Sonntag, 1. Oktober 2017

Tatort: Goldbach - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Ihr erster gemeinsamer Fall beginnt für die Kommissare Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) und Franziska Tobler (Eva Löbau) mit einer unangenehmen Aufgabe. Sie müssen Jens (Godehard Giese) und Barbara Reutter (Victoria Mayer, Berlin Station) mitteilen, dass ihre elfjährige Tochter Frieda erschossen im Wald gefunden wurde. Sie war mit den beiden gleichaltrigen Nachbarsjungen Linus (Oskar von Schönfels) und Paul (Aaron Kissiov) unterwegs, die nun verschwunden sind. Während Paul schnell wieder auftaucht, bleibt sein Freund vermisst. Die Zeugenaussage des Jungen führt die Ermittler nicht weiter. Doch ein im Wald verstecktes Waffenarsenal könnte den entscheidenden Hinweis geben. Währenddessen bringen gegenseitige Beschuldigungen die drei gut befreundeten Elternpaare auseinander.

Willkommen in der "Tatort"-Familie!

Photoshop üben wir aber noch...
Foto: SWR
"Goldbach" ist der erste Fall des neuen Schwarzwald-Ermittlerteams. So beschaulich wie die Landschaft, sind auch die beiden Kommissare. Drehbuchautor Bernd Lage verzichtet darauf, die Protagonisten ausführlich vorzustellen. Da sie sich bereits kennen und schon länger zusammenarbeiten, wird den Zuschauern eine Vorstellungsrunde à la "Das ist Kommissar... aus... Er wird ab heute ihr Team verstärken..." erspart. Viel wird nicht über Tobler und Berg verraten: Scheinbar sind sie nicht süchtig, nicht krank, haben keine traurige Hintergrundgeschichte und auch kein Familiendrama. Berg führt ab und zu mal eine nicht genehmigte Zeugenbefragung durch ("Wir untersuchen den Todesfall einer Elfjährigen. Glauben Sie mir, da ist mein Geduldsfaden sehr kurz!") und seine Kollegin hat einen Partner. Das war es auch schon mit den Informationen. In Sachen Größenunterschied erinnern sie mich sehr an die Ermittler Linden und Holder aus "The Killing". Obwohl die beiden noch recht farblos sind, waren sie mir trotzdem sympathisch. Im Gegensatz zu ihrer furchtbaren Chefin Cornelia Harms (Steffi Kühnert). Okay, vielleicht wurde die Rolle schnell zusammengebastelt, nachdem Harald Schmidt in letzter Sekunde ausgestiegen ist und sein Charakter gestrichen wurde. 
Harms (Mitte) und Berg (l.) in der Nähe des Tatorts
Foto: SWR/Johannes Krieg
Trotzdem ist die Kommissariatsleiterin schon jetzt Anwärterin auf den Titel "Unsympathischster Krimi-Chef", denn sie behindert permanent die Ermittlungen, um den Hersteller der vermeintlichen Tatwaffe zu schützen (Tobler: "Das ist ein großer Steuerzahler hier?" Berg: "Genau."). Der verschwundene Linus, die tote Frieda und ihre eigenen Mitarbeiter scheinen Harms wenig zu interessieren. Außerdem hat sie die nervige Angewohnheit, sich jedem im Raum namentlich vorzustellen, auch wenn sie mehrere Menschen nacheinander begrüßt. Weshalb mir das Team aber generell gefallen hat: Trotz der beschaulichen Landschaft, dem dörflichen Ambiente und den nicht ganz so blutjungen Ermittlern, wirkt es recht modern. Im Gegensatz zu vielen ihrer "Tatort"-Kollegen brauchen Berg und Tobler keine Erklärungen zum Dark Net oder zur Handy-Ortung. Selbst die Kinder wirken in "Goldbach" überraschend realitätsnah. So tanzt Frieda in einem Handyvideo zu einem Lied aus dem neusten "Bibi und Tina"-Film und Paul muss daran erinnert werden, keine polizeilichen Infos übers Handy zu teilen. Endlich fühlen sich die Ü35-Generationen im Sonntagskrimi mal halbwegs echt an!

