Sonntag, 29. Oktober 2017

Tatort: Fürchte dich - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.



Ein alter Mann (Axel Werner) nähert sich nachts dem Haus, in dem Kommissar Paul Brix (Wolfram Koch) mit seiner Vermieterin Fanny (Zazie de Paris) wohnt und versucht es anzuzünden. Nach der gescheiterten Brandstiftung bricht der Senior zusammen und starrt wie hypnotisiert auf ein Dachfenster. Brix folgt seinem Blick und sieht sich auf dem Dachboden um. Dabei findet er das Skelett eines Kindes. Der Kommissar begibt sich auf Spurensuche und trifft dabei Merle (Luise Befort), die Enkelin des alten Mannes. Währenddessen passt Brix' Kollegin Anna Janneke (Margarita Broich) auf Fanny, die sich zunehmend seltsam verhält. Irgendwann können es die beiden Kommissare nicht mehr verdrängen: Sie stehen übernatürlichen Mächten gegenüber, die mit dem Gemäuer verbunden sind.

Alles ist so, wie es scheint!

Das Poster sagt schon alles!
Foto: HR

Das Wichtigste zuerst: Nein, diese Handlung macht keine Kehrtwende und wird plötzlich doch zu einem normalen Krimi, denn (Spoiler im Rest des Satzes) tatsächlich gibt es hinterher keine natürliche Erklärung für all die gruseligen Vorkommnisse (Ursula Schlien (Gudrun Ritter): "Egal, ob man an Ungeheuer oder Geister glaubt - wir sind alle in Gefahr!"). Eine wirkliche Tätersuche und Ermittlungen gibt es hier auch nur am Rande. Trotzdem hat mich dieser Fall fasziniert, denn im Gegensatz zu anderen abgedrehten "Tatort"-Folgen, wie denen aus Wiesbaden, nimmt er sich nicht ernst. Ich hatte nicht das Gefühl, dass Regisseur Andy Fetscher, der zusammen mit Christian Mackrodt auch das Drehbuch schrieb, "Kunst" erschaffen wollte. Der ganze Horror-Krimi wirkt, als hätten alle Beteiligten großen Spaß gehabt, so richtig schräg sein zu dürfen (Janneke: "Ich fange an, mir Sorgen um Fanny zu machen, irgendwas stimmt nicht mit der. Die sitzt jetzt am Esstisch und legt Karten (...)." Brix: "Füll sie ab! Nimm den Brandy auf dem Regal unter der Spüle oder noch besser: Im Keller sind zwei Flaschen Wodka!" Janneke: "Ich glaube die trinke ich mal lieber selber!"). Die Geschichte ist natürlich völlig realitätsfern und abgedreht, macht aber dennoch Spaß. Das liegt vor allem daran, dass der Film in sich stimmig ist. Anstelle zu versuchen, den Horror-Aspekt irgendwie in einen Krimi zu integrieren, ist dieser "Tatort" einfach nur schräg und versucht gar nicht erst, einen normalen Kriminalfall zu integrieren. 
Wie viele Zuschauer sehen heute Abend so aus?
Foto: HR/Benjamin Dernbecher
Dazu kommen klassische Horror-Elemente, deshalb würde ich jedem, der genauso schreckhaft ist wie ich, empfehlen, diesen Fall aus Frankfurt lieber bei Tageslicht in der Mediathek anzusehen (Janneke: "Welche Frau und warum will sie, dass du das ganze Haus putzt?" Fanny: "Frag sie doch selbst. Sie steht direkt hinter dir."). Denn es gibt eine ganze Reihe von Schreckmomenten - inklusive Jump-Scares. Ich habe mich bis kurz vor Ende des Films nur leicht bis mittelmäßig gegruselt, doch dann gab es eine Szene - um nicht zu viel zu spoilern, gebe ich hier nur den Hinweis "Kellerregal" - in der ich mich wirklich, WIRKLICH erschreckt habe. Ich habe den "Tatort" erst einmal gestoppt und gewartet, bis mein Puls wieder im halbwegs gesunden Bereich war. Denn das letzte, was man beim Sonntagskrimi erwartet, ist es, sich zu erschrecken! Außer man gruselt sich vor schlechten Geschichten wie letzte Woche bei "Zurück ins Licht" oder vor ekligen Sex-Praktiken wie in "Hardcore". Abgesehen von den Jump-Scares gibt es noch allerhand andere Horror-Elemente: Spritzendes Erbrochenes, widerlich geschminkte Untote, einen Schaukelstuhl, der wippt, obwohl niemand darin sitzt, das Getrappel von Kinderfüßen, beunruhigender Gesang, Gewitter, Nebel... Hier wird praktisch nichts aus dem Gruselfilm-Baukasten ausgelassen. So gibt es viele Szenen, die stark an andere Serien oder Filme erinnern, beispielsweise das feine Rinnsal Blut aus dem linken Nasenloch - "Stranger Things" lässt grüßen.

