Sonntag, 30. Juli 2017

Okja - Rezension

Mit dem Film "Okja" hat Streaming-Anbieter "Netflix" erneut eine Kontroverse ausgelöst. In diesem Jahr wurden bereits das Magersuchtsdrama "To The Bone" und "Tote Mädchen Lügen Nicht", eine Serie über den Selbstmord einer Schülerin, international diskutiert. Im Gegensatz zu diesen Produktionen war bei "Okja" allerdings nicht das Thema der Auslöser, sondern die Premiere. Denn die fand im Mai bei den Filmfestspielen von Cannes statt und wurde von Buhrufen begleitet. Der fragwürdige Grund: "Netflix" produziert ausschließlich fürs Internet, in Cannes werden Kinofilme prämiert. Ab nächstem Jahr sollen daher ausschließlich Produktionen zum Wettbewerb zugelassen werden, die in französischen Lichtspielhäusern gezeigt wurden. Durch diese Diskussion geriet "Okja" in Vergessenheit. Wir haben uns entschieden die Rezension heute anlässlich des "Tags der Freundschaft" zu veröffentlichen, da Freundschaft das zentrale Thema des Films ist:

Im Jahr 2007 entwickelte das Unternehmen "Mirando" ein genmanipuliertes "Superschwein", das wenig frisst, wenig Abfall produziert und deutlich mehr Fleisch liefert als ein herkömmliches Schwein. 26 Ferkel wurden an unterschiedliche lokale Bauern überall in der Welt übergeben, um die idealen Umweltverhältnisse für sie zu finden. Nach zehn Jahren sollen die Tiere der Welt präsentiert werden. Dahinter steckt eine Marketingstrategie, mit der Chefin Lucy Mirando (Tilda Swinton, "Doctor Strange") das schlechte Image ihrer Firma aufbessern will. Ein Ferkel bekommen der südkoreanische Bergbauer Heebong (Byun Hee-bong) und seine Enkelin Mija (Ahn Seo-hyeon). Schnell wird Sau Okja zu einem festen Familienmitglied. Dementsprechend groß ist der Schock, als die zehn Jahre vorbei sind und das Tier nach Amerika zurückgebracht werden soll. Gegen den Willen ihres Großvaters macht sich Mija allein auf den Weg, um ihre Freundin zu retten.

Nicht für Kinder

Ist das wirklich Fiktion?
Foto: Netflix
Ein "Superschwein" und ein kleines Mädchen sind unzertrennliche Freunde. Als das Tier von einer Gruppe geldgieriger Erwachsener entführt wird, ist die junge Heldin bei ihrer Rettungsmission auf sich gestellt. Die Handlung an sich klingt wie ein Abenteuerfilm für Kinder und auch die erste halbe Stunde sieht danach aus. Dann wendet sich das Blatt jedoch und es wird deutlich, weshalb der Streaming-Anbieter "Okja" mit dem Hinweis "Nicht für Kinder" versehen hat. Der Streifen wirkt nur im ersten Moment wie ein Held-befindet-sich-auf-einer-langen-actionreichen-Mission-um-geliebten-Freund-zu-retten-Film. Anhand der Freundschaft zwischen Mija und Okja wird hier eine deutlich dunklere Geschichte erzählt: Die der Fleischindustrie. Die Fabrikhallen von "Mirando" (Die Namensähnlichkeit mit dem höchst umstrittenen Gentechnik-Konzern "Monsanto" ist wohl kein Zufall.) wirken wie die wahr gewordene Hölle: Verzweifelte Tiere, die zusammengepfercht dem Ende entgegen getrieben werden; ein einziger aufgesetzter Schuss; Kadaver, die von der Decke hängen; gigantische Blutpfützen; unförmige Fleischklumpen, frisch verpackt. Hat man den ersten Schock dieser Bilder überwunden, setzt langsam die Erkenntnis ein, dass "Mirando" vermutlich "nur" genau das macht, was in dieser Sekunde hunderttausende Firmen auf der ganzen Welt tun. "Wenn es billig ist, essen sie es." , heißt es an einer Stelle im Film.

Okja ist nicht nur süß, sondern auch intelligent
Foto: Netflix
Okja ist eine niedliche tierische Protagonistin, die aussieht wie eine Kreuzung aus Schwein, Nilpferd und Fuchur, dem Glücksdrachen aus "Die Unendliche Geschichte". So fällt es schwer nachzuvollziehen, dass "Mirando" diese sanfte Riesin umbringen möchte. In der realen Welt gibt es immer wieder Dokumentationen, die das Geschehen in Legebatterien und Schlachthäusern zeigen. Der Aufschrei ist groß - für einige Tage, vielleicht sogar Wochen. Danach ist das Thema vergessen und man freut sich wieder über günstiges Fleisch im Supermarkt. Umso trauriger wirken die engagierten Versuche der "Animal Liberation Front" (ALC - unter anderem Paul Dano und Lily Collins, "To the Bone") das Schicksal von Okja und ihren Artgenossen an die Öffentlichkeit zu bringen. Dabei verhalten sie sich zu Beginn nicht viel moralischer als der geldgierige Konzern. "K" (Steven Yeun), der als einziger Koreanisch spricht, übersetzt absichtlich falsch, um die Mission nicht zu gefährden - zu seinen eigenen Gunsten ("Das ist die coolste Sache, bei der ich je dabei war. Die ganze Ausrüstung..."). Anführer Jay (Paul Dano) wirkt ebenfalls benebelt von ihren Plänen und hat einen wirklich beunruhigend irren Blick drauf. 

Rot wie Blut

Das Image ist alles: Lucy Mirando (l.) und Mija
Foto: Netflix
"Okja" besticht vor allem durch eindrückliche Bilder. Zu Beginn toben Mija und Okja durch die Berge - blauer Himmel, paradiesische Wasserfälle und keine Menschen zu sehen. Je düsterer die Handlung wird, desto dunkler werden die Bilder. Lediglich die Szenen, die bei "Mirandos" Parade zu Ehren der "Superschweine" spielen, sprühen vor künstlichen Rosatönen. Der Showdown findet schließlich in einem Schlachthof statt. Hier ist alles in Schwarz und Weiß gehalten - den einzigen Kontrast bildet das rote Blut, das Böden, Decken und Kleidung der Angestellten bedeckt. Regisseur Bong Joon-ho schreckt nicht davor zurück, den Zuschauern und seiner jungen Protagonistin diese Bilder zu zeigen, was eine gute Entscheidung ist. So bleibt der Film nachhaltig im Gedächtnis. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Szene eingehen, die mich als einzige wirklich bewegt hat. Mija geht am Zaun des Schlachthofs entlang und hört in regelmäßigem Abstand einen Schuss aus der Ferne. Auf der anderen Seite sind tausende "Superschweine" gefangen, die friedlich herumstehen. Nur zwei Tiere und ihr Baby folgen Mija aufgeregt. Als sie die drei bemerkt, drückt das eine den elektrischen Zaun mit der Schnauze auseinander, während das andere Tier ihr Junges hindurch stupst. Als es versucht zu seinen Eltern zurückzulaufen, schließen sie das Loch wieder. Obwohl ich mich bei vermeintlich anrührenden Szenen meistens eher langweile, war diese kurze Sequenz die einzige im Film, bei der ich meine Augen nicht vom Bildschirm nehmen konnte.

