Mittwoch, 25. Oktober 2017

1922 (Film) - Rezension

Mit "1922" zeigt "Netflix" kurz nach Veröffentlichung von "Gerald's Game" (hier kommt ihr zu meinem Post, in dem ich die Verfilmung mit dem Roman vergleiche) eine weitere Stephen King Verfilmung. Die Adaption, die seit dem 20. Oktober auf der Seite des Streaming-Anbieters zu sehen ist, basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte aus der Geschichtensammlung "Zwischen Nacht und Dunkel". 

Der Farmer Wilfred "Wilf" James (Thomas Jane) lebt im Jahr 1922 mit seiner Frau Arlette (Molly Parker) und dem gemeinsamen jugendlichen Sohn Henry (Dylan Schmid) auf einem 30 Hektar großen Land in Nebraska. Das Grundstück hat Mrs. James von ihrem Vater geerbt, will es nun aber verkaufen, um in die Stadt zu ziehen. Wilfred hingegen will weiter auf dem Land wohnen bleiben. Der Streit um die Zukunftspläne geht so weit, dass Arlette ihrem Mann droht, das Grundstück zu verkaufen, sich scheiden zu lassen und Henry mit sich zu nehmen. In seiner scheinbar aussichtslosen Lage, sieht er nur einen Ausweg: Arlette muss sterben. Zusammen mit seinem Sohn, der ebenfalls einen Groll gegen seine Mutter hegt, bringt er sie um. Als der Mord gelingt und niemand dahinter kommt, scheint der Plan aufgegangen zu sein. Doch in Wahrheit beginnt jetzt der wahre Horror, denn Wilfred wird von der toten Ehefrau heimgesucht. 


