Auf einer Landstraße gerät ein Auto von der Fahrbahn. Der Fahrer Christoph Heider (Oliver Reinhard) überlebt leicht verletzt. Doch in seinem Kofferraum finden die verdutzten Ermittler eine frisch obduzierte Leiche. Dabei handelt es sich um Heiders Ex-Frau Marianne. Sie soll vor Kurzem in der Badewanne ertrunken sein, doch Christoph glaubt, dass ihr neuer Freund Wilhelm Jordan (Hannes Jaenicke) sie getötet hat. Mit den sterblichen Überresten wollte er seine Mord-Theorie beweisen. Die Stuttgarter Kommissare Thorsten Lannert (Richy Müller) und Sebastian Bootz (Felix Klare) nehmen die Ermittlungen auf und stoßen schon bald auf ein interessantes Detail aus Jordans Vergangenheit: Er soll für den Verfassungsschutz V-Mann in der RAF gewesen sein. 40 Jahre später ist der "Deutsche Herbst" plötzlich wieder brandaktuell.
Lebendige Geschichte
Das Poster ist echt cool!
Foto: SWR
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Ich wurde fast 20 Jahre nach besagtem "Deutschen Herbst" geboren, dementsprechend habe ich die Machenschaften der RAF nicht mitbekommen. Auch im Geschichtsunterricht haben wir das Thema kein einziges Mal behandelt, aus diesem Grund besteht mein Wissen über die RAF größtenteils aus dem, was ich durch deutsche Fernsehsendungen gelernt habe. Dementsprechend muss ich zugeben, dass ich diesem "Tatort" an einigen Stellen nur schwer folgen konnte, weil mir die Namen und Daten nichts gesagt haben. Wer beim Thema RAF also nicht fit ist, sollte sich vorher vielleicht noch ein bisschen einlesen. Aus diesem Grund ist der größte Vorteil von "Der rote Schatten" in meinen Augen die Einbindung historischen Filmmaterials. So werden beispielsweise Ausschnitte der "Tagesschau" aus den 70er Jahren wiederverwendet. Auch die Flashback-Szenen, die extra für diesen "Tatort" gefilmt wurden, sind toll gemacht. Sie wirken sehr echt, sowohl von der Qualität der Aufnahmen her, als auch durch Kleidung und Frisuren. So unterscheiden sich die echten Zeitaufnahmen kaum von den nachgestellten Filmszenen. Hier merkt man, wie viel Arbeit das Team um Regisseur Dominik Graf in diesen Film gesteckt hat. Durch diesen fast dokumentarisch erscheinenden Stil bekommt das Thema eine realistische Brisanz. Während die Fakten gut aufbereitet wurden, hat mir persönlich aber der emotionale Aspekt gefehlt. Als jemand, der die RAF-Zeit nicht selbst mitbekommen hat, hätte ich mir gewünscht, besser nachzuvollziehen können, was damals in den Köpfen der Menschen vorging. Das kommt in diesem "Tatort" aber leider zu kurz. Die Motive der Terroristen werden so gut wie gar nicht thematisiert und auch die Angst der restlichen Bevölkerung ist nicht greifbar - von einigen leeren Floskeln abgesehen (Lannert: "Worum uns aber die RAF gebracht hat war die Neugierde, die Sehnsucht, die damals herrschte - politisch und gesellschaftlich. Die haben sie weggebombt, die Sehnsucht. Die war dann auch nicht mehr da.").
Hier wirkt noch alles wie ein normaler Unfall...
