Sonntag, 14. Mai 2017

Polizeiruf 110: Muttertag - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalk) dabei. 


Im polnischen Krzywy Las, dem "Krummen Wald", wird eine übel zugerichtete Leiche gefunden. Zeugen wollen ein Auto mit deutschem Kennzeichen in der Nähe des Tatorts beobachtet haben, was das deutsch-polnische Ermittlungsteam Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) auf den Plan ruft. Sie finden heraus, dass der Tote Janusz Kubiak kurz vor seinem Tod Geschlechtsverkehr hatte - jedoch nicht mit seiner Frau. Hat seine Geliebte ihn umgebracht? Auch Außenseiter Enrico Schoppe (Anton Spieker) gerät in den Fokus der Ermittlungen. Seine "Mutti" Heidi (Ulrike Krumbiegel) setzt alles daran, um ihn zu beschützen.

Mutti ist die Beste

Bei Enrico und "Mutti" hängt der Haussegen schief
Foto: rbb/Oliver Feis
Wie Name und Ausstrahlungstermin dieses "Polizeirufs" bereits dezent andeuten, spielen Mütter im dritten gemeinsamen Fall der deutsch-polnischen Ermittler eine große Rolle. Da wäre einmal Kommissarin Lenski selbst, die ihre vierjährige Tochter Alma im Schlafanzug mit aufs Revier bringt, da sie - überraschenderweise - um drei Uhr morgens keinen Babysitter gefunden hat. Im weiteren Verlauf ringt Lenski mit der Entscheidung, ob sie ihren Vertrag verlängern oder ihrer Tochter zuliebe in ihre Heimat Potsdam zurückkehren soll. Der Spagat zwischen Beruf und Kindern ist, besonders bei Alleinerziehenden, ein allgegenwärtiges Problem und die Szenen mit Alma sind durchaus niedlich und unterhaltend. Dennoch behindert die Nebenhandlung immer wieder die Ermittlungen - wortwörtlich, denn die Kleine hat das Talent immer genau dann anzurufen, wenn ihre Mutter kurz davor ist, einem Verdächtigen wichtige Informationen zu entlocken. 
Heidi Schoppe bildet die zweite zentrale Mutterfigur. Obwohl ihr Sohn Enrico bereits erwachsen ist, kümmert sie sich aufopferungsvoll um ihn (Enrico: "Hast du Kohle? Hast du noch watt auf'm Konto?"; Heidi: "Ich bin doch schon mit 290 im Dispo. Ich krieg' erst morgen wieder watt!"; Enrico: "Morgen erst? Oh fuck!"). Das Drehbuch räumt den Schauspielern Ulrike Krumbiegel und Anton Spieker genug Sendezeit ein, um überzeugend darzustellen inwieweit sich die Mutter-Sohn-Beziehung und Hierarchie der beiden im Laufe der Ermittlungen immer weiter verändert. Sie amüsieren außerdem mit dem wohl stichhaltigsten Alibi aller Zeiten: "Wir haben Backgammon gespielt!
Justyna Kubiak (Justyna Pawlicka-Hamade), die Ehefrau des Toten und Mutter seiner beiden Kinder, sowie Liane Uhl (Kathleen Gallego Zapata), Mutter von Kubiaks Geliebter, tauchen jedoch nur am Rande auf. Eine Highlight-Szene gibt es dennoch, mit der sich wohl viele Serienfans identifizieren können. Während die Polizei zeitgleich nach ihrer Tochter sucht, setzt Liane Uhl Prioritäten: "Gucken wir jetzt "Sturm der Liebe"?"

"Willkommen in der Wüste - Wüsterow"