Worte zählen mehr als Taten, denkt die ALF
Foto: Netflix
Die besten Momente in "Okja" sind die, in denen nicht gesprochen wird. Mija hat beispielsweise nur wenig Text und wenn sie spricht, dann fast ausschließlich in Koreanisch. Dementsprechend bleiben Ahn Seo-hyeon nur ihre Mimik und Gestik, um dem Großteil der Zuschauer zu zeigen, was in ihrer Figur vorgeht. Diese Bildsprache beherrscht sie perfekt. Obwohl Okja am Set wohl nur eine Anzahl grün gekleideter Menschen und Requisiten war, wirkt Seo-hyeon harmonisch im Spiel mit dem Tier. Ihre Verzweiflung und ihr blinder Wille, die Freundin zurückzuholen, sind eindrücklich. Besonders, wenn man bedenkt, wie alt die Schauspielerin ist. Mija soll 14 Jahre alt sein, auf mich wirkt sie älter. Tatsächlich war Seo-hyeon beim Dreh gerade einmal 12 Jahre alt. Das merkt man jedoch nur in den Szenen, in denen sie direkt mit Erwachsenen agiert, da hier Hierarchie und Körpergröße deutlich werden. 
Tilda Swinton als die skrupellosen Zwillingsschwestern Lucy und Nany Mirando, sowie Paul Dano als Tierschutz-Anführer Jay verleihen ihren Charakteren eine gewisse Undurchschaubarkeit und Mystik, da sie sich immer zu verstellen scheinen, sodass man nie abschätzen kann, was in ihnen vorgeht. Das macht sie zu den interessantesten Charakteren. Der einzige Fehlplatzierte ist in meinen Augen Johnny Wilcox (Jake Gyllenhaal), der für "Mirando" als wissenschaftlicher Gutachter und Marketing-Gesicht fungiert. Sein Zweck für die Handlung ist vor allem "comic relief". Er hampelt herum, säuft und schmeißt schale Witze in den Raum. Zum Rest der Geschichte will er einfach nicht passen und lenkt durch sein peinliches Verhalten nur von der Botschaft des Films ab.
Zum Glück verschwindet Wilcox irgendwann
Foto: Netflix
Einige andere Szenen sind ebenfalls hart an der Grenze zum Slapstick. So gibt es beispielsweise gleich zwei Momente, in denen Okjas Köttel raketenartig fliegen. Auch Fürze finden irgendwie ihren Weg in die Geschichte. Es ist schade, dass Zeit für solche Szenen gelassen wurde. Vor allem, da an vielen anderen Stellen große Teile der Story einfach fehlen. Der Zuschauer sieht beispielsweise, wie Mija ihre Farm in den Bergen verlässt. Im nächsten Moment läuft sie durch Seoul. Wie sich die 14-Jährige allein und praktisch ohne Geld innerhalb einer Nacht bis in die Landeshauptstadt durchgeschlagen hat, wird nicht aufgeklärt. In einer anderen Sequenz rennt Okja einem Transporter hinterher, dessen Ladefläche fast so hoch ist wie sie. Beim nächsten Schnitt ist sie bereits oben. Es gibt zahlreiche Beispiele wie diese. Ärgerlich, dass der Streifen Probleme umgeht, indem er sie einfach auslässt.

Fazit

"Okja" ist ein ungewöhnlicher Film. Auf der einen Seite stehen eine junge Protagonistin und ihr niedliches Haustier. Auf der anderen Seite ist die harte, sehr erwachsene Welt, in der Kommerz auf Ethik prallt. Dabei folgt Regisseur Bong Joon-ho nie nur einer Linie: Mal ist der Streifen rasant, mal andächtig, mal grausam, mal paradiesisch, mal lustig, mal anrührend. An einigen Stellen rutscht er jedoch zu tief in eins der Felder ab und verliert seine beiden sympathischen Hauptdarstellerinnen aus den Augen. Dennoch ist "Okja" sehenswert, vor allem, wenn man auf fleischfreie Ernährung umstellen möchte. 


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Donnerstag, 27. Juli 2017

Zum Verwechseln ähnlich - Rezension

"Zum Verwechseln ähnlich" ist eine französische Komödie, die seit Mitte Juli in den deutschen Lichtspielhäusern läuft. Ich habe den Film in einem Open-Air-Kino gesehen und kann schon mal verraten, dass das Publikum trotz Regen sowie kühlen Temperaturen die vollen anderthalb Stunden lang gute Laune hatte.

Paul (Lucien Jean-Baptiste) und Salimata "Sali" Aloka (Aïssa Maïgasind glücklich verheiratet und haben gerade einen Blumenladen in Paris eröffnet. Schon seit langem wünschen sich die beiden ein Kind, doch auf natürlichem Weg klappt es einfach nicht. Dann kommt der ersehnte Anruf vom Jugendamt: Der vier Monate alte Benjamin (Marius Benchenafi) kann adoptiert werden. Allerdings ist das Kind hellhäutig, während Pauls Familie aus Martinique, die seiner Frau aus dem Senegal stammt. Die zukünftigen Eltern stört das nicht. Sie schließen Benjamin sofort ins Herz und können das gemeinsame Leben kaum erwarten. Doch bald merken sie, dass es zwar mittlerweile normal für weiße Pärchen ist, ein schwarzes Kind zu adoptieren, der umgekehrte Fall jedoch eher für Verwirrung sorgt. So wird Sali sowohl von der weißen Kinderärztin als auch von den schwarzen Kindermädchen auf dem Spielplatz für Benjamins Nanny gehalten. Ihre Eltern Mamita (Marie-Philomène Nga) und Ousmane (Bass Dhem) sträuben sich zunächst ebenfalls gegen den Enkel. Zu allem Überfluss ist Claire Mallet (Zabou Breitman), die zuständige Mitarbeiterin beim Jugendamt, der Überzeugung, dass Benjamin bei anderen Eltern besser aufgehoben wäre. Akribisch sucht sie nach Gründen, um die Adoption zu verhindern.

Gute Laune, auch ohne zahlreiche Wendungen

Zwei Welten, eine Familie
Foto: UGC Distribution

Tatsächlich fasst die obige Inhaltsangabe bereits den größten Teil der Handlung zusammen, denn viel mehr geschieht nicht. Wie die Geschichte ausgeht, wird wohl jedem klar sein. Das heißt aber nicht, dass der Film langweilig ist. Er bietet sogar einige Überraschungen, vor allem beim Humor. Den Drehbuchautoren (darunter Lucien Jean-Baptiste, der außerdem Regie führt und die Hauptrolle spielt) gelingt es, die Situation der Familie Aloka amüsant darzustellen, ohne tief in die Klischeekiste zu greifen und alle bekannten Scherze über Schwarze und Weiße hervorzuziehen. Slapstick- und Fäkalhumor, ohne die heutzutage kaum noch eine Komödie auskommt, sind auch nur vereinzelt zu finden. "Zum Verwechseln ähnlich" hat einen ganz eigenen Witz, der die Realität ein wenig überspitzt, dabei aber weder politisch korrekt noch verletzend ist. Doch auf einen "Comic Relief"-Charakter konnte leider dennoch nicht verzichtet werden. Hier heißt er "Manu" (Vincent Elbaz), ist Pauls Kumpel und ein ziemlich schräger Kauz. Er streicht das Haus der Alokas nur in Unterhosen gekleidet und merkt in seiner Tölpelhaftigkeit nicht, dass er der Jugendamt-Mitarbeiterin Madame Mallet mit seinen improvisierten Geschichten in die Hände spielt. Damit steht er im krassen Gegensatz zu den anderen Figuren, die alle zu ihrem jeweiligen Lebensumfeld passen und so sicher hundertfach in Paris zu finden sind. Manu sorgt zwar für einige Lacher, dennoch wäre die Handlung ohne ihn sicher deutlich eindrücklicher geworden.
Leider ist die Welt noch eher einseitig bunt
Foto: UGC Distribution
"Zum Verwechseln ähnlich" beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit. Lucien Jean-Baptiste hatte die Idee für den Film, als er einen Artikel über ein Paar aus Nigeria las, das ein weißes Kind adoptiert hat. Authentisch wirkt die Geschichte auch, weil die beiden Hauptdarsteller aus denselben Ländern stammen wie ihre Charaktere. Es kann also davon ausgegangen werden, dass die Darstellung von Salis se­ne­ga­le­sischer Familie und die Probleme der jungen Adoptiveltern realitätsnah sind. Dennoch wird dem eigentlichen Konflikt weitestgehend aus dem Weg gegangen. Besonders die Motive der Jugendamt-Mitarbeiterin bleiben im Dunklen. Sie äußert zwar mehrfach Bedenken, ob die Alokas geeignete Adoptiveltern für Benjamin sind, doch warum genau, wird nicht wirklich aufgeklärt. (Mini-Spoiler im nächsten Satz!) Dementsprechend ergibt ihre plötzliche 180-Grad Wendung in den letzten Minuten des Films keinen Sinn. Generell umgeht er jegliche Argumente, die für oder gegen die Adoption sprechen würden. Alle Figuren entscheiden aus dem Bauch heraus und ohne ihre Meinung zu begründen. Das ist schade, da dem Streifen so ein Teil seiner Grundlage zu fehlen scheint, nämlich die Frage, was die Leute überhaupt an der Elternschaft der Alokas stört. Die Charaktere, die dagegen sind, argumentieren nicht - in einer Zeit, in der Millionen Menschen ihre Ansichten in die Welt posaunen, ist das nicht gerade glaubhaft. Hier wäre es schön gewesen, wenn der Streifen deutlich gemacht hätte, dass der Konflikt nur durch Ablehnung und Unsicherheit entstanden ist. So wirken lediglich die Szenen nachvollziehbar, in denen Sali für die Nanny ihres Sohnes gehalten wird.

