Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und Julia Grosz (Franziska Weisz) sollen in Lüneburg die Identität von Abbas Khaled (Youssef Maghrebi) überprüfen. Die Bundespolizei vermutet, dass es sich bei dem Flüchtling um einen Kriegsverbrecher handelt. Kurze Zeit später ist dessen Schwester Alima (Sabrina Amali) tot und Falke steht mit gezückter Waffe über ihr. Kriminalrat Joachim Rehberg (Jörn Knebel) befragt die Hamburger Bundespolizisten getrennt voneinander, um herauszufinden, ob Falke etwas mit dem Tod der jungen Frau zu tun hat. Tatsächlich gehen die Schilderungen der beiden immer weiter auseinander, je tiefer Rehberg nachbohrt. Während sich Grosz auf das rüpelhafte und impulsive Auftreten ihres Kollegen konzentriert, berichtet der detailliert über ihre heißen Flirts mit dem lokalen Polizisten Olaf Spieß (Marc Rissmann). Wessen Variante stimmt?
Experiment mit klassischen "Tatort"-Elementen
Im Film sitzen die beiden getrennt
Foto: NDR
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Falke und Grosz klären als einziges Sonntagskrimi-Team Fälle mit bundesweiter Relevanz auf - sei es eine Autobombenattacke auf die Familie einer rechten Politikerin oder ein Mord, der in Verbindung zu einem großen Gasförderunternehmen steht. In "Alles was Sie sagen" wendet sich das Blatt und die beiden Kommissare stehen im Fokus einer internen Ermittlung. Der Kern der Geschichte sind die Gespräche im Verhörraum zwischen Falke und Rehberg sowie Grosz und Rehberg. Der Krimi wirkt jedoch nur im ersten Moment wie ein Kammerspiel, denn ein Großteil der Handlung findet außerhalb des dunklen Zimmers statt - in den Nacherzählungen der beiden Bundespolizisten. Sie schildern dem Kriminalrat ihre Erlebnisse der letzten Tage - von ihrer ersten Begegnung mit dem Verdächtigen bis hin zu Alimas Tod. Dieser Ansatz ist wirklich einfallsreich und unterhaltsam. Er ist eine interessante Abwechslung zu den üblichen "Tatort-Büro-Befragung-Pathologie-Befragung-Büro-Verfolgungsjagd-Geständnis"-Ermittlungen, folgt aber dennoch im Kern dem gewohnten Ablauf eines "Tatorts". "Alles was Sie sagen" könnte also einer der wenigen Fälle sein, die sowohl Krimi-Traditionalisten als auch Fans von Experimenten gefallen. Was der Folge aber einen besonderen Pfiff gibt, sind die unterschiedlichen Perspektiven der beiden Kommissare.
Ist Falke (r.) eifersüchtig auf Groszs Ex Spieß?
Foto: NDR/Christine Schroeder
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In ihren bisherigen drei Ermittlungen haben Falke und Grosz ein ums andere Mal gezeigt, dass sie grundverschieden und nicht wirklich auf einer Wellenlänge sind (Falke: "Sie waren doch sicher Klassensprecherin oder sowas." Grosz: "Und Sie Klassenclown?"). Grosz vermag es - im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin Katharina Lorenz - nicht, ihren Partner zu erden. Während der sich polternd und schimpfend mit lokalen Polizisten und Verdächtigen anlegt, steht sie genervt daneben und versucht halbherzig, Falke zur Professionalität zu ermahnen. Seine ebenfalls halbherzigen Bemühungen, das kollegiale Verhältnis zu verbessern, blockt sie ab. Dementsprechend ist es nicht verwunderlich, dass sich ihre Schilderungen der Ermittlungen mal mehr, mal weniger unterscheiden. Diese Diskrepanz ist spannend, vor allem da der Zuschauer nicht immer weiß, wessen Sicht er gerade sieht. Leider gibt es nur eine Szene, die tatsächlich aus beiden Perspektiven gezeigt wird und die verschiedenen Wahrnehmungen veranschaulicht. Alle anderen gibt es nur in einer Version. Das ist schade, da der Effekt der gegensätzlichen Aussagen so größtenteils verloren geht. Die stärksten Momente dieses "Tatorts" sind definitiv die, in denen Rehberg versucht, die beiden Protagonisten gegeneinander auszuspielen und sie mit der gegensätzlichen Aussage ihres Kollegen unter Druck zu setzen. Zudem offenbaren die beiden Polizisten in ihren Erzählungen viel über sich, ihre Wünsche und Ängste. Da es unterschwellig geschieht, stehen die persönlichen Verwicklungen und Beziehungen ausnahmsweise nicht der Handlung im Weg, sondern fühlen sich natürlich und passend an.