Ein Kind tot, ein Kind verschwunden, ein Kind sicher zu Hause

Da waren die drei Väter noch eine Einheit
Foto: SWR/Johannes Krieg
Was mir auch sehr gut gefallen hat, waren die Reaktionen der drei Paare. Friedas Eltern stehen vor einem Scherbenhaufen, die von Linus (Odine Johne, vor Kurzem im "Tatort: Stau" zu sehen und Shenja Lacher) suchen verzweifelt ihren Sohn und Pauls Familie (Isabella Bartdorff und Felix Knopp) kehrt relativ schnell in den normalen Alltag zurück. Während sich die drei Parteien am Anfang noch unterstützen, beginnt Friedas Vater schnell die anderen Eltern zu verdächtigen und sie zu fragen, weshalb ihre Kinder überlebt haben. Die unterschiedlichen Reaktionen der sechs Erwachsenen sind nachvollziehbar und abwechslungsreich. Ich mochte auch ihren gemeinsamer Auftritt im Polizeirevier auf der Suche nach Antworten. Selten reagieren die Nebencharaktere in Krimis so besonnen und trotzdem emotional. Schade ist nur die Tatsache, dass sich früh abzeichnet, was im Wald vorgefallen ist. Zum wiederholten Mal ist die Person, die sich auffällig unauffällig verhält, irgendwie in den Fall verwickelt, wodurch der Showdown mehr als Bestätigung, weniger als Aufklärung fungiert. 
Ob sie die Tatwaffe im Sportschützen-Verein finden?
Foto: SWR /Alexander Kluge
Das langweilige Ende ist allerdings nicht die einzige Schwachstelle dieses Krimis. Die Figurenzeichnung ist toll und hätte den Fall auch alleine getragen. Doch ein gesellschaftskritischer Ansatz musste noch mit rein: Waffen. Es liegt ehr nah, dass hier vermutlich das Unternehmen Heckler & Koch als Vorbild genommen wurde. Leider wird das Thema nur am Rande und recht lieblos abgearbeitet. Da wären einmal die kurzen Auftritte des Firmenchefs Stefan Pfeiffer (Christian Heller), der völlig ohne Grund unfreundlich ist und Informationen zurückhält. Auf der anderen Seite gibt es ein paar mahnende Sprüche über Waffenbesitz (Berg: "Ich habe heute so viele Waffen gesehen, ich bräuchte drei LKW, um die abzutransportieren. Die bestellen sich Kompakt-MGs im Internet wie Druckerpatronen."). Eine Thematik, die so aktuell und wichtig ist, hätte deutlich mehr Inhalt und Sendezeit gebraucht. Die Programmplanung ist auch mal wieder ein Kritikpunkt: Es ist keine Seltenheit, dass Schauspieler kurz hintereinander in zwei Sonntagskrimis auftauchen (hier Odine Johne) und wird vielen Gelegenheitsguckern wohl nicht auffallen. Unübersehbar ist hingegen der Schnee, durch den die Charaktere die ganze Folge über stapfen. Da es sich bei "Goldbach" um den ersten Fall des Ermittlerteams handelt, hätte es wohl niemanden gestört, wenn die Erstausstrahlung um sechs oder acht Wochen nach hinten verschoben worden wäre, um wenigstens ansatzweise zu den realen Wetterverhältnissen zu passen. 

Fazit

Normalerweise ist die erste Folge eines neuen Teams eher unterdurchschnittlich, weil sich die Ermittler noch finden müssen. Da die Kommissare in "Goldbach" allerdings nicht vorgestellt werden und der Fall von Anfang an im Vordergrund steht, ist dieser "Tatort" überdurchschnittlich gut. Friedemann Berg und Franziska Tobler sind sympathische, bodenständige Protagonisten, weder bieder noch überdreht. Die Handlung ist zwar nur mäßig aufregend, durch ihren Realismus und die starke Figurenzeichnung jedoch trotzdem sehr spannend. Einige kleine Unstimmigkeiten und der gezwungen wirkende gesellschaftskritische Ansatz konnten mir diesen unterhaltsamen Krimi nicht vermiesen. Guter Einstand und weiter so!


Nächste Woche Sonntag ermitteln die Münchener Kommissare Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl). In "Hardcore" müssen sie den Mord an einer Pornodarstellerin aufklären, die tot in einem Planschbecken gefunden wurde.

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