Sonntag, 22. Oktober 2017

Tatort: Zurück ins Licht - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


In einem geparkten Auto finden die Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen) sowie ihre BKA-Kollegin Linda Selb (Luise Wolfram) große Mengen Blut und einen abgetrennten Finger. Beides ist schon mehrere Monate alt. Der Wagen ist auf Ole Bergener, den Chef eines Pharmahandels zugelassen. Von seiner Frau Judith (Victoria Fleer) erfahren die Ermittler, dass er sie und den gemeinsamen Sohn verlassen hat, um sich eine Auszeit zu nehmen. Die letzte Person, mit der Ole vor seinem Verschwinden gesprochen hatte, war Pharmareferentin Maria Voss (Nadeshda Brennicke). Nach einem schweren Unfall hat sich die exzentrische Frau wieder ins Leben zurückgekämpft und wickelt nun Kommissar Stedefreund um den Finger.

Gedanklich schon in Rente

Darf Selb (M.) ab 2019 übernehmen?
Foto: RB
2019 läuft der letzte "Tatort" mit dem aktuellen Bremer Ermittlerteam. Doch Inga Lürsen wirkt jetzt schon, als hätte sie keine Lust mehr auf ihren Job. In "Zurück ins Licht" überlässt sie die meiste Arbeit ihrem Kollegen Stedefreund und dessen Freundin Selb. Die langjährige Kommissarin hält sich eher im Hintergrund und eifert damit ihrer Tochter nach. Denn Helen (Camilla Renschke) hat bereits seit Jahren - trotz ihrer Position als Leiterin der Mordkommission - kaum mehr als eine Statistenrolle inne. Hauptperson in diesem Fall ist die exzentrische Maria Voss. Ich persönlich bin kein Fan davon, wenn sich eine Krimihandlung vor allem mit einem Episodencharakter anstelle der Ermittlungen beschäftigt. In "Zurück ins Licht" wird dieser Fokus auf die Spitze getrieben. Maria Voss hier, Maria Voss da - alles dreht sich um die ehemalige Pharmareferentin. Sogar die Folge sollte nach ihr benannt werden, denn der Arbeitstitel lautete "Frau in Rot" (Maria trägt einen knallroten Mantel). Ich habe mir zwischendurch mehrfach überlegt, Szenen mit ihr zu überspringen. Letztendlich habe ich doch alles angesehen, um nichts vermeintlich Wichtiges zu verpassen. Nadeshda Brennicke ist eine sehr gute Schauspielerin, aber sie stellt Maria so künstlich dar, dass es schwer ist, die Figur ernst zu nehmen. Durch ihre säuselnd-verträumte Stimme und ihr freudlos-eingefrorenes Lächeln wirkt sie nicht wie eine realistische Figur und ziemlich unsympathisch. Trotzdem rennen ihr die Männer in Scharen hinterher - wirkliche Gründe arbeiten die Drehbuchautoren Christian Jeltsch und Olaf Kraemer dafür nicht heraus. Stedefreund ist Maria so schnell verfallen, dass sie mitten in der Natur übereinander herfallen. Spätestens hier hätte ich wirklich gerne gewusst, was er so faszinierend an der psychotischen Frau (Sie übt nächtelang in einem dunklen Raum auf verschiedene Fragen zu antworten.) findet. Immerhin setzt er freiwillig seine Karriere aufs Spiel setzt, indem er mit einer Verdächtigen schläft. Maria Voss ist vor allem seltsam und nervig, als sexy Femme fatale aber überhaupt nicht überzeugend.
Ob aus den beiden doch noch etwas Festes wird?
Foto: RB
Auf der anderen Seite hat BKA-Ermittlerin Linda Selb den "Tatort", soweit möglich, aufgewertet. Ich mochte die sarkastische, unemotionale, schräge Kommissarin bei ihrem ersten Auftritt auf Anhieb. Nun unterstützt sie den Bremer "Tatort" schon zum vierten Mal. Dabei sorgt Selb für die einzigen heiteren Momente in einem Fall, der sonst eher durch aufgeblasene Dialoge und Marias Selbstinszenierung überdramatisiert wird. Beispielsweise legt sie Stedefreund einen Schwangerschaftstest hin und erzählt ihm dann mit Zahnbürste im Mund: "Ich hatte einen One-Night-Stand am Mittwoch, aber der Test ist nicht deswegen, kann gar nicht sein, es war eine Frau, eine alte Freundin." Der Plastikstab ist nur ihre Art zu sagen, dass sie sich ein gemeinsames Baby wünscht und natürlich hat die Analytikerin bereits alles durchdacht: "Das Kind kommt auf keinen Fall in eine Krippe! Du und ich, wir beide, arbeiten halbtags." Die ganze Sequenz spielt übrigens in Stedefreunds Bad - während er splitternackt ist. Nach dem Münchener "Porno-Tatort" vor zwei Wochen gibt es nun erneut Genitalien, Handjobs und ausgiebige Sexszenen zur besten Sendezeit. Doch das sind nicht die einzigen Schockeffekte, es kommt sogar ein Jump Scare vor! In der Pressemappe erzählt Schauspieler Oliver Mommsen über die Sequenz: "Wir haben gewusst, was wir vorhatten, aber dann haben wir einfach improvisiert und ich hätte nie geglaubt, dass diese Szene so im Film landen würde." Es wirkt in der Tat so, als sei er in dem Augenblick echt erschreckt worden.