Süß, süßer, Benjamin

Mamita hat für vier Personen gekocht
Foto: UGC Distribution
In vielen Filmen, in denen der Regisseur das Drehbuch schreibt und die Hauptrolle spielt, setzt er sich gerne selbst in Szene. Lucien Jean-Baptiste hält sich jedoch dezent im Hintergrund und lässt besonders seiner Film-Ehefrau Aïssa Maïga viel Spielraum. Als das Jugendamt droht, der Adoption nicht zuzustimmen, mimt sie die verzweifelte Mutter extrem realistisch. Man könnte fast meinen, man hätte ihr ohne Vorwarnung das eigene Kind weggenommen und heimlich die Kamera mitlaufen lassen. Marie-Philomène Nga als Mamita ist ebenfalls ein Highlight. Sie stellt Salis Mutter als eine taffe, schlagfertige, temperamentvolle Frau dar, die zwei Kulturen lebt und liebt. Besonders die langsame Annäherung an ihren Enkel wirkt sehr ehrlich. Überhaupt: Der wahre Star des Films ist Marius Benchenafi als Benjamin. Im Open-Air-Kino ging fast jedes Mal ein "Awwwwww" durch die Menge, wenn der Kleine in Großaufnahme zu sehen war. Vermutlich hat das Filmteam in ganz Frankreich nach dem absolut niedlichsten Wonneproppen gesucht und ihn in Marius definitiv gefunden!
Papa Paul ist stolz auf seinen süßen Sohn
Foto: UGC Distribution
Gegen Ende verliert der Film, trotz des Süßes-Baby-Faktors, einen Teil seines Charmes, da die Handlung in Richtung Slapstick abrutscht. Es wird wild herum gerannt, in die falschen Richtungen geschlittert und spektakulär zusammengestoßen. Sowas passt besser in eine Sitcom, hier wirkt es fehl am Platz. Vor allem da es kein "richtiges" Ende gibt. (Milde, ziemlich vorhersehbare Spoiler in den nächsten beiden Sätzen!) Die Probleme scheinen wie weggeblasen - plötzlich akzeptiert die Behörde die Alokas als Adoptiveltern und Salis Familie ihren weißen Enkel. Das wirkt nicht nur sehr süßlich, sondern auch völlig aus der Luft gegriffen. Denn die meisten Figuren haben keinerlei Wandlung durchlaufen, die ein schlagartiges Umdenken erklären würde. Das ist vor allem schade, wenn man bedenkt, dass stattdessen Zeit auf die oben geschilderte Slapstick-Verfolgungsjagd verwendet wurde. 

Fazit

"Zum Verwechseln ähnlich" ist ein witziger und liebenswerter Film, bei dem das Kernthema Dunkelhäutige-adoptieren-ein-hellhäutiges-Kind nicht wirklich im Fokus steht. Die meiste Zeit geht es um den Zusammenhalt der Alokas, ihrer Familie und Freunde. Die Handlung ist eher dünn, was durch die kurze Laufzeit von anderthalb Stunden jedoch wenig auffällt. Das Ende ist auch von vorne herein offensichtlich, doch der Humor und die sympathischen, lebensnahen Charaktere machen "Zum Verwechseln ähnlich" zu einem sehenswerten Film für die ganze Familie (freigegeben ab 0 Jahren - In meiner Vorstellung waren alle Altersklassen zwischen Grundschule und Rente).


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Montag, 24. Juli 2017

Spooked (Webserie) - Rezension [D/E]

The following review of the YouTube web series "Spooked" is also available in English. Please scroll down for the English version.

Deutsch

Serien findet man schon seit einigen Jahren nicht mehr nur im Fernsehen. Anbieter wie "Netflix" oder "Amazon Prime" produzieren ausschließlich für den Onlinemarkt. Doch auch Fernsehsender und YouTube-Channel haben Webserien für sich entdeckt. 
Im heutigen Post möchte ich euch eine meiner Liebsten vorstellen: "Spooked".

Die billigsten Geisterjäger

v.l.: Elliot, Piper, Connor, Morgan und Lindsey
Foto: YouTube/Geek & Sundry
"Spooked" ist eine Miniserie, bestehend aus vier Folgen, die auf dem YouTube-Channel "Geek & Sundry", sowie dem Streaming-Portal "Hulu" zu sehen ist. Sie handelt von fünf Geisterjägern, die in einem Wohnmobil unterwegs sind und übernatürliche Phänomene aufklären. Connor (Julian Curtis) hat das "Paranormal Investigation Team" (P.I.T.) gegründet, um seiner kleinen Schwester Piper (Shyloh Oostwald) zu helfen. Seit dem Tod ihrer Eltern redet sie kaum noch mit ihren Mitmenschen - dafür aber mit Geistern. Connors bester Freund Elliot (Derek Mio) ist der Einzige, der die Geschwister nicht für verrückt hält und sich ihrem Team anschließt. Weitere Mitglieder finden sie in der selbsternannten Okkultspezialistin Morgan ("Blindspots" Ashley Johnson) und dem Alienfan Lindsey ("Eurekas" Neil Grayston), der ihnen auch das Equipment finanziert. Wer mit paranormalen Vorkommnissen zu kämpfen hat und sich die "Ghostbusters" nicht leisten kann, kontaktiert das "P.I.T.". So müssen sie beispielsweise eine Frau von ihrem herumspukenden Schwiegervater befreien und einen Dämon aus einer Collegestudentin vertreiben.