Ein Horror der subtilen Art 

Ein einfacher Farmer wird zum Mörder
Foto: Netflix
Ich habe diesen Film sehr spontan angeschaut, als er mir zufällig bei "Netflix" angezeigt wurde. Bis auf die kurze Beschreibung hatte ich keine Ahnung, was mich erwartet. Erst als der Abspann lief, habe ich überhaupt erfahren, dass es sich um eine Adaption von Stephen Kings Novelle handelte. Letztendlich wurde ich positiv überrascht, denn die Geschichte konnte mich von Anfang bis Ende packen. Das ist meiner Meinung nach eine erstaunliche Leistung, denn in den 101 Minuten ist gar nicht unglaublich viel passiert und trotzdem hält die Verfilmung die Spannung bis zum Schluss. Ein Grund dafür ist der gelungene Einsatz von subtilem Horror. Das eigentliche Grauen scheint sich vor allem im Verstand des Protagonisten abzuspielen. Ständige Schocker, laute Sounds oder schnelle Schnitte gibt es nicht. Stattdessen arbeitet der Film nur vereinzelt mit erschreckenden Momenten, die dafür aber wirklich gut eingesetzt werden. So sieht Wilf eines Nachts plötzlich seine tote Frau im Flur stehen, doch im nächsten Moment ist es sein Sohn Henry. Gerade wegen der Seltenheit haben diese Szenen einen starken, eindrücklichen Effekt: Verweste, von Ratten zerfressene Leichen werden detailliert präsentiert und tauchen auch mal dann auf, wenn der Zuschauer nicht damit rechnet. 
Alles, was 1922 geschehen ist, erzählt Wilf durch einen Brief, in dem er den Mord Jahre später gesteht. Arlettes Tod liegt daher in der Vergangenheit. Somit wird das gesamte Geschehen ausschließlich aus seiner Sicht erzählt. Ich denke nicht, dass das zwingend notwendig gewesen wäre, denn der Film arbeitet so gekonnt mit eindrücklichen Bildern, dass er die Geschichte sicherlich auch so gut präsentiert hätte. Dennoch hat es mir insgesamt gefallen, da die Erzählmethode nicht einfach genutzt wird, um dem Zuschauer alle Ereignisse zu erklären und überall Erklärungen zu präsentieren. Es nimmt dem Film nichts von seiner fesselnden Handlung. Diese ist tatsächlich schon von Beginn an präsent, sodass ich auch in den Anfangsminuten keine Langweile hatte. Denn schon vor dem Mord ist die angespannte Stimmung zwischen den Charakteren greifbar. Arlette und Wilf wollen zwei sehr verschiedene Dinge im Leben und das Land, auf dem sie wohnen, wird zum Auslöser des Konflikts. Auch hier wird unterschwellig gearbeitet: Es sind vor allem die harten, kalten Blicke zwischen ihnen, die zeigen, dass es unter der Oberfläche brodelt. Hinzu kommt der brillante Einsatz von spannungsgeladener Musik, die diese Szenen noch intensiver macht. In der gesamten Adaption trägt der Soundtrack sehr gut zur jeweiligen Stimmung bei. Er sticht damit positiv heraus, weil er so präsent ist, dass man ihn wirklich als Teil des Films wahrnimmt. 
Wilf (r.) und Henry können den Sheriff hinters Licht führen
Foto: Netflix
Die Spannung ist außerdem so greifbar, weil der Zuschauer genau weiß, dass noch ein Mord geschehen wird und nur darauf wartet, bis Wilf gemeinsam mit seinem Sohn die Tat vollbringt. Als der Plan der beiden offensichtlich wird, schafft die Verfilmung es sehr gut, den Zeitpunkt von Arlettes Ermordung schwer vorhersehbar zu machen. Das lässt die Suspense bis ins Unermessliche ansteigen. Der Mord selber schockt besonders, denn er wird in seiner gesamten Grausamkeit gezeigt. Es ist kein schneller Tod für Arlette, sondern ein blutiger, vergeblicher Überlebenskampf, der unerträglich in die Länge gezogen wird. Wilf schafft es nicht, die Sache schnell zu Ende zu bringen und das gibt der Szene ein starkes Gefühl des Unbehagens, das sich auf mich übertragen hat. Was mir besonders gut gefallen hat, war das Ende. Denn hier wird es dem Publikum überlassen, die Geschichte weiterzuspinnen. Es gibt zwei Möglichkeiten, beide sind auf ihre Weise grausam. Dadurch schafft es der Film, auch noch weit nach dem Abspann in den Köpfen der Zuschauer zu bleiben. Mich hat das offene Ende jedenfalls nicht so schnell losgelassen.