Krimi, wo bist du?

Wer nervt mehr: Maria oder Stedefreund? Beide!
Foto: RB/Michael Ihle
Wie viele andere "Tatort"-Folgen in den letzten Jahren hat auch "Zurück ins Licht" das Problem, inmitten von Gesellschaftskritik, aktuellen Thematiken, persönlichen Problemen der Ermittler und exzentrischen Episodencharakteren die eigentliche Krimihandlung aus den Augen zu verlieren. Durch die starke Fokussierung auf Maria Voss und Stedefreunds Gefühle für sie, gerät Mordopfer Ole Bergener in Vergessenheit. Wie bereits angedeutet, ist die Möchtegern-Femme-fatale auch kein adäquater Ersatz für eine spannende Mordermittlung, die man beim "Tatort" ja eigentlich erwarten sollte. Die erste Leiche taucht spät auf und wie so oft wird von Anfang an ausschließlich in einer Ecke nach dem Mörder gesucht - obwohl die Kommissare keinerlei Anhaltspunkte finden, dass sie tatsächlich auf dem richtigen Weg sind. Ich habe die Suche nach dem Täter wirklich vergessen und somit nicht einmal versucht, ihn zu erraten. Dabei kann Regisseur Florian Baxmeyer eigentlich viel Erfahrung mit Kriminalgeschichten vorweisen. Er hat nicht nur bei über einem Dutzend "Tatort"-Episoden Regie geführt, sondern auch bei den "Drei ???"-Filmen. Der überdramatisierte Showdown scheint die Ermittlung dann auf den letzten Metern doch noch relevant machen zu wollen - erfolglos. Besonders der im Hintergrund hallende Kirchenchor zieht die Schlussminuten noch weiter ins Unglaubwürdige. Es ist leider nicht die einzige Stelle, an der der Soundtrack ziemlich unpassend klingt.

Fazit

"Zurück ins Licht" fokussiert sich zu stark auf eine Protagonistin, der es deutlich an Tiefe fehlt. Ihre scheinbar tolle Wirkung auf die anderen Charaktere ist für den Zuschauer dadurch wenig verständlich und die Handlung wird langweilig und weltfremd. Der eigentliche Kriminalfall gerät schnell in Vergessenheit und endet in einer wenig überraschenden Auflösung. Auch Kommissarin Lürsen wirkt fast die vollen 88 Minuten lang, als könne sie es kaum abwarten, endlich in Rente zu gehen. Diesen öden, wenig inspirierten und unrealistischen "Tatort" können auch die witzigen Sprüche von BKA-Ermittlerin Linda Selb nicht mehr aufwerten. 


Nächste Woche Sonntag müssen sich die Frankfurter Ermittler Anna Janneke (Margarita Broich) und Paul Brix (Wolfram Koch) mit mysteriösen Ereignissen auseinandersetzen, nachdem ein Kinderskelett in Fannys (Zazie de Paris) Haus gefunden wurde. Die Folge trägt den zu Halloween passenden Titel "Fürchte dich".

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