Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei.
Der Kieler Kommissar Klaus Borowski (Axel Milberg) erhält einen Brief seiner Patentochter Grete Voigt (Emma Mathilde Floßmann), die ihn eindringlich um einen Besuch bittet. Vor vier Jahren war ihre Mutter (Sandrine Mittelstädt) spurlos verschwunden. Borowski hatte vermutet, dass Heike Voigt von ihrem Ehemann Frank (Thomas Loibl, Polizeiruf 110: Starke Schultern) getötet worden war, konnte die Theorie jedoch nie beweisen. Dementsprechend frostig ist das Zusammentreffen der beiden Männer und Grete behauptet, den Brief bereits vor einigen Jahren geschrieben, aber nie abgeschickt zu haben. Lediglich Gretes Schwester Sinja (Mercedes Müller) und Franks neue Ehefrau Anna (Karoline Schuch) freuen sich über Borowskis Besuch. Letztere bittet ihn heimlich, eine Autopanne vorzutäuschen und in dem riesigen Haus zu übernachten. Schon wenige Stunden später merkt der Kommissar, was die junge Frau beunruhigt: In der Villa gibt es nachts unheimliche, scheinbar übernatürliche Vorkommnisse - hat es der Geist von Heike auf Anna abgesehen? Hilfe bei dem seltsamen Fall erhält Borowski von seiner neuen Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik).
Gespenster, Badewannen und erschossene Autos
Sahin (v.r.) ist vielversprechend
Foto: NDR
|
...sind nicht unbedingt Dinge, die häufig in deutschen Krimis auftauchen. Aber im "Tatort" gab es sie schon: Letztes Jahr sorgte der Frankfurter Fall "Fürchte dich" für Aufsehen, da die Ermittler von übernatürlichen Kreaturen verfolgt wurden. Die anderen beiden Punkte waren sogar bereits Teil von Borowski-Folgen. 2012 feuerte der Kommissar eine Kugel auf seinen liegengebliebenen Wagen ab, während im vorherigen Fall "...und das Land zwischen den Meeren" eine Badewanne zentraler Teil des Tathergangs war. Alle drei Dinge spielen nun auch im aktuellen Krimi eine wichtige Rolle - dementsprechend fühlt er sich an einigen Stellen wie ein kleines Déjà-vu an. Das wäre an sich nicht schlimm, da es schwierig ist, bei mittlerweile 1.065 Folgen noch zu hundert Prozent innovativ und neu zu sein. Allerdings passen die verschiedenen Punkte in diesem "Tatort" einfach nicht zusammen. Alles wirkt, als sei es mit der heißen Nadel zusammengestrickt worden. Bereits die Anfangssequenz ergibt nicht wirklich Sinn, da sich Borowski und sein (ehemaliger) Verdächtiger Frank Voigt scheinbar nie ausgesprochen haben, der Konflikt aber erst nach einiger Zeit plötzlich und unerwartet hochkocht (Frank: "Hältst du mich immer noch für den Mörder meiner Frau? Warum schiebst du einen Brief von Grete vor, um dich hier zum Essen einladen zu lassen?" Borowski: "Weil du immer noch ein sehr guter Koch bist." Anna: "Haben alle noch Platz für Nachtisch?"). Innerlich kann der Zuschauer dem vermeintlichen Mörder nur zustimmen: Wieso sich Borowski nach vier Jahren Funkstille plötzlich bei seinem Patenkind meldet, wird nicht wirklich aufgeklärt.
Die ganze Situation fühlt sich gestellt an - im Gegensatz zum "Tatort: Fürchte dich" jedoch nicht mit voller Absicht. Drehbuchautor Marco Wiersch scheint seinen Fall und die seltsamen Charaktere völlig ernst zu nehmen. Dabei wirken viele der Dialoge, als seien sie für die Ulk-"Tatorte" aus Münster oder Weimar verfasst worden - wie beispielsweise das Zusammentreffen von Borowski und seiner Ex-Frau Gabrielle (Heike Trinker, Tatort: Der rote Schatten), das übrigens vor einer Gruppe von Ballettschülerinnen im Grundschulalter stattfindet (Gabrielle: "Hast du einen Durchsuchungsbeschluss?" Borowski: "Ich will nur kurz reden." Gabrielle: "Als wir frisch verliebt waren, hast du mir einen Durchsuchungsbeschluss für meinen Körper überreicht. Das fand ich schick."). Die lebensfernen Charaktere würden ebenfalls besser zu einem der Teams passen, die sich selbst nicht ernst nehmen. Am stärksten zeichnet sich das bei den beiden Voigt-Schwestern ab, die wie Figuren aus einem Kinderfilm erscheinen: Die eine unscheinbar mit Strickmütze, gefärbten Haaren, permanenter Depri-Stimmung und schlechter Laune; die andere sexy mit stylischen Outfits, ständigem, übertriebenem Optimismus und gekünsteltem Lachen.