Die Methoden der "P.I.T.s" sind etwas unorthodox
Foto: Youtube/Geek & Sundry
Was im ersten Moment nach einer x-beliebigen Science-Fiction-Show klingt, ist auf den zweiten Blick doch anders. Denn anstatt die Geisterjagd als dramatisch und spannend darzustellen, ist sie vor allem eins: Lustig. Mit Ausnahme von Piper sind die "Paranormal Investigators" nämlich, gelinde gesagt, eher durchschnittlich talentiert. "Spooked" an sich wirkt wie eine Parodie auf die zahlreichen Sendungen, die sich ernsthaft mit der Aufklärung von vermeintlich übernatürlichen Phänomen beschäftigen. Dabei spielen hier die semi-professionellen Hauptcharaktere eine wichtige Rolle. Sie gehen ihre Fälle mit ansteckend naivem Enthusiasmus und Leidenschaft an. Ihre mangelhaften Qualifikationen sind dabei nicht das größte Problem, meistens stehen sie sich selbst im Weg. Elliot versucht beispielsweise regelmäßig auf ungelenke Art und Weise mit Morgan zu flirten, was nicht selten nach hinten los geht (Elliot: "I've got a shovel... with your name on it. (...) You know, 'cause I dig you." [Morgan geht, betretenes Kopfschütteln von allen anderen] Elliot: "What, what did I say? That was a good line." Connor: "It sounded like you wanted to kill her."). Als er schließlich realisiert, dass seine Herzensdame nur Augen für seinen besten Freund hat, ist es mit der Professionalität endgültig vorbei. Noch amüsanter als das kindisch-trotzige Verhalten der Hauptfiguren sind nur die entgeisterten Blicke ihrer Klienten, die langsam realisieren, weshalb das "Paranormal Investigation Team" so günstig ist.

Von Geeks für Geeks

Blutige Wände verursachen bei ihnen leichte Panik
Foto: YouTube/Geek & Sundry
Häufig sind Mini-Serien hemmungslos überladen. "Spooked" gelingt es jedoch, die Fälle, die persönlichen Verwicklungen der "P.I.T.s", die Geschichten ihrer Klienten und den erfrischenden Humor in 20 bis 25 minütige Folgen zu verpacken. Beeindruckend ist ebenfalls, wie unterschiedlich die Fälle sind. Besonders die dritte Episode "Brotherly Departed" ist hier zu empfehlen, da sie mit einer überraschenden Auflösung endet. Die lockeren und cleveren Drehbücher, die lediglich im Serienfinale ein wenig ins Lächerliche abrutschen, sind genau das, was man im linearen Fernsehen eher selten sieht. Dennoch steht "Spooked" kleineren TV-Produktionen in Sachen Professionalität in nichts nach: Bis in die Episodenrollen (unter anderem Dichen Lachman, Tom Lenk und Constance Wu) prominent besetzt, passendes Setdesign, verschiedene Kameraperspektiven und ein roter Faden, der die einzelnen Folgen verbindet.
Elliot versucht Morgans Herz zu gewinnen
Foto: Screenshot
Man merkt deutlich, dass "Spooked" von Geeks für Geeks produziert wurde. Film- und Fernsehfans werden die Schauspieler aus anderen Formaten kennen. Außerdem gibt es zahlreiche Anspielungen auf bekannte Nerd-Themen ("My flamed `Goblet of Fire´, I was thinking maybe after the case we could grab a butterbeer."). Die unbeholfene, enthusiastische Art der Hauptcharaktere, denen egal ist, was andere von ihnen denken, erinnert ebenfalls an Geeks. Dementsprechend authentisch wirkt die Serie - von der Geisterjagd mal abgesehen. Obwohl... die Hauptfiguren haben sichtbar Angst vor den paranormalen Ereignissen und merken eine ganze Folge über nicht, dass die Verschlusskappe noch auf der Videokamera ist. Das ist schon fast gespenstisch realistisch. ;)

Fazit

"Spooked" ist eine witzige, kurzweilige Webserie mit dem passenden Slogan "Don't be afraid to laugh". Die schrägen Figuren bilden dabei den Kern. Durch ihre trottelige, aber sympathische Art, kann man sich leicht mit den Hauptcharakteren identifizieren. Dabei ist es sowohl unterhaltsam ihren paranormalen Ermittlungen als auch der langsamen Eskalation der privaten Probleme zuzusehen. Die abwechslungsreichen Fälle und die Professionalität der Produktion sind weitere Pluspunkte. Es gibt jedoch zwei negative Aspekte: Leider gibt es nur vier Folgen und die finale ist durch ihre eher abstruse und unkreative Handlung kein würdiger Abschluss. Ansonsten ist "Spooked" eine ideenreiche Serie, wie es sie auch im linearen Fernsehen häufiger geben sollte.


Falls ich eure Neugier geweckt habe, klickt hier, um zu einer Playlist mit allen Folgen zu gelangen. Den Trailer könnt ihr euch im Post weiter unten anschauen.

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English

For some years now you can find series on more than just television. Providers like "Netflix" and "Amazon Prime" only produce for the online market. But tv stations and YouTube channels have also discovered web series.
In today's post I'm going to introduce one of my favorites: "Spooked".

The cheapest paranormal investigators

f.l.: Elliot, Piper, Connor, Morgan and Lindsey
Photo: YouTube/Geek & Sundry
"Spooked" is a mini series, consisting of four episodes, which can be watched on the YouTube channel "Geek & Sundry" as well as "Hulu". The story follows five ghost hunters, who cruise around in a RV and investigate supernatural activities. Connor (Julian Curtis) founded the "Paranormal Investigation Team" (P.I.T.) in order to help his little sister Piper (Shyloh Oostwald). Since their parents' death she rarely ever talks to anyone - but ghosts. Connor's best friend Elliot (Derek Mio) is the only one, who doesn't believe the siblings are crazy and joins their team. Additional members are the self-proclaimed occult specialist Morgan ("Blindspot's" Ashley Johnson) and alien fan Lindsey ("Eureka's" Neil Grayston), who also pays for the equipment. People, who experience paranormal events and can't afford the "Ghostbusters", contact the "P.I.T.". In one case they have to help a woman, who is being haunted by her father-in-law. In another they have to cast out a demon.

The "P.I.T.'s" methods are a little unorthodox
Photo: Youtube/Geek & Sundry
This may sound like an average science fiction show, but it is different. Instead of portraying ghost hunting as dramatic and thrilling, it is mostly funny. With the exception of Piper the "Paranormal Investigators" are average talented - to put it midly. "Spooked" appears to be parodying tv shows that take paranormal activities seriously. The semi-professional main characters play an important part in this. They work their cases with naive enthusiasm and passion. But their lack of skills is not the biggest problem. Most of the time they stand in their own way. Elliot for example constantly tries to flirt with Morgan in a rather awkward way, which usually backfires (Elliot: "I've got a shovel... with your name on it. (...) You know, 'cause I dig you." [Morgan leaves, everyone else shakes their head with embarrassment] Elliot: "What, what did I say? That was a good line." Connor: "It sounded like you wanted to kill her."). The professionalism is definitely over, when he realizes she likes his best friend. The only thing that is even funnier than the main characters' immature and defiant behavior is the dumbfounded look on their clients' faces, when they slowly start to understand why the "Paranormal Investigation Team" is so cheap.

By Geeks for Geeks

Bloody walls scare them a little bit
Photo: YouTube/Geek & Sundry
Mini series are often utterly overloaded with content. However "Spooked" manages to fit the cases, the "P.I.T.'s" personal conflicts, their clients' stories and the refreshing humor into 20 to 25-minute long episodes. It is also impressive how diverse their cases are. Especially the third episode "Brotherly Departed" is highly recommended as it has a rather surprising conclusion. Easygoing and clever scripts like this, just the series finale is a little too abstruse, are rare in linear television. Nevertheless "Spooked" is in no way inferior to small TV productions: A well known cast including the episode roles (Dichen Lachman, Tom Lenk and Constance Wu among others), an appropriate set design, different camera angles and a common thread that connects the individual episodes.
Elliot tries to win Morgan's heart
Photo: Screenshot
It is obvious that "Spooked" was made by geeks for geeks. Movie and tv fans are probably going to recognize the actors from other productions. Additionally there are numerous allusions to popular nerd topics ("My flamed `Goblet of Fire´, I was thinking maybe after the case we could grab a butterbeer."). The protagonists do not care what others think of them. Linked with their clumsy, enthusiastic nature they remind me of nerds. That makes the show seem authentic - well except for the ghost hunts. Although... the main characters are pretty scared by the paranormal activities and it takes them an entire episode to realize they never took the cap of the video camera. That is spooky realistic. ;)

Conclusion

"Spooked" is a funny, entertaining web series with the fitting slogan "Don't be afraid to laugh". The weird protagonists are the basis. Their clumsy, but likeable nature makes it easy to relate to them. Both the paranormal investigations as well as their slowly escalating private problems are fun to watch. The varying cases and the professional production are also outstanding features. But there are two negative aspects: Sadly the series is only four episodes long and the finale is not a worthy end due to an abstruse and unimaginative story line. Apart from that "Spooked" is a creative series, that should motivate some tv stations to go in similar directions.


