"Netflix" bringt jeden Monat mehrere neue Eigenproduktionen heraus. Nur wenige schlagen ein wie eine Bombe - zum Beispiel "Stranger Things" (hier geht es zu unserer Rezension der zweiten Staffel). Die meisten Serien haben zwar eine solide Fanbase, sind dem größeren Publikum aber höchstens vom Namen her bekannt. In unserer Reihe "Kurzrezensionen" legen wir daher besonders Wert darauf, "Netflix"-Eigenproduktionen vorzustellen, die nicht mit großen Werbeplakaten in allen deutschen Städten beworben werden. In den vergangenen drei Teilen haben wir bereits über Sendungen wie "Paranoid", "The Killing", "Greenhouse Academy" und "The OA" gesprochen (hier kommt ihr zu allen bisherigen Beiträgen - auch zum Thema Filme). Nun widmen wir uns zwei neuen Serien - und einer bereits rezensierten. Klickt auf die Titel, um euch die Trailer anzuschauen.
An dieser Stelle gehe ich auf Sendungen ein, die "Netflix" selbst als "Original" bezeichnet, obwohl sie teilweise auch im Fernsehen ausgestrahlt oder von Drittanbietern produziert wurden. Da ich alle englischsprachigen Serien in der Originalversion angesehen habe, kann ich keine Aussagen zu der Qualität der deutschen Synchronisation treffen.
Travelers
Carly, Marcy, Grant, Philip & Trevor
Foto: Netflix
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"Travelers" ist eine kanadische Co-Produktion von "Netflix" und "Showcase", deren zweite Staffel vor zwei Wochen veröffentlicht wurde. In der Serie geht es darum, die Fehler der Menschheit auszubügeln - bevor sie begangen werden. In der Zukunft ist es technisch möglich, das Bewusstsein einer Person auszulöschen und durch das einer anderen zu ersetzen. Teams von Freiwilligen werden trainiert und ihre Seele anschließend ins 21. Jahrhundert geschickt, wo sie vom Körper eines sterbenden Menschen Besitz ergreifen. Die Traveler (Reisende) verhindern den Tod ihres Gast-Körpers und führen sein Leben so unauffällig wie möglich weiter. Nebenbei müssen sie Aufträge aus der Zukunft erfüllen, die den Verlauf der Geschichte zum Positiven hin verändern sollen. Dazu gehören das Verhindern einer Epidemie, das Aufhalten von Terroranschlägen oder der Schutz von Kindern, die später einmal wichtige Führungspositionen einnehmen werden. Im Fokus der Serie steht ein fünfköpfiges Traveler-Team: Der verheiratete FBI-Agent Grant MacLaren (Eric McCormack), die junge, alleinerziehende Mutter Carly Shannon (Nesta Cooper, #realityhigh), die geistig behinderte Marcy Warton (MacKenzie Porter), der High-School-Schüler Trevor Holden (Jared Abrahamson) und der drogenabhängige Student Philip Pearson (Reilly Dolman).
Das Leben im 21. Jahrhundert ist schwerer als gedacht
Foto: Netflix
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"Travelers" ist eine der Serien, bei denen ich froh war, dass ich mich nach der mittelmäßigen ersten Staffel dazu durchgerungen habe, mir trotzdem die zweite anzugucken. Die Handlung ist zu Beginn sehr konfus und verstrickt, was auch daran liegt, dass jede der fünf Hauptfiguren ein völlig anderes Leben führt, zu dem unterschiedliche Menschen gehören und in dem unterschiedliche private Probleme gelöst werden müssen. Mit der Zeit pendelt sich die Geschichte jedoch ein und die Zahl der Nebenhandlungen wird reduziert, sodass die Serie deutlich unverkrampfter und ruhiger wird. Leider bleibt sie dennoch relativ unüberschaubar, da der Zuschauer nur wenig über die Zukunft und den Master Plan erfährt. Wie in den meisten Science-Fiction- und Fantasy-Geschichten werden die Regeln der übernatürlichen Phänomene, in diesem Fall das "traveln", nur sporadisch erklärt und regelmäßig verbogen, damit sie zur Handlung passen. So lautet eins der sechs Traveler-Protokolle, dass sie kein Leben nehmen dürfen, außer sie bekommen einen Auftrag, der das Gegenteil verlangt. Tatsächlich töten die Reisenden aber ständig irgendjemanden - auch außerhalb ihrer Missionen, werden dafür aber nie bestraft oder ermahnt. Auch an anderen Stellen widerspricht sich die Serie selbst. Mehrmals wird deutlich gemacht: Jeder Traveler bekommt eine intensive Vorbereitung, um im Beruf und seinem sozialen Umfeld keinen Verdacht zu erregen. Dennoch ist Carlys erster Schritt im 21. Jahrhundert zu googlen, wie man sich um ein Baby kümmert und MacLaren weiß nicht, dass seine Frau Kathryn (Leah Cairns) nur "Kat" genannt wird.