Wie aus einem schlechten Familiendrama: Die Voigts
Foto: NDR/Christine Schroeder
|
Willkommen, Kommissarin Sahin!
Gestatten: Boxsack Walter und Kommissarin Sahin
Foto: NDR/Christine Schroeder
|
Die Vorstellung von Borowskis neuer Kollegin wirkt ebenfalls abstrus: Mila Sahin schwingt an einem Boxsack im Büro hin und her und stellt ihn als "Walter", ihren Kumpel und Coach vor. Mal abgesehen von dieser seltsamen Szene, ist ihr Einstieg jedoch gelungen. Die junge Ermittlerin ist spontan, witzig und zielstrebig. Außerdem verstehen sie und Borowski sich sofort. Er verliert nicht einmal ein Wort darüber, dass sie den Fall offiziell leitet. Zwar fällt Sahins Rolle diesmal leider noch relativ klein aus, sie ist aber vielversprechend. Ihrem älteren Kollegen tut der frische Wind auch sichtlich gut. In den vorherigen Folgen fiel Borowski vor allem durch seine ständige schlechte Laune, seine mürrischen Sprüche und seine Anti-Team-Haltung auf. In "...das Haus der Geister" ist er - obwohl der Fall in seinem privaten Umfeld spielt - fröhlich, engagiert und motiviert. In einem für die Geschichte völlig irrelevanten, aber dafür niedlichen Moment tanzt er losgelöst zu Warteschleifenmusik und steckt auch Kollegin Sahin mit dem hüftsteifen Tanzfieber an. In diesem Krimi gibt es zahlreiche Sequenzen, die nicht zum Rest der Handlung passen wollen. Den wohl größten Bruch stellt eine Szene dar, in der Borowski, Anna, Sinja und Grete versuchen, mit dem Geist von Heike in Kontakt zu treten - Salzkreis, Glas rücken und Beschwörungsformel inklusive. Die übertriebene Seriosität und die holprigen Dialoge lassen erneut den Eindruck zu, es handele sich dabei um einen "Tatort" aus Weimar oder Münster (Borowski: "Verbietet euch jeglichen Zweifel. Nur so kann sich eure Energie auf das Glas übertragen! Wir rufen dich großer Geist!"). Unterm Strich passt in dieser Folge nichts so wirklich zusammen. Das Gespensterritual wird später genauso wenig aufklärt, wie viele Fragen - beispielsweise, wieso Sinjas Freund Chris (Alex Peil) bei den Voigts am Küchentisch sitzt, obwohl keiner zu Hause ist; weshalb die Spukattacken erst vier Jahre nach Heikes Verschwinden begonnen haben oder warum Anna nach den ersten komischen Vorkommnissen keine Kameras installiert hat oder in ein Hotel gezogen ist.
Fazit
"Borowski und das Haus der Geister" ist gemessen an der Handlung eine schwache Folge aus Kiel. Es scheint, als sei die Geschichte nachlässig, hastig und ohne jegliche Logik zusammengebaut worden. Die Episodencharaktere wirken darin wie blasse Karikaturen, deren Aktionen und Gemütsschwankungen so gut wie nie erklärt werden. Trotz der Gespensterthematik will keine Spannung aufkommen, was vor allem an der albernen Inszenierung der Geisterbeschwörung und der nächtlichen Vorkommnisse liegt. Das einzige starke Element in diesem "Tatort" sind die beiden Ermittler. Nach einer langen mürrischen Phase agiert Borowski zum ersten Mal wieder sympathisch und motiviert. Seine neue Kollegin hat zwar noch keine große Rolle, überzeugt aber in ihren kurzen Auftritten durch ihren Witz und ihre Schlagfertigkeit. Hoffentlich bekommt das Team demnächst etwas bodenständigere und logischere Kriminalfälle, damit die Motivation der Kommissare nicht nachlässt.
Achtung: Der Kölner "Tatort: Trautes Heim" nächste Woche ist eine WIEDERHOLUNG aus dem Jahre 2012. Die nächste "Tatort"-Erstausstrahlung läuft am darauffolgenden Sonntag. In "Tiere der Großstadt" müssen die Berliner Kommissare Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) gleich zwei Tötungsdelikte aufklären.
Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.
0 Kommentare:
Kommentar veröffentlichen