Samstag, 14. April 2018

Tatort: Ich töte niemand - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


In einem heruntergekommenen Haus werden die Leichen eines libyschen Geschwisterpaares gefunden. Ismael und Manousha lebten voll integriert und unauffällig seit vielen Jahren in Deutschland. Dennoch hat ihnen jemand mit Dutzenden Schlägen die Schädel zertrümmert. Ihr Ziehsohn Ahmad (Josef Mohamed) ist verschwunden. Die Nürnberger Kommissare Paula Ringelhahn (Dagmar Manzel) und Felix Voss (Fabian Hinrichs) stoßen auf einen kürzlich geschlossenen Gerichtsprozess, bei dem Ahmad als wichtigster Zeuge ausgesagt hatte. Hat sich jemand dafür gerächt, dass die drei Beschuldigten zu Haftstrafen verurteilt wurden? Kurz darauf stirbt Frank Leitner (André Hennicke) beim Autofahren an einer Wechselwirkung verschiedener Antidepressiva. Er ist Polizist und ein alter Freund von Ringelhahn. In seinem Haus finden sich Hinweise auf eine rechtsradikale Gesinnung. Hatte Leitner etwas mit den Morden zu tun?

Hier ergibt nichts so wirklich Sinn

Voss (l.) und Ringelhahn sind leicht angespannt
Foto: BR/Hager Moss Film GmbH/Luis Zeno Kuhn
So gelesen klingt der Inhalt der Folge verständlich. In der Praxis ist der Fall jedoch sehr verschachtelt und springt immer wieder zwischen verschiedenen Charakteren, Schauplätzen und Ideen hin und her. Ich gebe ehrlich zu: Das ist der erste "Tatort" seit mehreren Jahren, bei dem ich fast den Faden verloren hätte. Zum einen ist die Geschichte sehr komplex, zum anderen so extrem langweilig, dass keine große Lust besteht, Szenen noch einmal anzusehen, um eventuell verpasste Details zu entdecken. Dabei wäre diese Motivation angebracht, denn die Handlung wirkt bruchstückhaft. Es fühlt sich irgendwie so an, als würde man einen Film auf YouTube gucken, bei dem einzelne Sequenzen wegen der GEMA herausgeschnitten wurden. Ständig wird ein neuer Gedanke aufgegriffen, doch bevor der überhaupt zum Zuschauer durchgedrungen ist, springen die Drehbuchautoren Max Färberböck und Catharina Schuchmann bereits zum nächsten. Da hilft es erst recht nicht, dass Ringelhahn, Voss und ihre Kollegen zeitgleich unterschiedlichen Spuren nachgehen. Kaum ist Frank Leitner verunglückt, fokussieren sich die Ermittlungen dann fast ausschließlich auf ihn. Andere Spuren im Fall der toten Libyer werden vernachlässigt. Aber natürlich haben die Kommissare - wie immer in TV-Krimis - einen sechsten Sinn und orientieren sich automatisch in die richtige Richtung. Was überraschend ist, denn in „Ich töte niemand“ (Müsste das nicht "niemanden" heißen? Das macht mich echt verrückt!) sind zumindest die beiden zentralen Ermittler ziemlich durch den Wind. Zu Beginn scheint die Welt noch in Ordnung: Felix Voss (genauso hieß der psychopathische Teenie-Mörder in der Folge letzte Woche) feiert gemeinsam mit den Kollegen seine Einweihungsparty – literweise Alkohol und wilde Knutscherei inklusive. Die ausgelassen fröhliche Stimmung kippt, als das Team zu einem Einsatz gerufen wird. Aus diesem Tief kommen die Kommissare für den Rest des „Tatorts“ nicht mehr heraus.
Wanda Goldwasser bleibt auch in Fall vier farblos
Foto: BR/Hager Moss Film GmbH/Luis Zeno Kuhn
Ringelhahns Gemütszustand ist nachvollziehbar. Nach und nach erfährt der Zuschauer, wie eng ihr Verhältnis zu Leitner wirklich war und wie sehr sein Tod sie belastet. Die depressiven und aggressiven Schübe von Voss scheinen jedoch keinen konkreten, verständlichen Auslöser zu haben. Er hat einfach eine spontane, heftige Sinnkrise und beschwert sich in wirren Monologen lautstark bei seinen Kollegen über die Sinnlosigkeit des Jobs ("Ich meine, unser Leben ist ein schwarzer Raum - rabenschwarz. Wir jagen irgendjemanden, den wir nicht sehen und dann haben wir ihn, werfen ihn vor die Tür und dann schließen wir die Tür ab. Und dann ist schon der Nächste drin."). Die gleiche ermüdende Nebenhandlung musste vor Kurzem auch sein Kölner Kollege Max Ballauf im „Tatort: Mitgehangen“ durchmachen. Nach gerade einmal vier Folgen des Nürnberger Teams sollte es noch nicht solche charakterlichen und erzählerischen Ermüdungserscheinungen geben. Vor allem da es mit Sebastian Fleischer (Andreas Leopold Schadt) und Wanda Goldwasser (Eli Wasserscheid) zwei Kommissare gibt, die bislang so gut wie gar nicht vorgestellt wurden. Voss‘ plötzliche Emotionalität wirkt nicht nur gekünstelt, sondern macht die ohnehin schon komplexen Ermittlungen noch langwieriger. In einer schier endlosen Sequenz versucht er den Hauswart (Roman Sörgel) eines Sportvereins davon zu überzeugen, ihm Informationen zu geben – mit viel Schreierei und völlig unlogischen Drohungen (Voss: "Haben Sie einen Anwalt?" Hauswart: "Was?" Voss: "Ja, wo sind Sie denn mit ihren Gedanken - im Bierhimmel oder was? Sie glauben doch nicht etwa, dass Sie diese Zeit von mir geschenkt bekommen!"). Die ganze Szene wirkt übertrieben. Es ist keine Gefahr im Verzug und Voss weiß nicht einmal, ob der Befragte irgendetwas Sinnvolles zur Ermittlung beitragen kann. Trotzdem geht er ihn an, als müsste das Team innerhalb der nächsten 30 Minuten einen sterbenden Menschen retten und der Hauswart wüsste als Einziger, wo das Opfer ist. Voss ist in diesem Krimi ein nerviger, unausgeglichener und unverständlicher Totalausfall. 