Trotz High-School-Alter fällt Trevor fast nie auf
Foto: Netflix
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Die Logiklöcher und Unstimmigkeiten in der Zeitachse sind nervig, aber nichts Neues. Ich kann mich nicht erinnern, jemals eine Geschichte gesehen oder gelesen zu haben, in der Zeitreisen tatsächlich konsequent und stringent durchgezogen wurden, ohne sich irgendwann selbst zu widersprechen. Auch in der deutschen "Netflix"-Serie "Dark (hier geht es zu unserer Diskussion), die in drei verschiedenen Jahrzehnten spielt, gab es viele Stellen, an der die Handlung keinen Sinn ergeben hat. Trotz der Fehler hat mich "Travelers" in der zweiten Staffel gut unterhalten. Das lag vor allem daran, dass die Charaktere sich endlich mit ihrer Situation arrangiert hatten und der Fokus dementsprechend nicht mehr ständig zwischen Mission und fünf privaten Handlungssträngen hin und her gesprungen ist. Außerdem sind die Folgen abwechslungsreicher. Eine besteht beispielsweise nur daraus, immer und immer wieder dasselbe Szenario durchzuspielen, um zu verhindern, dass die fünf Hauptcharaktere am Ende erschossen werden. Gestört hätte mich dieses Ergebnis aber weniger, da sie mir nicht sonderlich sympathisch sind. Carly mag ich beispielsweise überhaupt nicht, da sie blind das tut, was ihr aus der Zukunft diktiert wird und sich keine Gedanken macht, warum sie einige Katastrophen und tragische Todesfälle nicht verhindern dürfen. Nur Philip denkt von Anfang an selbstständig und trifft auch eigene Entscheidungen.
Project MC2
"Smart is the new cool!"
Foto: Netflix
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Die US-amerikanische "Netflix"-Show "Project MC2" richtet sich an ein jugendliches Publikum und besteht aus sechs Mini-Staffeln. In der Sendung geht es um eine Gruppe von intelligenten Schülerinnen, die sich mit Technik, Wissenschaft und Ingenieurswesen beschäftigen. McKeyla McAlister (Mika Abdalla) ist neu in der kleinen kalifornischen Stadt Maywood Glen. Durch ihr teils seltsames Verhalten weckt sie die Neugierde von drei Mitschülerinnen. Die kulinarische Chemikerin Adrienne Attoms (Victoria Vida), die Technik- und Social-Media-Verrückte Bryden Bandweth (Genneya Walton) sowie die hochintelligente Erfinderin Camryn Coyle (Ysa Penarejo) schnüffeln McKeyla nach. Die bemerkt es und offenbart ihnen, dass sie eine Agentin der rein weiblichen Geheimorganisation NOV8 ist. McKeylas Mutter (Danica McKellar) und Chefin von NOV8 bietet Adrienne, Bryden und Camryn an, probeweise bei einem Auftrag zu helfen. Ab der zweiten Staffel bekommen die vier Jung-Agentinnen zudem Hilfe von zwei weiteren Mitschülerinnen, der cleveren Botanikerin Ember Evergreen (Belle Shouse) und der vorlauten Graffiti-Künstlerin Devon D'Marco (Staffel 2-4: Alyssa Lynch; Staffel 5: Maddie Phillips).
Ideale Outfits für eine Kostümparty in der Schule!