Eine Heimsuchung der besonderen Art

Wilf blickt hinunter zur letzten Ruhestätte seiner Frau
Foto: Netflix
Der Mord bleibt für Wilf ohne strafrechtliche Konsequenzen. Den Sheriff des Ortes (Brian d'Arcy James) kann er an der Nase herumführen, sodass er sich um ihn keine Sorgen machen muss. Dieser Film legt den Fokus auf die Folgen, die sich nach der Tat im Verstand des Protagonisten abspielen. Denn er wird von seiner toten Frau heimgesucht und das erscheint in vielen Momenten schlimmer als jede Strafe, die ein Richter hätte aussprechen können. Besonders gut gefallen hat mir dabei, dass die Frage, ob sich alles nur im Verstand der Hauptfigur abspielt oder ob ihn wirklich eine Tote besucht, nie ganz klar beantwortet wird. Das ist ein wirklich interessanter Aspekt des Films. Denn einerseits kann der Zuschauer mitverfolgen, wie Wilf immer stärker von Schuldgefühlen und Scham zerfressen wird. Je weiter diese Entwicklung schreitet, desto intensiver werden auch die Heimsuchungen. Auf der anderen Seite gibt es eine wirklich grandiose Szene, die wohl eine der schlimmsten Momente für die Hauptfigur ist: Arlette kommt in ihrer verwesten Form zu ihm, um schreckliche, aber wahre Dinge in sein Ohr zu flüstern, die der Protagonist selber niemals wissen kann. Hier zeigt sich besonders gut, dass die Grenzen zwischen Realität und Einbildung nicht ganz deutlich gezogen werden, was die gesamte Geschichte noch unbehaglicher erscheinen lässt. 
Ein ganz bedeutender Teil des Horrors ist der Einsatz von Ratten. Sie tauchen über den gesamten Film immer wieder auf. Sie nagen an Arlettes Leiche und die Zuschauer werden mit dem detailreichen, grausigen Anblick konfrontiert (eine Ratte schiebt sich beispielsweise aus ihrem Mund heraus). Danach werden sie genauso wie die Tote zu einer immer wiederkehrenden Präsenz. Anders als Arlette werden sie sogar zu einer sehr realen Gefahr, als Wilfred von einer Ratte in die Hand gebissen wird und eine gefährliche Infektion bekommt. Die Verbindung zwischen den Nagetieren und der Toten wird so deutlich herausgearbeitet, dass sobald nur eine Ratte zu sehen ist, die Gedanken automatisch auch zur Leiche von Wilfs Frau wandern. Besonders am Ende des Films geben die kleinen Tiere der Geschichte etwas sehr Unbehagliches, als sie in Scharen auftauchen und der Betrachter selbst entscheiden muss, ob sie real sind oder nur Einbildung. Selbst dem Protagonisten erkennt man in dieser Szene nur schwer an, ob er sie für echt hält oder nicht. 
Arlette wollte in der Stadt einen Kleiderladen eröffnen
Foto: Netflix
Wilf bleibt insgesamt etwas unausgearbeitet, weil der Zuschauer nicht erfährt, was seinen Charakter unabhängig von dem gezeigten Geschehen ausmacht. Der Mord scheint ihn kaum zu berühren, er wirkt die meiste Zeit sehr ruhig und rational. Nach der Tat bewahrt er einen kühlen Kopf und scheint genau zu wissen, was er tun muss, damit die Leiche niemals entdeckt wird. Dadurch bleibt er insgesamt eher unnahbar. Doch ich hatte nicht das Gefühl, dass dem Film dadurch etwas fehlt. Ein sympathischer Protagonist wäre hier für mich falsch gewesen, schließlich ist Wilfred immer noch ein Mörder. Trotzdem ist dieser Charakter interessant, denn der Darsteller Thomas Jane schafft es sehr gut, das Grauen, das seiner Figur widerfährt, greifbar zu machen. Henry war insgesamt etwas uninteressanter, da der Zuschauer über ihn kaum etwas relevantes erfährt. Da die gesamte Geschichte aus Wilfs Sicht geschildert wird, sieht der Zuschauer kaum, wie der Mord seinen Sohn beeinflusst. Er hatte meiner Meinung nach vor allem die Aufgabe, die Situation der Hauptfigur zu verschlimmern: Weil er mit der Ermordung nicht klarkommt und seinem Vater für sein miserables Leben, das er seitdem führt, die Schuld gibt. Zum Ende hin wird seine Geschichte etwas ergreifender, auch wenn sein Schicksal leicht überzogen ist. Für mich wollte das nicht ganz in das Gesamtbild passen. Es hat mich irgendwie an Bonnie und Clyde erinnert und wirkt im Vergleich zum restlichen Film zu dramatisch. 

Fazit

"1922" ist ein packender Film über einen Mord und die außergewöhnlichen Konsequenzen, mit denen der Täter konfrontiert wird. Diese Adaption beweist, dass auch wenig mehr sein kann. Die Stärke dieser Produktion ist auf jeden Fall die durchgehende Spannung, die mit vereinzelten, gut eingebauten Horrorschockern auskommt. Da die Grenze zwischen Realität und Einbildung der Heimsuchung nicht ganz klar ist, wird der Zuschauer dazu angeregt, sich wirklich mit dem Geschehen auseinanderzusetzen. Insgesamt wird einfach eine sehr gute Geschichte erzählt, die einen bis zum Abspann nicht loslässt und sogar darüber hinaus durch das offene Ende weiter gefangen hält.


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