Foto: SWR/Julia von Vietinghoff
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Die Handlung an sich wirkt ebenfalls etwas erzwungen. Aus einem scheinbar "regulären" Mord spinnen die Drehbuchautoren Dominik Graf und Raul Grothe eine komplizierte Geschichte, die sich durch die letzten vier Jahrzehnte zieht. An sich ist das ein interessanter Ansatz, doch auch hier gibt es wieder das Problem des fehlenden emotionalen Tiefgangs. Der verzweifelte Ex-Mann der Toten sowie die gemeinsame Tochter Luisa (Leonie Nonnenmacher) sind zu Beginn nur Stichwortgeber und tauchen dann zu einem späteren Zeitpunkt erneut auf, nur um genauso schnell wieder zu verschwinden. Nur, weil man eine gute Idee für einen gesellschaftskritischen Ansatz hat, sollten die Autoren nicht vergessen, dass es noch immer um einen toten Menschen geht, der gelitten hat und weitere zerstörte Leben zurücklässt. Außerdem ermitteln die Kommissare mal wieder nicht im persönlichen Umfeld der Ermordeten, sondern legen sich auf ihren Freund als Täter fest. Danach wühlen sie sich nur noch durch RAF-Erinnerungen, ohne überhaupt zu versuchen, in eine andere Richtung zu denken. Doch das künstlich aufgeblasene Thema ist nicht die einzige Schwachstelle der Handlung. Einige Szenen, dazu zählt auch das plötzliche Wiederauftauchen von den Hinterbliebenden der Toten, wirkten auf mich sehr wahllos hineingeworfen. Zum Beispiel gibt es ein eigentlich ernstes Gespräch zwischen Staatsanwältin Emilia Álvarez (Carolina Vera) und Oberstaatsanwalt Lutz (der ehemalige Erfurt "Tatort"-Kommissar Friedrich Mücke). Plötzlich beginnt sie lautstark an ihrem Strohhalm zu saugen und entgegnet nach einem fragenden Blick ihres Vorgesetzten: "Da ist eine Kaffeebohne unten drin, die versuche ich sozusagen mit dem Strohhalm zu inhalieren." Mal abgesehen davon, dass der Satz an sich schon seltsam ist, passt er weder zur eigentlich strengen Chefin der Kommissare noch zur restlichen Handlung. Es ist kein witziger Oneliner, der zur Auflockerung einfließt, sondern ein Einwurf, der einfach nur schräg und unpassend wirkt. Ein kleines Detail fand ich jedoch tatsächlich sehr witzig: Ein Journalist (vermutlich der erste, der im "Tatort" nicht wie ein skrupelloses Arschloch dargestellt wurde) trägt einen Button, auf dem steht: "Stau wegen S21" - ein tolles Hommage an den letzten Fall der Stuttgarter Kommissare "Stau".
"Jetzt verschwindet mal ihr Knechte!"
Wilhelm Jordan spielt ein ganz besonderes Spiel
Foto: SWR/Sabine Hackenberg
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Trotz der teils seltsamen Dialoge und der fehlenden Emotionalisierung, leisten die Schauspieler solide Arbeit. Besonders Hannes Jaenicke wirkt als Verdächtiger Wilhelm Jordan herrlich unsympathisch und schmierig. Er hat mich bereits in einer Episodenrolle bei "Letzte Spur Berlin" überzeugt. Damals hat er eine Figur gespielt, die nach außen hin eine Bilderbuchfamilie aufgebaut hat. Hinter geschlossenen Türen ist er jedoch ein Tyrann, der seine Frau schlägt und seine junge Tochter zu Höchstleistungen zwingt. In "Der rote Schatten" mimt er ebenfalls einen scheinbar völlig normalen Mann, der jedoch unter Alkoholeinfluss eine ganz andere Seite an sich zeigt, die er scheinbar seit Jahren zu verbergen versucht (Strobel (Michael Hanemann): "Wissen Sie, das sind alles Enden einer Geschichte, die keinen Abschluss hat."). Seine Geliebte Astrid Frühwein (Heike Trinker) ist auch ein spannender Charakter, der einen tollen bösen Blick hat. Leider wurde hier großes Potenzial verschenkt, da Heike Trinker nur in wenigen Szenen zu sehen ist, in denen sie vor allem Sex hat und um sich schießt - nicht viel Spielraum, um einer Figur Tiefe zu geben. Die letztgenannte Sequenz lässt sie sogar etwas lächerlich erscheinen. Denn die Action wirkt wie "Alarm für Cobra 11" anstelle von Hollywood. Viele fliegende Kugeln, spektakulär spritzendes Blut und eine panisch schreiende Nika Banovic (Mimi Fiedler). Aber auch hier schafft es Trinker, den einzigen emotionalen Moment wirklich hervorzuheben und die Handlung kurz zu entschleunigen. Da kann ich leider nicht mehr zu sagen, da ich sonst zu viel verraten würde.
Fazit
"Der rote Schatten" ist einer der Sonntagskrimis, die ihren Schwerpunkt darauf setzen, ein Thema zu promoten. Reguläre Ermittlungen und einen plausiblen Fall gibt es hier nicht. An einigen Stellen ist das durchaus von Vorteil, zum Beispiel bei den Rückblicken. Es wird viel Zeit darauf verwendet, Szenen aus der Vergangenheit möglichst anschaulich nachzustellen. Das ist spannend und sieht toll aus. Leider mangelt es dafür deutlich an emotionalem Tiefgang und einer stringenten Erzählweise. Wie im "Tatort: Hardcore" letzte Woche setzt auch dieser Film auf effekthaschende Momente wie Sexszenen und spritzende Körperflüssigkeiten. Trotz der guten Schauspieler ist "Der rote Schatten" letztendlich nur ein mittelmäßiger Fall.
Nächste Woche Sonntag ermitteln die Bremer Kommissare Inga Lürsen (Sabine Postel) und Nils Stedefreund (Oliver Mommsen). In "Zurück ins Licht" müssen sie herausfinden, was sich in einem Parkhaus zugetragen hat, in dem ein abgetrennter Finger und ein Auto voll Blutspuren gefunden wurde.
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