Foto: Netflix
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"Project MC2" habe ich 2015 entdeckt, kurz nachdem die erste Staffel erschienen ist. Ich habe sie dann immer laufen lassen, wenn ich bei meinen Hobbys oder beim Essen Hintergrundgeräusche brauchte. Tatsächlich fand ich die Sendung ganz witzig. Handlung und Charaktere sind sogar für eine Teenie-Serie ungewöhnlich bunt, schräg und überdreht. Dabei rutschen sie nur selten ins Lächerliche ab - zum Beispiel jedes Mal, wenn die Mädchen sich für eine Party oder ein Event schick machen müssen. Dann liefern sich die Kostümbildner einen Kampf darum, wer die seltsamste Mixtur aus Farben, Stoffen, Perücken, Effekten und unnötigen Schichten entwerfen kann. Ansonsten konzentriert sich die Serie zum Glück größtenteils auf die Talente der Mädchen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). McKeyla hat einen Freund, den sie ständig zugunsten der Arbeit vernachlässigt. Ansonsten beschäftigt sich "Project MC2" nur sehr selten mit den Themen, die in Teenie-Sendungen normalerweise eine wichtige Rolle spielen. Die Fähigkeiten der Mädchen sind außergewöhnlich - zu außergewöhnlich, um noch nachvollziehbar oder glaubwürdig zu sein. Dennoch finde ich es toll, dass es auch Sendungen gibt, in denen die Heldinnen ihr Ziel alleine durch ihre Intelligenz und ihren Ehrgeiz erreichen - ohne magische Kräfte oder anderweitige Hilfe.
An den Haarfarben kann man sie unterscheiden
Foto: Netflix
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Allerdings ist die Serie sehr unübersichtlich. Von den sechs Staffeln bestehen zwei aus sechs Folgen, zwei aus fünf Folgen, eine aus drei Folgen und eine aus nur einer Folge. Dazu kommt die Tatsache, dass sich die Anzahl der Hauptfiguren stetig erhöht. Neben Adrienne, Bryden, Camryn, Devon, Ember und McKeyla kommt irgendwann auch noch deren ältere Schwester Maddy dazu. Zu den besten Zeiten sind also sieben junge Agentinnen gleichzeitig im Einsatz. Harmonieren tun sie jedoch nicht, da einige deutlich sinnvollere Fähigkeiten und Talente haben als die anderen. Daher stehen häufig zwei oder drei von ihnen tatenlos herum. Viel gibt es auch nicht zu tun, denn die Antagonisten entsprechen allesamt der Bilderbuchversion eines Bösewichts: Sie haben ein fieses Lachen und stumme, grobe Handlanger, schmieden umständliche, zum Scheitern verurteilte Pläne und unterschätzen die Agentinnen völlig und lassen sie alleine gefesselt zurück. Ein zweites Mal werde ich mir "Project MC2" nicht angucken, aber für Zwischendurch war die Serie ganz nett und die intelligenten Heldinnen sind begrüßenswert!
Berlin Station - Staffel 2
Deutlich besser als Staffel 1!
Foto: Epix
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In meinem vorherigen Kurzrezensionen-Post habe ich bereits über "Berlin Station" gesprochen (hier geht es zum Beitrag). Damals war die zweite Staffel noch nicht erschienen und ich habe nur die erste bewertet. Da zwischen den beiden aber Welten liegen, habe ich mich entschlossen, noch einmal darauf einzugehen. In der zweiten Staffel kehrt CIA-Agent Daniel Miller (Richard Armitage) nach Berlin zurück. Er soll sich in eine Neonazi-Zelle einschmuggeln, in der Otto Ganz (Thomas Kretschmann) und seine Tochter Lena (Emilia Schüle) einen Anschlag planen. Die CIA vermutet, dass die rechte Politikerin Katerina Gerhardt (Natalia Wörner) und ihre Partei PfD (Perspektive für Deutschland) die Attacke in Auftrag gegeben haben, um kurz vor der Bundestagswahl Angst und Unmut im Land zu wecken. Während seines Undercover-Einsatzes trifft Daniel auf seinen alten Kollegen Hector DeJean (Rhys Ifans), der sich nach den Ereignissen der letzten Staffel in Spanien versteckt. Derweil gibt es in der Station zwei neue Gesichter: BB Yates (Ashley Judd), die die Leitung übernommen hat und April Lewis (Keke Palmer), eine junge, ambitionierte Agentin. Beim deutschen Verfassungsschutz steht mittlerweile Esther Krug (Mina Tander) an der Spitze.