If I arouse your curiosity, click here to get to a playlist with all episodes. You can watch the trailer below.

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Samstag, 22. Juli 2017

Netflix Original Serien - Kurzrezensionen (Teil 2)

Momentan ist Sommerpause im deutschen Fernsehen und nicht nur da, auch die meisten Serien aus anderen Ländern liegen in den warmen Monaten auf Eis. Wie gut, dass es Streaming-Anbieter gibt, deren Eigenproduktionen immer bereit stehen und die uns regelmäßig mit neuem Material versorgen.
In einem früheren Post habe ich bereits die "Netflix"-Originalserien "Sense8", "Paranoid" und "3%" vorgestellt (hier kommt ihr zum Beitrag). Im zweiten Teil rezensiere ich nun drei andere Formate. Vielleicht findet der ein oder andere ja eine Sendung, die er während des langen Fluges in den Urlaub oder an einem verregneten Sommertag "bingewatchen" kann. Klickt auf die Titel, um euch die Trailer anzuschauen.

An dieser Stelle gehe ich auf Serien ein, die "Netflix" selbst als "Netflix Original" bezeichnet, obwohl sie teilweise auch im Fernsehen ausgestrahlt oder von Drittanbietern produziert wurden. Da ich alle englischsprachigen Serien in der Originalversion angesehen habe, kann ich keine Aussagen zu der Qualität der deutschen Synchronisation treffen.


Between

Wer wird überleben?
Foto: Netflix
"Between" ist eine kanadische Serie, die von "Netflix" koproduziert wurde. Dabei geht es um den kleinen Ort Pretty Lake, in dem plötzlich mehrere Menschen tot zusammenbrechen. An den darauffolgenden Tagen sterben alle Einwohner, die über 21 Jahre alt sind. Die Stadt wird abgeriegelt und die Überlebenden sitzen in der Quarantänezone fest. Die Teenager versuchen verzweifelt ihren jüngeren Geschwistern und Nachbarskindern einen halbwegs strukturierten Alltag zu ermöglichen. Doch Trauer und Lebensmittelmangel lassen die Stimmung schnell umschlagen.

Mir gefällt an "Between" besonders, dass sich die Handlung nicht auf eine Handvoll Hauptcharaktere konzentriert, sondern der Fokus auf vielen Figuren liegt. Dabei ist niemand sicher, was die Sendung kurzweilig und spannend macht. Die Protagonisten selbst sind jedoch nicht sonderlich kreativ aufgebaut. Da wäre beispielsweise die schwangere Pfarrerstochter Wiley (Jennette McCurdy). In Trailern und Inhaltsangaben scheint es, als sei sie die zentrale Figur. Das ist vermutlich dem Fakt geschuldet, dass Jennette McCurdy das bekannteste Gesicht der Darstellerriege ist. Ihre Rolle ist jedoch sehr einseitig und trägt nicht viel zur Handlung bei. Dasselbe gilt für eine Vielzahl anderer Charaktere. Man nimmt vielen von ihnen auch nicht ab, dass sie 21 Jahre oder jünger sein sollen. Besonders Bauernsohn Gord (Ryan Allen) wirkt eher wie ein weiser alter Mann als ein Teenager, der gerade den Großteil seiner Familie verloren hat. Seine kleine Schwester Frances (Shailyn Pierre-Dixonist jedoch ein Beispiel für eine gelungene Figur. Sie ist hin und her gerissen zwischen ihrem Bruder, der bereitwillig die halbe Stadt mit Lebensmitteln von ihrem Hof versorgt und dem eigenen Überlebenswillen. 
Gord und Frances haben unterschiedliche Ansichten
Foto: Netflix
Hier liegt einer der großen Pluspunkte von "Between". Es gibt Dutzende bekannte Geschichten, in denen das Überleben einer Gruppe Jugendlicher im Vordergrund steht (beispielsweise die "Netflix"-Serie "3%" oder die bekannte Reihe "Die Tribute von Panem"). Auch hier ist das der Kern der Handlung, nur handelt es sich bei den zentralen Charakteren nicht ausschließlich um Teenager . In Pretty Lake gibt es auch noch Kleinkinder, die plötzlich ohne Eltern dastehen und von den jugendlichen Protagonisten versorgt werden müssen. Mit Frances, sowie ihrem Freund Harrison (Percy Hynes Whitegibt es deutlich jüngere Hauptcharaktere, die völlig anders denken und handeln als ihre älteren Geschwister. Dadurch bleibt die Gruppendynamik lebhaft und interessant. Was dringend notwendig ist, denn mit Adam (Jesse Carere) hat "Between" eine der mit Abstand einschläfernsten Figuren aller Zeiten. Die langsame, völlig emotionslose Sprech- und Spielweise von Carere könnte schon fast als Stilmittel durchgehen - wäre seine Rolle Adam nicht der Kernpunkt der Geschichte, da er dem Geheimnis von Pretty Lake letztendlich auf die Spur kommt.
Wiley und Adam wollen raus aus Pretty Lake
Foto: Netflix
Die Auflösung ist nur bedingt glaubwürdig, was mich normalerweise sehr stört. Bei "Between" war das nicht der Fall. Durch die Dynamik der Figuren hatte ich zwischenzeitlich völlig vergessen, dass die Ursache des Massensterbens noch aufgeklärt werden muss. In der zweiten Staffel, die meiner Meinung nach deutlich besser ist als die erste, liegt der Fokus stärker auf dieser Frage und der Suche nach einem Heilmittel oder Fluchtweg aus der Quarantäne. Leider ist noch nicht bekannt, ob die Serie um eine dritte Staffel verlängert wurde. Da die Zweite mit einem großen Cliffhanger endet und das Schicksal der verbleibenden Protagonisten ungewiss ist, würde ich gerne erfahren, wie es weitergeht. Außerdem werden in die Handlung immer wieder Themen wie Zwei-Klassen-Gesellschaft, Egoismus versus Altruismus oder Anarchie eingebunden. Ich fände es spannend zu sehen, wie sich diese Problematiken durch die Situation am Ende der zweiten Staffel vertiefen.


The OA

Vom Himmel sieht man in der Serie wenig
Foto: Netflix
Um es gleich vorweg zu nehmen: "The OA" ist in meinen Augen die mit Abstand schlechteste "Netflix"-Produktion, die ich bislang gesehen habe. Dabei hat mich der Trailer von der ersten Sekunde an gefesselt. Eine junge Frau (Produzentin und Co-Drehbuchautorin Brit Marling) springt von einer Brücke. Sie heißt Prairie Johnson und ist vor sieben Jahren plötzlich verschwunden. Im Krankenhaus finden die Ärzte furchtbare Narben auf ihrem Rücken. Doch die Protagonistin will der Polizei und ihren Adoptiveltern nicht sagen, wo sie in die ganze Zeit über war und woher sie die Narben hat. Das Mysteriöseste: Bei ihrem Verschwinden war sie blind, nun kann sie wieder sehen. Prairie, die sich nun "The OA" nennt, sucht durch ominöse Online-Botschaften nach Mitstreitern. Vier High School Schüler und ihre Lehrerin folgen dem Aufruf ohne zu wissen, worauf sie sich einlassen. Nacht für Nacht erzählt ihnen "OA" nun, was in den vergangenen sieben Jahren geschehen ist.

