Hof. Über ein paar Familienstreits und eine kleine Schlägerei hinwegzusehen, ist ja noch verständlich. Dass Lenski es aber nicht seltsam findet, dass Lennard mehrere Krankenbetten in seiner Garage stehen hat und seine Kinder dort mit Infusionen versorgt, ist einfach nur hanebüchen. Die Ermittlungen von Raczek sind nicht minder schräg als Olgas "Urlaubsort". Bei seinen Ermittlungen trifft er auf Valeskas neuen Lebensgefährten (Dimitrij Schaad). Der wird nur "Ulysses" genannt, erinnert an einen Reichsbürger und ist extrem überzeichnet. Was sein ultimatives Ziel ist, wer die Dutzenden Computerhacker um ihn herum sind und welche Ideologie er eigentlich verfolgt, erfahren die Zuschauer nicht. Außer inhaltslosen Pöbeleien gibt der Charakter nichts her ((zu Raczek) "Alles, was dich interessiert, ist: Wer ist der Mörder? Wer ist der Mörder? Adam, weißt du, was du bist? Du bist eine Witzfigur! Du bist dumm! Du bist banal! Du bist zu dumm, um zu begreifen, dass wir alle der Mörder sind: unsere verlogene Gesellschaft."). Dieses Problem zieht sich durch den ganzen "Polizeiruf". Er behauptet, dass die Menschen schon wenige Stunden nach einem Stromausfall plündernd und zerstörend durch die Straßen ziehen - Waffen, Feuer und Massenhysterie inklusive. Das ganze Szenario passiert viel zu schnell und zu extrem, dass es schwer ist, es ernst zu nehmen. Spätestens, als Lenski aus einem Küchenhandtuch und einem Stock eine weiße Fahne bastelt, um ihre friedlichen Absichten zu signalisieren, erinnert die Folge zu stark an einen billigen Hollywood-Katastrophenfilm. Übrigens hat ein Risikoforscher herausgefunden, dass die meisten Menschen bei einer längerfristigen Krisensituation, wie einem Stromausfall, ruhig bleiben und nicht den Kopf verlieren. Das lässt "Demokratie stirbt in Finsternis", wo der Katastrophenschutz schon nach kurzer Zeit ein völlig ausuferndes Chaos eindämmen muss, umso lächerlicher erscheinen.
Nächste Woche ermittelt das "Tatort"-Team aus Köln. In "Familien" müssen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) aufklären, wer einen jungen Mann überfahren hat. Neben seiner Leiche wurden 500.000 Euro in bar gefunden: das Lösegeld in einem Entführungsfall.
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Hysterie. Verunsicherung. Dystopie. Albern.
Lenski ist ein emotionales Wrack
Foto: rbb
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Ulysses will mit seinen Hackern die Welt aufrütteln
Foto: rbb/Oliver Feist
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Wer ist der Bekloppteste im ganzen Land?
Kohlmorgen und Olga haben keine Chemie
Foto: rbb/Christoph Assmann
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Die Charaktere sind nicht minder seltsam. Zum einen ist da Lenski, die wie eine Untote durch die Handlung schleicht und sich so gar nicht nachvollziehbar verhält. Die Familie Kohlmorgen fällt schon durch ihren ungewöhnlichen Lebensstil mit selbst angebautem Essen, Homeschooling und wenig Kontakt zur Außenwelt auf (Ulrike: "Herzlich Willkommen im Paradies der Familie Kohlmorgen! Hier verlieren Sie Seele und Verstand, aber immer mit 'nem freundlichen Lächeln auf den Lippen und frischem Gemüse im Garten."). Richtig charakterisiert wird aber keiner der Hofbewohner. Die Interaktionen zwischen den einzelnen Personen wirken aufgesagt und hölzern. Ein gutes Beispiel dafür sind die aufkeimenden romantischen Gefühle zwischen Lenski und Lennard, denn die kommen praktisch aus dem Nichts. Vor dem ersten Kuss gab es nicht wirklich einen Wort- oder Blickwechsel, der irgendetwas in dieser Richtung angedeutet hätte. Im Gegenteil: Die Dialoge zwischen den beiden wirken eher sperrig (Lenski: "Ich frage dich nicht als Polizistin. Ich frage dich als Mensch, der dich mag."). Nur die Besetzung von Jürgen Vogel hätte ein Hinweis sein können, da er in seinen Sonntagskrimi-Gastrollen regelmäßig Frauen den Kopf verdreht. 2015 flirtete er im Ludwigshafener "Tatort" mit Ermittlerin Lena Odenthal. Vor wenigen Monaten verfielen gleich mehrere Damen seinem Charme im Weimarer "Tatort: Der wüste Gobi". Doch nicht nur die Gefühle sind undurchsichtig, wie schon bei den Reichsbürger-Hackern ist es auch bei Kohlmorgen schwer, eine Motivation hinter seiner Ideologie zu erkennen. Weshalb er ein "Prepper" ist und dementsprechend auch mit einer nahen Katastrophe rechnet, wird nicht klar. Alle Charaktere verfolgen in diesem Fall irgendeine Art von Ideologie oder persönlichem Plan, doch keiner von ihnen bekommt die Chance, dem Zuschauer zu zeigen, weshalb eigentlich. Das nimmt der ohnehin schon wackligen und unglaubwürdigen Handlung jegliche Substanz.
Fazit
"Demokratie stirbt in Finsternis" ist ein zäher, holpriger "Polizeiruf", der eher an einen Katastrophenfilm mit sehr kleinem Budget erinnert. Die zahlreichen Figuren fallen durch ihr ungewöhnliches, vermeintlich verrücktes Verhalten auf, sind aber undurchschaubar und ihre Handlungen nur schwer nachvollziehbar. Dadurch fehlt der Geschichte ein richtiger Kern, denn die beiden Kriminalfälle geraten schnell in Vergessenheit und werden vor allem Off-Screen aufgeklärt. Die Ermittler sind ebenfalls nicht präsent und überzeugend genug, um die ganze Handlung zu tragen. Mit Ausnahme der actionreichen Schlussminuten ist sie zudem auch noch relativ langweilig. So fehlt es diesem "Polizeiruf" an so ziemlich allem, was einen guten Krimi ausmacht - packende Geschichte, Spannung, transparente Charaktere und ein glaubwürdiges, relevantes Thema.
Nächste Woche ermittelt das "Tatort"-Team aus Köln. In "Familien" müssen die Kommissare Freddy Schenk (Dietmar Bär) und Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) aufklären, wer einen jungen Mann überfahren hat. Neben seiner Leiche wurden 500.000 Euro in bar gefunden: das Lösegeld in einem Entführungsfall.
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