Agentin Edwards (r.) lernt die PfD-Spitze kennen
Foto: Epix
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Die zweite Staffel "Berlin Station" macht genau die Dinge richtig, die ich an der ersten bemängelt habe. Ich mochte vor allem die verstrickte Geschichte nicht. Sie hatte keinen erkennbaren roten Faden und war wenig spannend, da von Anfang an feststand, wer der gesuchte Whistleblower war. Außerdem fand ich es schade, dass die Handlung nicht so viel Bezug zu Berlin hatte. Die Geschichte hätte überall spielen können. Das ist in den neuen Folgen anders. Im Fokus steht die fiktive PfD und ihre zentralen politischen Figuren Katerina Gerhardt und Joseph Emmerich (Heino Ferch). Es ist mehr als offensichtlich, dass die AfD hier als Vorbild gedient hat. Doch das ist ein Vorteil. Die Geschichte wirkt realistisch, bedrückend und ist dennoch (vor allem für amerikanische Verhältnisse) sehr sachlich. CIA-Agentin Valerie Edwards (Michelle Forbes, The Killing) lässt sich mit dem rechten Politiker Emmerich ein, im Verlauf der Affäre erfahren sie und der Zuschauer mehr über ihn. Dabei wird schnell klar, dass er kein rassistisches Monster ist, sondern ein freundlicher, eloquenter, korrekter Mann, der sich Sorgen um die Zukunft seines Landes macht. Genau diese Rechten sind am gefährlichsten - werden in Filmen, Büchern und Serien aber häufig durch grobschlächtige, Hassparolen schreiende Nazis ersetzt. Otto und Lena Ganz passen hingegen in diese stereotype Vorstellung. Die beiden wirken wie aus der Zeit gefallen und wollen weder zu allen anderen Charakteren, noch in die Handlung passen. Die Folge, bei der sie im Vordergrund standen, war mit Abstand die schlechteste und langweiligste der Staffel.
April ist deutlich disziplinierter als ihre Kollegen
Foto: Epix
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Mit Ausnahme von den beiden haben mir auch die Charaktere deutlich besser gefallen als beim letzten Mal. Die CIA-Agenten sind lockerer geworden, deutlich sympathischer und agieren viel mehr mit ihrer Umgebung. Anstelle von langen Gesprächsrunden im Büro und nächtlichen Verfolgungsjagden durch Berliner Hinterhöfe, stürzen sie sich nun mitten ins Geschehen - sei es eine Parteikundgebung oder eine spontane Undercover-Aktion. Während die Verbundenheit/Liebe/Abhängigkeit zwischen Esther Krug und Daniel Miller in der ersten Staffel fast das einzige war, das die amerikanische Seite mit der deutschen verbunden hat, sind die meisten beruflichen und privaten Konstellationen nun international. Mit April Lewis ist zudem ein Charakter dazugekommen, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann. Ich hatte erst Bedenken, ob ein junger, ehemaliger Nickelodeon-Star als CIA-Agentin durchgehen kann, doch die Sorge war unbegründet. Im Gegensatz zu ihren älteren Kollegen reflektiert sie ihre Arbeit noch bevor sie handelt. So steht sie in einer Folge vor der Frage, ob es jemand wie Katerina Gerhardt verdient hat, zu sterben. Diesen inneren Konflikt stellt Keke Palmer sehr authentisch und nachvollziehbar dar. Überhaupt ist es schön, einen Millenial-Charakter im Fernsehen zu sehen, der frei von Stereotypen ist und nicht auf sein Alter reduziert wird. Ich freue mich schon riesig auf die dritte Staffel, die im Dezember in Auftrag gegeben wurde.
Das waren meine "Netflix"-Kurzrezensionen. Da der Streaming-Anbieter immer wieder neue Serien und Staffeln herausbringt, wird es sicher nicht der letzte Beitrag zu diesem Thema sein. Alle Posts zum Thema "Netflix" findet ihr hier.