OA (Mitte) erzählt ihre Geschichte
Foto: Netflix
Die vielen Mysterien und die völlig unterschiedlichen Charaktere (Zu "OAs" fünf Anhängern zählen ein rücksichtsloser Schläger; ein zielstrebiger Einserschüler; ein Transgender-Junge, der illegal Testosteron kauft; ein Kiffer mit trauriger Vorgeschichte und eine unbeliebte Lehrerin) versprechen eine abwechslungsreiche, undurchsichtige Serie. Leider versucht die Geschichte in meinen Augen zu geheimnisvoll, zu mysteriös und zu ungewöhnlich zu sein. Daraus resultiert eine konfuse Handlung, die sich vor allem darauf verlässt, dass die Zuschauer so begeistert von der Originalität sind, dass sie nichts hinterfragen. 
Die noch schrägeren Posen würden leider spoilern
Foto: Vulture/Netflix
Das Alleinstellungsmerkmal der Serie besteht leider vor allem darin, sich selbst viel zu ernst zu nehmen. "The OA" ist zwar schräg, doch wenn die Geschichte mit einem Augenzwinkern erzählt werden würde, wie die nächste Serie in dieser Liste, wäre sie vielleicht richtig gut. Aber leider wird die Handlung derart seriös und dramatisch verpackt, dass sie unfreiwillig komisch wirkt. Am deutlichsten zeigt sich das in den geheimnisumwobenen Bewegungen, die Prairie ihren Mitstreitern beibringt. Sie ähneln eher dem interpretativen Ausdruckstanz einer Kindersportgruppe als kraftvollen, bedeutungsschweren Posen. Spätestens als sie zum ersten Mal gezeigt wurden, wollte ich ausschalten. Doch da ich es nicht leiden kann, wenn Menschen etwas nur zur Hälfte lesen oder sehen und sich hinterher darüber auslassen, bin ich bis zum Ende dabei geblieben. Leider ging es immer weiter bergab. Der Showdown in der letzten Folge ist dermaßen diffus und völlig haltlos, dass er nicht einmal mehr zum Rest der Sendung passt. Davor wird "OAs" neuen Freunden mehrfach nahegelegt alles Gehörte zu hinterfragen. Daher habe ich die Hoffnung, dass in der zweiten Staffel herauskommt, dass Prairie alles nur erfunden hat und ihre tatsächliche Geschichte deutlich spannender, mysteriöser und weniger dramatisch überzogen ist.


Knallige Farben sind Kimmys Markenzeichen
Foto: Netflix
Im Alter von 14 Jahren wurde Kimmy Schmidt (Ellie Kemper) von einem religiösen Fanatiker gekidnappt und zusammen mit drei anderen Frauen in einen Bunker gesperrt. 15 Jahre lang erzählte er ihnen, dass sie die letzten Überlebenden der Apokalypse seien. Umso größer ist der Schock, als die vier eines Tages befreit werden und feststellen, dass die Welt nicht untergegangen ist. Im Gegensatz zu ihren Leidensgenossinnen, entscheidet sich Kimmy nicht nach Hause zurückzukehren, sondern in New York ihr Glück zu finden. Sie gründet eine WG mit dem schwulen, arbeitslosen Performancekünstler Titus Andromedon (Tituss Burgess) und wird Nanny im Haushalt der exzentrischen High-Society-Lady Jacqueline Voorhees (Jane Krakowski). Obwohl sie jeden Tag mit kindlich-naiver Freude angeht, ist es für Kimmy nicht einfach, sich in der ihr fremden Erwachsenenwelt zurechtzufinden, den Großstadtdschungel zu bezwingen und ihre traumatische Vergangenheit zu bewältigen.

v.l.: Jacqueline, Titus und Kimmy
Foto: Netflix
"Unbreakable Kimmy Schmidt" ist eine unglaublich witzige, kurzweilige Serie, die alles und jeden aufs Korn nimmt - am meisten sich selbst. In jeder Folge erlebt Kimmy ein neues Abenteuer, beispielsweise "Kimmy geht zum Arzt!", "Kimmy küsst einen Jungen!" oder "Kimmy sieht einen Sonnenuntergang!" Das klingt nicht nur wie eine Kinderbuchreihe, es wirkt auch so. Für die Protagonistin, die mit 14 Jahren entführt wurde, sind viele alltägliche Aktivitäten völlig neu. Plötzlich ist sie volljährig in der realen Welt, braucht einen Job, einen Sinn im Leben, zudem sucht sie nach der großen Liebe. Kimmys kindlich-naive Freude ist ansteckend und lässt selbst die normalsten Dinge wie aufregende Missionen erscheinen. Die anderen Charaktere sind ebenfalls herrlich überzeichnet, dennoch haben alle einen wahren Kern in sich. Titus, der verzweifelt versucht am Broadway als schwuler Dunkelhäutiger Fuß zu fassen; Jacqueline, die reich geheiratet und den Bezug zur Realität verloren hat (Jacqueline [nimmt eine Flasche Wasser aus einem Kühlschrank voller Wasserflaschen]: "Möchten Sie ein Wasser?"; Kimmy: "Nein, danke." [Jacqueline schmeißt die volle Flasche kommentarlos in den Mülleimer]), sowie Vermieterin Lilian (Carol Kane), die ihr verdrecktes New Yorker Viertel liebt und verhindern möchte, dass sich dort hippe Bio-Läden und Startups niederlassen ("Könnt ihr mir etwas Mehl leihen? Da draußen sind ein paar weiße Kids, die Kokain wollen."). Die Schauspieler sind sich dabei für nichts zu schade und haben sichtbar Spaß an ihren überdrehten Rollen.
Kimmy (vorne) und ihre Mitgefangenen im Bunker
Foto: Netflix
Während Kimmy und ihre Abenteuer in der ersten Staffel im Fokus stehen, rücken ab der zweiten auch die anderen Figuren in den Vordergrund. In der Dritten sind Titus, Lilian und besonders Jacqueline fast öfter zu sehen als Kimmy. Leider gleiten ihre Nebenhandlungen dabei ins Abstruse ab. Der Charme und die Naivität der ersten Staffel blitzen nur noch vereinzelt durch. Dennoch ist die Serie witzig und innovativ. Sie regt außerdem zum Nachdenken an. Mit Humor werden die verschiedensten Themen verarbeitet, darunter auch kontroverse, wie das Ruhigstellen von Kindern durch Medikamente oder die Abschiebung von illegalen Einwanderern. Da sich die Serie selbst nicht ernst nimmt, fällt es ihr leicht, den Zuschauern einen Spiegel vorzuhalten. Dennoch hat man nie das Gefühl belehrt zu werden. "Unbreakable Kimmy Schmidt" ist letztendlich vor allem witzig, fröhlich und liebenswürdig. Das zeigt sich schon im Titelsong, der einfach zum Mitsingen einlädt.


Das waren meine "Netflix"-Kurzrezensionen. Da der Streaming-Anbieter immer wieder neue Serien und Staffeln herausbringt, wird es sicher nicht der letzte Beitrag zu diesem Thema sein. Alle Posts zum Thema "Netflix" findet ihr hier.

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Dienstag, 18. Juli 2017

To The Bone - Rezension

Magersucht. Wie entsteht sie? Wie erkennt man sie? Was können Angehörige tun? Wie groß sind Heilungschancen und Rückfallquote? Das sind nur einige von vielen Fragen, die der neue "Netflix"-Film "To The Bone" nicht beantwortet. 
Ende März sorgte der Streaming-Anbieter bereits mit "Tote Mädchen Lügen Nicht" für Aufregung. Viele Eltern und Experten befürchteten, dass labile Jugendliche durch die Serie zum Selbstmord animiert werden könnten. Mit "To The Bone" wagt sich "Netflix" nun an das nächste kontrovers diskutierte Tabu-Thema: Essstörungen. 