Besser nichts hinterfragen, es macht keinen Sinn
Rehberg (r.) will von Falke die Wahrheit hören
Foto: NDR/Christine Schroeder
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So interessant das Wechselspiel zwischen den beiden Perspektiven auch ist, stimmig ist es überhaupt nicht. Die Kommissare berichten zum Teil von Ereignissen, bei denen sie gar nicht dabei waren oder verfügen über Wissen, das sie nicht haben können. Außerdem konfrontiert Rehberg die Ermittler abwechselnd mit der Sicht ihres Kollegen. Damit das möglich ist, müsste er alle paar Minuten von einem Raum zum anderen gerannt sein und genau darauf geachtet haben, dass seine beiden Verdächtigen immer an derselben Stelle in ihren Erzählungen sind, damit er sie vergleichen kann. Das ganze Konzept wirkt sehr realitätsfern und konstruiert. Eine besonders auffallende Unstimmigkeit ist der Tathergang. Zu Beginn und am Ende sieht der Zuschauer den Zugriff, bei dem Alima gestorben ist. Bei der späteren Version sind Schreie und Rufe zu hören, die in der ersten Version fehlen. Dafür gibt es keinerlei Erklärung - obwohl die Geräusche für den Ablauf wichtig sind. Im Endeffekt ist das Finale jedoch generell der große Schwachpunkt dieses "Tatorts". Die Drehbuchautoren Arne Nolting und Jan Martin Schwarf scheinen sehr bemüht gewesen zu sein, das Ende möglichst überraschend zu gestalten. Die meisten halbwegs geübten Krimi-Gucker werden jedoch schon vor 21 Uhr ahnen, worauf der Fall hinausläuft. Spoiler für den Rest dieses Satzes: Hier wird das Prinzip "Der Täter ist die Person, die scheinbar nichts mit dem Mord zu tun hat, aber ständig im Bild ist." wirklich ausgereizt. Es ist außerdem nicht glaubwürdig, dass ein umfassender Masterplan auf einem Polizeirevier geheim bleibt, bei dem es mindestens einen Maulwurf gibt. Die lokalen Charaktere bleiben leider recht blass. Groszs Ex-Freund Spieß wird fast ausschließlich als armseliger Jammerlappen skizziert ("Weißt du eigentlich, wie es mir geht in diesem Scheiß-Kaff hier? Meine Frau ist weg, ich habe kein Geld, mein Haus ist weg und das Einzige, was mir noch bleibt, ist dieser Scheiß-Job hier!"). Schade, dass hier die Chance verschenkt wurde, durch ihn ein bisschen mehr über Groszs Vergangenheit zu erfahren. Ebenfalls zu kurz kommt Stefan Hansen (Moritz Grove, Tatort: Mitgehangen), der den Flüchtlingen Deutschunterricht gibt. Es wird zwar aufgeklärt, weshalb er sich so intensiv für Abbas und Alima einsetzt, allerdings erfährt der Zuschauer nicht viel mehr über ihn und ob er etwas über die vermeintlichen Kriegsverbrechen wusste. Obwohl das Konzept der gegensätzlichen Erzählungen wirklich sehenswert ist, benachteiligt es die Nebencharaktere, da sich Falke und Grosz vor allem aufeinander konzentrieren.
Fazit
"Alles was Sie sagen" findet einen bemerkenswerten Mittelweg zwischen klassischem "Tatort" und experimentellen Krimi. Die verschiedenen Sichtweisen der beiden Kommissare, die in direktem Verhältnis zu ihrem Wesen und ihrer Einschätzung des jeweils anderen stehen, sind interessant und abwechslungsreich. Leider werden die beiden Perspektiven zu wenig miteinander verglichen, da die Protagonisten nacheinander und nicht gleichzeitig erzählen. Außerdem gipfelt der Fall in einem früh vorhersehbaren Finale, das leider nicht stimmig ist und viele Fragen aufwirft. Dasselbe gilt für die eindimensionalen Nebenfiguren, deren Geschichten so gut wie gar nicht beleuchtet werden, obwohl es Klärungsbedarf gibt. Unterm Strich ist "Alles was Sie sagen" ein Sonntagskrimi im oberen Mittelmaß, da das kreative, unterhaltsame Konzept durch zu viele Unstimmigkeiten und Handlungslücken ins Wanken gerät.
Nächste Woche ermittelt das deutsch-polnische "Polizeiruf 110"-Team. Kommissarin Olga Lenski (Maria Simon) wird in "Demokratie stirbt in Finsternis" mit einem albtraumhaften Szenario konfrontiert: Nachts ist jemand in ihre Wohnung eingedrungen und hat sie und ihre kleine Tochter beim Schlafen gefilmt. Während ihr Kollege Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) ermittelt, nimmt sich Lenski eine Auszeit. Die beiden schlittern in eine Katastrophe...
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