Der Fernseher hängt nicht, das sind Standbilder

Die Kommissare befragen einen der drei Kriminellen
Foto: BR/Hager Moss Film GmbH/Felix Cramer
Leider ist er nicht der einzige. Von der schauspielerischen Leistung her, ist "Ich töte niemand" einer der schwächsten "Tatorte" in diesem Jahr. Besonders die drei jungen Männer, die der flüchtige Ahmad mit seiner Aussage hinter Gittern gebracht hat, agieren hölzern. Sie leiern ihre Texte herunter und schaffen es beim besten Willen nicht, echte Gefühle zu zeigen. Die anderen Darsteller sind überzeugender, wirken aber ebenfalls ein wenig eckig und überemotional. Es gibt aber auch einen Lichtblick: Ursula Strauss als Leitners Witwe Gudrun. Sie hat das Glück, dass ihre Rolle deutlich vielschichtiger ist, als die meisten anderen. Jede dieser Facetten spielt Strauss ein bisschen anders, wodurch ihre Figur nicht nur interessant, sondern auch ein wenig bedrohlich wirkt. Abgesehen von schauspielerischen Glanzleistungen, ist auch Spannung eher Mangelware. Durch die vielen Sprünge bleibt die Geschichte nie lang genug bei einem Schauplatz, um auch nur ein neugieriges Kribbeln beim Zuschauer auszulösen. Das scheint auch das Produktionsteam gemerkt zu haben und setzt auf kleinere Spielereien, um künstlich Spannung zu erzeugen. Zwischen den Szenen gibt es immer wieder schwarze Überblendungen und Standbilder von den Gesichtern der Protagonisten. Letzteres wird jedoch zu so unpassenden Zeiten eingesetzt, dass ich fast jedes Mal gedacht habe, das Video habe sich aufgehängt. Dazu kommt noch ein trister Soundtrack, der an die deutsche "Netflix"-Mysteryserie "Dark" erinnert und einen Tick zu oft wiederholt wird.

Fazit

"Ich töte niemand" ist ein sehr schwacher "Tatort", bei dem kein Aspekt überzeugen kann. Die Protagonisten beginnen schnell zu nerven, da sie übertrieben emotional und aggressiv agieren - zum Teil ohne erkennbaren Grund. Die anderen Kommissare werden hingegen so gut wie gar nicht charakterisiert und wirken nur wie Statisten. Dazu kommt ein verworrener Fall, der zu viele Schauplätze auf einmal bedienen will, wodurch sowohl Spannung als auch Neugierde auf die Auflösung verloren gehen. Während die Schauspieler größtenteils sehr unmotiviert wirken, scheint das Team hinter der Kamera umso inspirierter gewesen zu sein. Durch Standbilder, viele dunkle Farben, lange Monologe und melancholische Musik versuchen sie, dem "Tatort" das Flair eines skandinavischen oder britischen Krimis zu verleihen. Diese Effekte sind allerdings eher störend als spannend und stehen in krassem Gegensatz zu den hektischen, gefühlsbetonten Ausbrüchen der Charaktere.


Nächste Woche ist das Team der Bundespolizei an der Reihe. In "Alles was Sie sagen" geht es um eine interne Ermittlung, die klären soll, wer mit Kommissar Thorsten Falkes (Wotan Wilke Möhring) Dienstwaffe eine Zeugin erschossen hat. Falke und seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) werden befragt und sollen ihre Sicht des Einsatzes schildern. Dabei gibt es Unstimmigkeiten.

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