Ellen (Lily Collins) ist 20 Jahre alt und magersüchtig. Vier stationäre Aufenthalte hat die junge Künstlerin bereits hinter sich, als ihre Stiefmutter Susan (Carrie Preston) sie in einer Wohngruppe unterbringt. Dort leben sechs weitere Jugendliche mit ähnlichem Krankheitsbild. Neben regelmäßigem Wiegen muss Ellen gemeinsam mit ihrer zweigeteilten Familie eine Therapie machen. Dabei wird sie von dem engagierten Arzt Dr. William Beckham (Keanu Reeves) unterstützt.

Familiendrama, Buddykomödie... Was denn nun?

Wie lange hält ihr Körper durch?
Foto: Netflix
Bulimie und Magersucht stellen das Kernthema dar - sollte man anhand des Trailers und der Filmbeschreibung jedenfalls denken. Das Drehbuch packt allerdings noch so viele unterschiedliche Aspekte hinzu, dass es unmöglich ist, bei einer Laufzeit von knapp über 100 Minuten auf jeden einzelnen einzugehen. Da wäre erstmal Ellens Familie: Ihr leiblicher Vater ist während des gesamten Films auf Geschäftsreise und überlässt es seiner liebevollen, aber völlig überforderten Frau, sich um seine kranke Tochter zu kümmern. Stiefschwester Kelly (Liana Liberato) leidet zunehmend unter dem Getuschel anderer Leute. Ellens leibliche Mutter Judy (Lili Taylor) ist mit ihrer Lebensgefährtin Olive (Brooke Smith) weggezogen und versichert ihrem Kind immer wieder, dass es gerade so gar nicht passe, sie bei sich aufzunehmen. Doch das sind noch lange nicht alle Charaktere. In der Wohngemeinschaft kümmern sich Dr. Beckham und zwei Betreuerinnen um die insgesamt sieben Bewohner. Jeder von ihnen hat eine eigenständige Persönlichkeit, auf die leider nur kurz eingegangen wird. Denn hier liegt das zentrale Problem: Es ist ein Film. Wäre "To The Bone" der Auftakt einer Serie, könnte ich die nächsten Folgen kaum erwarten. Doch leider sind dem Thema nur 107 Minuten vergönnt, in die einfach zu viele Figuren und Nebenhandlungen hineingezwängt wurden. 
Pearl (Maya Eshet) lebt in ihrer eigenen Welt
Foto: Screenshot
Bei Ellens Mitbewohnern wurde das meiste Potenzial verschenkt. Da wäre beispielsweise die deutlich übergewichtige Kendra (Lindsey McDowell), die beim gemeinsamen Essen Erdnussbutter aus einem Glas löffelt. Weshalb sie mit sechs Magersüchtigen zusammenlebt und wieso sie, im Gegensatz zu den anderen, scheinbar nicht gewogen oder therapiert wird, hätte mich wirklich interessiert. Dasselbe gilt für Pearl, deren Bett mit Einhorn- und Pony-Stofftieren bedeckt ist. Die anderen Bewohner gehen extrem vorsichtig mit ihr um und behandeln sie wie ein kleines Kind ("Deine Ponys wollen nicht, dass du weinst. Dein Kätzchen möchte auch nicht, dass du weinst."). Es wäre interessant gewesen, mehr über sie und ihre Geschichte zu erfahren. An den Konflikten in Ellens Familie wird auch nur oberflächlich gekratzt. Eine Konfrontation mit ihrem desinteressierten Vater bleibt aus, der Bruch mit ihrer leiblichen Mutter wird nicht erklärt und die Sorgen von Stiefschwester Kelly beiseite geschoben. Wenn man so viele Charaktere einführt, muss man dem Zuschauer die Zeit geben, sie kennenzulernen. Das wäre auch den Schauspielern gegenüber fair, die ausnahmslos alle sehr berührend und realistisch spielen. Ellen selbst hat eine belastende, künstlerische Vorgeschichte, die jedoch nur in Teilen kurz thematisiert wird. Ich hätte mir gewünscht, dass auf diese und zahlreiche andere angerissene Handlungsstränge verzichtet worden wäre, um die Geschichte zu entlasten, sowie den Fokus deutlicher auf die Protagonistin und ihre Krankheit zu legen.

Der Film schwächt sein Kernthema selbst

Dr. Beckham fragt Ellen, ob sie überhaupt Hilfe will
Foto: Netflix
Überhaupt hat es den Anschein, als wäre Magersucht lediglich der Aufhänger von "To The Bone". Ich könnte mir sogar vorstellen, dass der Streifen nicht grundlegend anders verlaufen wäre, wenn Ellen an etwas anderem leiden würde. Zu Beginn ist das noch anders. Der Zuschauer bekommt hier nicht nur Großaufnahmen von hervorstehenden Knochen zu sehen, sondern erfährt auch einige interessante Fakten über Anorexie (Dr. Beckham [betrachtet Ellens Arm]: "Findest du das gut - die vielen Haare? (...) Wollhaar. Dein Körper will dich warm halten und produziert mehr Haare."). Die Mädchen im Wohnheim unterhalten sich beim Spülen darüber, welche Lebensmittel man am leichtesten erbrechen kann und sprühen vor Freude, wenn sie die Chance haben Kalorien zu verbrennen ("Deshalb gibt es keine Türen. Sie wissen, dass wir den ganzen Tag herumjoggen würden, wenn uns niemand sehen könnte. Als würde eine Skelett-Olympiade stattfinden"). Dennoch wird das Thema Magersucht verhältnismäßig leicht angegangen. Es gibt zwar mehrere Szenen, bei denen einem das Lachen im Hals steckenbleibt, doch die meisten sind eher amüsant als bedrückend. Ob das nun eher ein guter oder ein schlechter Umgang mit diesem kontroversen Stoff ist, lässt sich meiner Meinung nach schwer bewerten, wenn man nicht selbst betroffen ist. 
Balletttänzer Luke hat sich in Ellen verliebt
Foto: Netflix
Im Laufe der Zeit verdrängen die zwischenmenschlichen Probleme, wie Ellens aufkeimende Gefühle für ihren ebenfalls magersüchtigen Mitbewohner Luke (Alex Sharp), dann das Thema Anorexie. Zwar spielt es noch eine wichtige Nebenrolle, doch der Fokus des Films liegt deutlich auf den Konflikten der verschiedenen Charaktere. Das trägt nicht gerade dazu bei, Krankheit und Betroffene besser zu verstehen. Am besten zeigt sich das in den Schlussminuten. Was genau die Protagonistin dazu bewegt, sich schließlich für einen Weg zu entscheiden, kann der Zuschauer nur grob erahnen. Der Sprung in der Handlung ist einfach zu groß, um glaubhaft nachvollziehen zu können, was geschehen ist. Der Verbleib der anderen Figuren wird ebenfalls nicht aufgeklärt. Für einen eindrücklichen Film bleiben zu viele Fragen unbeantwortet, zu viele Charaktere oberflächlich und zu viele wichtige Themen nur angerissen.

