Freitag, 28. April 2017

Tote Mädchen lügen nicht (Serie) - Rezension

Tote Mädchen lügen nicht Serie Rezension Kritik
- Der folgende Text enthält Spoiler -

In jeder Generation gibt es Bücher, die zu einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich in aller Munde sind. Entweder man hat sie selbst gelesen oder weiß wenigstens worum es ging. "Tote Mädchen lügen nicht" von Jay Asher ist für mich so ein Buch. Irgendwann in der Mittelstufe haben es alle Mädchen in meinem Umfeld gelesen. Ich auch. Worum es geht ist schnell erklärt: Der High-School-Schüler Clay Jensen findet eines Tages einen Karton vor seiner Haustür. Darin enthalten sind mehrere Kassetten, auf denen seine Mitschülerin Hannah Baker beschreibt, warum sie sich das Leben genommen hat. 13 Kassetten-Seiten mit 13 Gründen für ihren Selbstmord - alle an unterschiedliche Menschen gerichtet.

13 Folgen für 13 Gründe

Weshalb erhält Clay die Kassetten?
Foto: Netflix

Nach jahrelangen Gerüchten um eine mögliche Verfilmung gibt es sie jetzt: Der Streaming-Dienst "Netflix" hat aus "Tote Mädchen lügen nicht" eine 13-teilige Serie geschaffen, bei der sich jede Folge mit einer Kassetten-Seite, also einem Grund für Hannahs (Katherine Langford) Tod, beschäftigt. Die 14. Seite bleibt vorerst leer. Prinzipiell ist diese Aufteilung eine clevere Idee und gibt der Serie eine klare Struktur. Allerdings hatte ich immer wieder das Gefühl, dass die Handlung in einigen Episoden zu sehr in die Länge gezogen wurde. Alle zwölf Personen, die auf den Kassetten erwähnt werden (einer Person sind gleich zwei Seiten gewidmet), deren Angehörige, Hannahs Eltern, deren Klage gegen die Schule.... Es gibt sehr viele Nebenhandlungen, die zum Teil mehr Platz einnehmen als Hannahs Aufnahmen. Da die meisten Charaktere ebenfalls spannende Geschichten zu erzählen haben, ist die Serie, trotz Längen, nicht langweilig. Dennoch geraten Hannahs Kassetten regelmäßig aus dem Fokus - sie alleine bieten nicht genug Inhalt für 50-minütige Episoden. Vielleicht wäre eine kürzere Laufzeit hilfreich gewesen. So jedoch hat die Serie genug Nebenhandlungen aufgebaut und Fragen unbeantwortet gelassen, dass eine zweite Staffel ohne Buchvorlage prinzipiell möglich wäre.  Eine dieser zentralen, offenen Fragen ist: Was hat Jahrbuchfotograf Tyler Down (Devin Druid) mit den Waffen vor, die er in seinem Zimmer hortet? Tatsache ist, dass er, genau wie Hannah, ständigem Mobbing durch Mitschüler ausgesetzt ist. Einige der Teenager haben zwar die Kassetten angehört und erfahren, was ihre gehässigen Worte und schnell verbreiteten Gerüchte bei Hannah angerichtet haben, dennoch setzten sie das Mobbing bei anderen fort. 

Unsympathisch, aber gut

Justin (Brandon Flynn; 4.v.l.) zeigt ein peinliches Foto 
Foto: Beth Dubber/Netflix
Ich habe versucht mich daran zu erinnern, wie mir die Buchvorlage gefallen hat, bevor ich mir die Netflix Serie ansehe. Ich konnte mich nur noch an einen Punkt  erinnern: Irgendwas hat mich an den Figuren gestört. Mittlerweile weiß ich es wieder: Sie waren mir alle furchtbar unsympathisch. Bei Charakteren wie dem Macho und Vergewaltiger Bryce Walker (Justin Prentice) oder Courtney Crimsen (Michele Selene Ang), für die nur ihr eigenes Wohl zählt, ist kaum eine sympatische Regung zu finden. Doch auch mit Figuren, die vermeintlich zu den "Guten" gehören, konnte ich mich nicht anfreunden. Dazu gehört beispielsweise Tony (Christian Navarro), dem Hannah die Kassetten zur Aufbewahrung gibt und der sich um den verzweifelten Clay (Dylan Minnette) kümmert - ohne ihm oder Hannahs Eltern die Wahrheit zu sagen und so aktiv zu helfen. Oder auch Clay selbst, der seine Mitschüler auf der einen Seite für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen will, auf der anderen Seite jedoch beispielsweise Tyler und Skye Miller (Sosie Bacon) mit Missachtung und Unfairness begegnet.

Olivia und Hannah Baker im Laden der Familie
Foto: Beth Dubber/Netflix
Zwar waren mir alle Charaktere, mit Ausnahme von Hannahs Eltern, herzlich unsympathisch, dennoch zeigt die Serie anschaulich, dass jeder sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften hat. So ist Bryce ein Vergewaltiger, kümmert sich aber um seine Freunde. Alex Stendall (Miles Heizer) hat zwar einen Keil zwischen Hannah und ihre ehemalige Freundin Jessica Davis (Alisha Boe) getrieben, ist letztendlich aber der Erste, der sich dafür ausspricht die Wahrheit ans Licht zu bringen. Diese Zwiespältigkeit der Charaktere ist omnipräsent, was vor allem dem grandiosen Ensemble zu verdanken ist. Die Darsteller brauchen keine Worte, um die Gefühle ihrer Figuren zum Ausdruck zu bringen. Eine Geste, ein Blick reicht und man kann sich in die Situation hineinversetzen. Für Katherine Langford ist "Hannah Baker" die erste große TV-Rolle und hoffentlich nicht ihre letzte. Sie lebt Hannah - von witzig und aufgeschlossen, über verzweifelt und unsicher bis hin zur absoluten Leere. Die einzige noch eindrucksvollere Leistung zeigt Kate Walsh als Hannahs Mutter Olivia Baker. Ihr von Zweifel, Selbstvorwürfen und Trauer zerfurchtes Gesicht allein ist schon tief bewegend. Aber auch ihr Spiel geht ans Herz. Hier möchte ich besonders eine Szene hervorheben - die, in der Olivia ihre Tochter tot auffindet. Sie eilt beinahe völlig ruhig auf Hannah zu, nimmt sie in den Arm und versichert ihr, dass alles gut wird. Diese Ruhe und Liebe, die sie ausstrahlt, lassen sich nicht in Worte fassen. Da ich die Serie in der Originalversion gesehen habe, kann ich nicht beurteilen inwieweit die Synchronisation die Wirkung dieser Szenen beeinflusst.

Fazit

"Tote Mädchen lügen nicht" gehört aufgrund der realistischen Thematik und der vielen verzweigten Nebenhandlungen nicht zu den Netflix Sendungen, die man nebenher beim Essen guckt. Man sollte sich Zeit nehmen die Serie anzuschauen und auf keinen Fall die Mini-Doku "Behind the Reasons" auslassen, in der Schauspieler, Produzenten und Experten auf die Serie und die Themen Suizid und sexuelle Gewalt eingehen. Besonders die grandiosen Schauspieler und die interessanten, komplexen Charaktere machen die Serie sehenswert.


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Der offizielle Trailer:



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