Besonderes Augenmerk liegt, wie bereits in den beiden vorherigen Fällen des Teams, auf der Umgebung. Die Verdächtigen stammen aus dem fiktiven Dorf "Wüsterow", das kaum trister und kleinbürgerlicher sein könnte. Es ist offensichtlich, dass die Macher des Films das Brandenburg zeigen wollen, das nicht mehr vom Berlin-Tourismus profitiert. Zum Teil wirkt diese Ambition jedoch etwas zu gewollt ("Sie haben 'ne Bar?"; "Ja, 'ne Gaststätte."; "Sowas gibt es hier?"). Wie in praktisch jedem Dorf-Krimi kennt jeder jeden und die Kommissare bekommen statt solider Zeugenaussagen vor allem Mutmaßungen und Gerüchten zu hören.
Auch ohne Leiche gespenstisch: Der "Krumme Wald"
Foto: Radek Dranikowski
Da die deutsch-polnische Zusammenarbeit ein essentieller Bestandteil dieses "Polizeiruf"-Teams ist, spielt auch in "Muttertag" ein Teil der Handlung in Polen. Dabei ist es ein kluger Schachzug, dass die polnischen Dialoge nicht untertitelt werden. So befinden sich die meisten Zuschauer in derselben Position wie Olga Lenski, die zwar ein paar Brocken Polnisch spricht, aber noch nicht sonderlich viel versteht. Das macht die Szenen realistischer und man kann sich gut mit der Kommissarin identifizieren. Positiv hervorzuheben ist auch die Tatsache, dass die Charaktere aus Polen von polnischen Schauspielern gespielt werden. So wirken die Szenen authentisch und viel stimmiger als wenn deutsche Schauspieler mit falschem Akzent Polen mimen würden.
Ein besonderes Highlight stellt der Krzywy Las dar, in dem die Leiche gefunden wird. Die krummen Bäume haben einen ganz eignen, ungewöhnlichen Charme und sind eine nette Abwechslung zu den Innenstadt-Drehorten der meisten anderen Sonntagskrimis. Außerdem wirkt der Wald, besonders bei Dauergrau, sehr düster und trägt somit zur Spannung in einem sonst eher ruhigen Film bei.

Fremdschämen beim Zähneputzen

Lenski (l.) hat ihre Tochter mit zur Arbeit gebracht
Foto: rbb/Oliver Feist
Die Nebenhandlung hingegen, die sich mit der Annäherung des noch frischen Kommissarduos beschäft, stellt sich der aufkeimenden Spannung immer wieder in den Weg. Dass Lenski zum wiederholten Mal ihre Tochter mit zur Arbeit gebracht hat, sorgt für Reibereien zwischen ihr und Raczek. Anstelle die Beiden die ganze Folge über streiten und zicken zu lassen, wie es in vielen Teams üblich ist, versuchen die Drehbuchautoren Eoin Moore und Anika Wangard sie zu versöhnen. Der Plan sieht wie folgt aus: Lenski und Raczek wollen in Wüsterow übernachten, allerdings müssen sie sich ein Zimmer mit Doppelbett teilen, da alles andere ausgebucht ist. Vorher wurde mehrfach von verschiedenen Charakteren betont, wie klein, trist und unbedeutend das Dorf ist, wie kann es da sein, dass alle Betten in der Pension belegt sind? Die Ermittler stellen sich diese Frage seltsamerweise nicht, sondern akzeptieren ihr Schicksal. Sogar so sehr, dass sie brav nebeneinander in der Küchenzeile (Hat das Zimmer kein Bad?) stehen und Synchron-Zähneputzen. Diese Szene wirkt sehr gestelzt und unnatürlich, was nur noch von dem anschließenden Dialog im Doppelbett getoppt wird (Raczek: "Wenn das im Büro die Runde macht..."; Lenski: "Wird's eh, also können wir es eigentlich auch gleich tun, oder? Wissen Sie wie lange ich keinen Sex mehr hatte?"; Raczek (überlaut): "Gehen Sie mal davon aus, dass das nicht stattfinden wird."). 
Über Adam Raczek hat der Zuschauer bislang wenig erfahren und der Charakter wirkt dementsprechend noch etwas unausgereift. Seine Kollegin Lenski hingegen ist besser bekannt, da sie bereits seit 2011 im "Polizeiruf" ermittelt. Es bleibt also zu hoffen, dass sich das Team in den kommenden Episoden einspielt und die persönlichen Nebenhandlungen innovativer und natürlicher werden.

Fazit

"Muttertag" ist ein Durchschnittskrimi mit einem schaurig-spannenden Setting. Die Ermittler bleiben eher blass und ihre persönliche Geschichte ist nicht wirklich interessant. Dafür sind die Nebencharaktere umso spannender. Passend zum Muttertag treten die unterschiedlichsten Arten von Müttern und Kindern auf, die alle ihre eigene Geschichte zu erzählen haben. Leider bleiben dem Zuschauer aus Zeitmangel viele dieser Geschichten verwehrt, doch Enrico und seine Mutti sind derart ungewöhnliche Charaktere, dass man alle anderen beinahe vergisst. Wirklich vergessen kann man einige Dialoge, die weit weniger witzig rüberkommen, als es von den Drehbuchautoren vermutlich geplant war. 


In der nächsten Woche zeigt das Erste den einzigen "Tatort" in diesem Monat. Nur drei Wochen nach ihrem letzten Fall, wird das Münchener Team Ivo Batic und Franz Leitmayr mit einem Geflecht aus Liebesbeziehungen konfrontiert, in die ihr Mordopfer verwickelt war.
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