Fazit

Mit "To The Bone" hat "Netflix" einen interessanten Film geschaffen, der jedoch nur zaghaft an der Problematik Magersucht kratzt. Das kontroverse Kernthema wird durch andere Aspekte zu sehr in den Hintergrund gerückt. Durch die Fülle von Figuren bleibt auch keine Zeit für eine genauere Betrachtung der einzelnen Persönlichkeiten, was es schwierig macht, sich in sie hineinzuversetzen. Gerade bei einem so relevanten Thema wie Essstörungen wäre es hilfreich, wenn die Motive der Betroffenen besser herausgearbeitet worden wären. Leider ist alles nur sehr vage. In diesem Sinne ist "To The Bone" keine Offenbarung. Separiert man aber das Thema Magersucht vom Rest des Films, lohnt es sich dennoch ihn anzusehen. Vor allem wegen der herausragend guten Schauspieler und einigen amüsanten Onelinern. Ich hoffe, dass "Netflix" das Potenzial des Projekts erkennt und daraus eine Serie macht, in der Charaktere und Nebenhandlungen die Chance haben sich zu entwickeln. Denn so oder so regt "To The Bone" zum Nachdenken an. Meine Mutter hat dabei nicht einmal stricken können.


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Sonntag, 16. Juli 2017

Baby Driver - Rezension

Action, Komödie, Musik und Thriller - Der Film "Baby Driver" vereint völlig unterschiedliche Genre. Ich habe ihn vorab gesehen (deutscher Kinostart: 27. Juli) und bin nach knapp zwei Stunden mit gemischten Gefühlen aus dem Saal gekommen.

Es geht um Baby (Ansel Elgort), einen jungen, außergewöhnlich talentierten Fluchtwagenfahrer, der für den Gansterboss Doc (Kevin Spacey) arbeitet. Seit einem Unfall in der Kindheit leidet Baby an einem Tinnitus, den er mit Musik übertönt. Bei Überfällen wartet er geduldig im Auto und liefert sich anschließend halsbrecherische Verfolgungsjagden mit der Polizei. Doch als er plötzlich aktiv die Brutalität seiner "Kollegen" miterlebt und damit seine Freundin Debora (Lily James) in Gefahr bringt, muss Baby sich auch außerhalb des Autos beweisen.

Unsquare Dance

Mein Kopfhörer gehört zu mir
Foto: TriStar/Sony Pictures
Ohne Musik geht nichts - das scheint seine Devise zu sein. Fast den kompletten Film über trägt Baby Kopfhörer und besitzt gleich mehrere iPods. Töne und Lieder sind in "Baby Driver" nicht nur ein Stilmittel, sondern ein zentraler Teil der Handlung. Der junge Protagonist ist auf den ersten Blick clever und cool - bis die Musik nicht mehr im Einklang mit ihm ist. Dann beginnt er hektisch und unkonzentriert das geeignete Lied zu suchen, während er einen Fehler nach dem anderen macht. Sind Stimmung und Soundtrack jedoch aufeinander abgestimmt, macht es großen Spaß Baby zu beobachten. Er passt seine Bewegungen der Musik an - ob lässig-tanzend auf der Straße oder als energisch-aggressiver Fahrer. Dabei wird sowohl auf omnipräsente Sommerhits der letzten Jahre als auch auf legendäre Klassiker verzichtet. Ich kannte nur wenige der Lieder, was von Vorteil ist, da sie mich nicht von der Handlung abgelenkt haben.

Gegen Ende wäre mir das aber fast lieb gewesen. Anfangs überzeugt der Film mit coolen Verfolgungsjagden. Auch Baby ist durch sein Schweigen und seine passive, mysteriöse Art ein spannender Charakter. Die Handlung verliert im Laufe der Zeit jedoch deutlich den Fokus. Sobald man die Vorgeschichte des Protagonisten kennt und er sich aktiv am Geschehen beteiligt, wirkt er langweiliger und farbloser. Auch die actionreichen Fluchtszenen werden weniger. Als ich den Trailer das erste Mal gesehen habe, waren es vor allem die eigenwillige Hauptfigur und die Stunts, die meine Neugier auf den Film geweckt haben. Dementsprechend war ich enttäuscht, dass die Handlung im Mittelteil eher an einen Teenie-Streifen als an einen Actionthriller erinnert. Baby ist hin und her gerissen zwischen seinem Job und seiner großen Liebe. Dieser Gewissenskonflikt ist weder innovativ noch sonderlich spannend. Gegen Ende driftet die Geschichte dann ins Lächerliche ab: Wilde Schießereien mit Maschinenpistolen, hanebüchene Stunts und ausufernde Gewalt, bei denen die Beteiligten praktisch unverwüstlich sind.

Never, Never Gonna Give Ya Up

Gangsterquartett: Baby, Bats, Darling & Buddy (v.l.) 
Foto: TriStar/Sony Pictures
Während Baby wenigstens zu Beginn eine vielversprechende Figur ist, bleiben die anderen Charaktere weitestgehend einseitig. Da wäre einmal Doc, der Gangsterboss. Ich nenne ihn "Gangsterboss", weil nicht aufgeklärt wird, was genau er eigentlich "beruflich" macht und woher er das, für die Überfälle notwendige, Insiderwissen hat. Von Babys Kollegen fand ich ihn mit Abstand am spannendsten, da er mysteriös bleibt und die meiste Zeit nicht sicher ist, auf wessen Seite er steht. Das Pärchen Buddy (Jon Hamm) und Darling (Eiza González) wirkte auf mich eher befremdlich. Irgendwann erfährt man, dass beide drogenabhängig sind. Dementsprechend unglaubwürdig ist es, dass sie als talentierte, hochkonzentrierte und mitdenkende Kriminelle dargestellt werden. Bats (Jamie Foxx) konnte ich überhaupt nicht ernst nehmen. Er wirkt grundlos aggressiv, überdreht und schießwütig - ist im Gegensatz zu seinen beiden besonneneren Kollegen aber nicht drogenabhängig. Sinn macht das nicht. 
Joseph (l.) will das Beste für seinen Pflegesohn
Foto:  TriStar/Sony Pictures
Außerdem wäre da noch Debora. Wie so oft im Action-Genre ist sie leider nur die lieb lächelnde, hübsche Freundin des Titelhelden, die viel zu spät merkt, womit der sein Geld verdient. Im Gegensatz zu Sexbombe Darling, darf sie wenigstens halbwegs jugendfreie Kleidung tragen. Der einzige Charakter, von dem ich gerne mehr gesehen hätte, ist Babys gehörloser Pflegevater Joseph (CJ Jones). Durch die Vibration der Boxen fühlt er die Musik, die sein Sohn zu Hause hört und steht ihm via Gebärdensprache mit Rat und Tat zur Seite. Jones spielt die Gebrechlichkeit des alten Manns und seine Sorge um Baby sehr anrührend. Damit bildet er einen angenehmen Ruhepol, in dem sonst eher lauten und hektischen Streifen. An dieser Stelle ein großes Lob an die Produktion für die realitätsnahe Darstellung, denn CJ Jones ist auch im wahren Leben taub. Leider gibt es nur wenige Rollen für Menschen mit Handicap und die werden viel zu häufig mit Schauspielern ohne die jeweilige Einschränkung besetzt.

Fazit

"Baby Driver" ist ein kurzweiliger Thriller, der vor allem durch den faszinierenden Einsatz seines abwechslungsreichen Soundtracks besticht. Hier wäre es allerdings wünschenswert gewesen, den Fokus noch stärker auf die Musik zu legen, da sie das Alleinstellungsmerkmal des Film ist. Der Rest der Handlung ist relativ dünn und hebt sich wenig von anderen Actionthrillern ab. Die Charaktere sind ähnlich stereotyp: Der kaltherzige Boss, der gewaltbereite Kriminelle, die heiße Gangsterbraut, die naive Damsel-in-distress... Mit der Zeit wird die Geschichte immer hanebüchener und gipfelt in einem überzogenen, wenig glaubhaften Finale. Regisseur Edgar Wright denkt bereits über eine Fortsetzung zu "Baby Driver" nach. Ich hoffe sehr, dass dann das durchgezogen wird, was der Trailer bereits für den ersten Teil angedeutet hat: Atemberaubende Verfolgungsjagden, die anhand von Musik choreografiert werden.


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