Reise in die Vergangenheit

Fanny (l.) und Janneke stöbern in alten Aufnahmen
Foto: HR/Benjamin Dernbecher
"Fürchte dich" ist definitiv kein "Tatort" bei dem die Zuschauer hinterher über den Mörder oder den Tathergang diskutieren werden. Zwar dreht sich die Handlung auch um die Frage, woher das Kinderskelett auf Brix' Dachboden stammt und wie das kleine Mädchen gestorben ist. Allerdings ist die Auflösung letztendlich ziemlich ernüchternd und passt so gar nicht zum überdrehten Rest dieses Krimis. Ich fand sie auch deswegen enttäuschend, da es einen sehr ähnlichen Tathergang im Ludwigshafener "Tatort: Der Schrei" gab. Auch da war das Opfer ein kleines Mädchen, das auf exakt dieselbe Art und Weise gestorben ist. In "Fürchte dich" kommt allerdings noch der interessante Unterschied dazu, dass sich der Mordfall in den 1950er Jahren ereignet hat und die beiden Kommissare sich daher durch alte Zeitungsartikel wühlen und mit Zeitzeugen sprechen müssen. Besonders letzteres erweist sich als schwierig, als eine alte Dame (Dagmar von Kurmin) vor den Augen von Brix und seiner Begleiterin Merle tot über dem Cafétisch zusammenbricht (Merle danach: "Mein Vater sagt ich wär verflucht. Er meint, das hat alles damals mit der Geschichte im Waisenhaus angefangen." Brix: "Red keinen Scheiß, Merle! Wenn du anfängst, dir das einzureden, wirst du deines Lebens nicht mehr glücklich!"). Ebenjener Vater taucht später auch in der Handlung auf. Wer er eigentlich ist, was in seiner kruden Vergangenheit geschehen ist und vor allem, was genau er diesem "Tatort" bringen soll, stellt sich nicht mehr heraus. Aber ehrlich gesagt hatte ich alle Fragen, die sich bei mir während dieses Krimis angesammelt haben, beim Showdown völlig vergessen. Durch die vielem Effekte, Actionszenen und Gruselelemente fand ich den wirklich aufregend - deutlich besser als die "Tatort"-Klimaxe der letzten Wochen! Aber natürlich hat "Fürchte dich" da einen Vorteil: Untote und Dämonen stechen einen "gewöhnlichen" Mörder nun einmal locker aus.

Fazit

"Fürchte dich" ist kein normaler "Tatort". Mördersuche und Ermittlungen gibt es hier so gut wie nicht, auch Zeugenbefragungen und Co. kommen nur am Rande vor. Außerdem bleiben am Ende Dutzende Fragen offen und einen realistischen Abschluss gibt es nicht. Mir persönlich hat der Fall trotzdem gut gefallen, da er anders ist, ohne zwanghaft Tabus zu brechen oder "Kunst" sein zu wollen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Krimis ist dieser an einigen Stellen sogar richtig spannend und unheimlich. Die Darsteller sind klasse und gehen sichtbar in der schrägen Handlung auf. Wer es ihnen gleich tut, wird einen verrückten, aber auch unterhaltsamen Sonntagabend erleben. 


Nächste Woche bringt "Der Fall Holdt" Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) an ihre Grenzen. Eine Bankiersfrau wurde entführt. Die Hannoveraner Ermittlerin vermutet, dass der Ehemann der Vermissten dahintersteckt und tritt damit eine Lawine los.

Folgt uns auf FacebookTwitter und Instagram, um diese und weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.


0 Kommentare:

Kommentar veröffentlichen