Sonntag, 4. Februar 2018

Tatort: Tollwut - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Vier Jahre und zwei Tage ist es her, dass Kommissar Peter Faber (Jörg Hartmann) im "Tatort: Auf ewig Dein" den vermeintlichen Mörder seiner Frau und seiner Tochter festgenommen hat. Nun liegt plötzlich ein Brief des inhaftierten Markus Graf (Florian Bartholomäi) auf seinem Schreibtisch. Wenige Minuten später werden Faber und seine Kolleginnen Martina Bönisch (Anna Schudt) und Nora Dalay (Aylin Tezel) in die Dortmunder Justizvollzuganstalt gerufen, in der auch Graf einsitzt. Ein Häftling ist an Tollwut gestorben. Jemand muss ihn gezielt infiziert haben. Für die Ermittler hat der Fall eine besondere Schwere: Ihr ehemaliger Rechtsmediziner Jonas Zander (Thomas Arnold) hat sich in seiner neuen Position als Gefängnisarzt ebenfalls mit dem Rabiesvirus angesteckt - eine Chance auf Heilung gibt es nicht. Für Faber steht fest: Graf hat die Morde eingefädelt, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen. Bönisch und Dalay vermuten hingegen, dass es sich um die Machenschaften eines albanischen Familienclans handelt - schnell gerät der gebürtige Albaner Nico Rattay (Rick Okon) unter Verdacht.

Chaos im Knast

Momentan nur zu dritt in Dortmund
Foto: WDR
Ein (ehemaliger) Ermittler verkündet seinen Kollegen, dass er ermordet wurde und bittet sie, den Täter zu finden. Das klingt vielleicht schräg, vollkommen neu ist das Szenario allerdings nicht. Letztes Jahr gab es eine sehr ähnliche Handlung bereits im Weimarer "Tatort: Der scheidende Schupo". Während der MDR-Krimi die Sache jedoch locker und humorvoll anging, herrscht in Dortmund der gewohnte Zynismus. Dr. Zander beendet die Diskussion um seinen Gesundheitszustand mit den knappen Worten: "Martina, ich wurde ermordet. Akzeptiere das." Die Szene, in der die Kommissare von dem baldigen Ableben ihres Freundes erfahren, ist eine der stärksten in "Tollwut". Bönisch sucht verzweifelt einen Ausweg, Dalay sagt überhaupt nichts und Faber ist bereit, den Arzt in die Ermittlungen miteinzubeziehen, was ihm den Ärger seiner Kolleginnen einbringt. Danach spielt Zander nur noch eine untergeordnete Rolle, was schade ist, da sein Schicksal noch viel Potenzial für eine aufreibende Geschichte geboten hätte. Stattdessen sind seine kurzen Auftritte meist hart an der Grenze zur Melodramatik. In einer Szene jammert er beispielsweise "Ich bin doch kein Monster!", nachdem Nora, die panische Angst vor einer Ansteckung hat, erschrocken vor seiner ausgestreckten Hand zurückgezuckt ist. Bönisch hat deutlich weniger Berührungsängste und erfüllt dem Todgeweihten seinen letzten Wunsch: einen "Mitleidsfick" (Innerhalb von 88 Minuten wird gefühlt 15 Mal betont, dass der Rabiesvirus durch Kontakt von Speichel mit Schleimhäuten übertragen wird, ob Geschlechtsverkehr auch ein Risiko darstellt, thematisiert der "Tatort" nicht. Online konnte ich dazu auch keine klare Angabe finden.). Regisseur Dror Zahavi setzt die tödliche Tollwut gekonnt in Szene: Mehrmals wird gezeigt, wie sich ein Erkrankter mit blutunterlaufenen Augen vor Schmerzen krümmt und dabei grünlichen Schaum spuckt. Der Anblick ist kaum zu ertragen. 
Die tumultartigen Szenen im Knast sind beängstigend
Foto: WDR/Thomas Kost
Generell ist die Stimmung sehr düster und beklemmend - was vor allem daran liegt, dass in einem echten, stillgelegten Gefängnis gedreht wurde. Durch die wachsende Angst vor dem "Killervirus" eskaliert die Situation gegen Ende des Krimis: Unzählige Insassen stürmen durch die Gänge, Papier brennt, Ratten wuseln durch das Chaos - das ganze Szenario ist bedrückend. Vor allem für die Ermittler, die sich in unterschiedlichen, abgeschlossenen Zellen befinden. Sie hören Schreie und Tumulte, sind aber machtlos, da sie nicht wissen, was los ist und die Türen nicht öffnen können. Diese Urangst vor dem Eingesperrtsein wird unglaublich gut dargestellt und löst auch vor den Bildschirmen Beklommenheit aus. Bei den Szenen zwischen Kommissar Faber und seinem Kontrahenten ist es genau das Gegenteil. Graf hat mir vor vier Jahren eine Gänsehaut bereitet, in "Tollwut" erscheint er eher wie ein stereotyper Cartoon-Bösewicht: Mit eingefrorener Mimik und säuselnder Stimme erzählt er von seinen Neigungen ("Ich liebe es, junge Frauen zu töten und zu vergewaltigen. Was ist daran verrückt?") und versucht den Kommissar aus der Reserve zu locken, indem er über dessen tote Tochter und die Freundschaft zu Kollegin Bönisch spricht. Letztendlich fällt das Aufeinandertreffen der Kontrahenten jedoch sehr eintönig aus, da der Zuschauer nichts Neues über sie erfährt. Die beiden reden relativ sachlich miteinander und ihre Gespräche sind zu langatmig, um eine prickelnde Atmosphäre aufzubauen. Fabers Unterhaltungen mit Dr. Zander sind beispielsweise deutlich lebendiger und erinnernswerter (Zander: "Das macht Ihnen wirklich Spaß, stimmt's? Einer Leiche beim Sterben zuzusehen." Faber: "Also wenn's Ihnen hilft, ich gehe gerne mit Ihnen saufen oder in den Puff. Meinetwegen, wenn es sein muss, auch zum BVB oder wir können zusammen weinen, Bäume umarmen, um Sie trauern...")

Team wächst zusammen, Fall fällt auseinander

Ein Team: Dalay, Faber, Bönisch und Dr. Zander (v.l.)
Foto: WDR/Thomas Kost
Genauso blutleer wie Graf ist letztendlich die Auflösung. Die grobe Richtung lässt sich früh erahnen, die Feinheiten sind dann sehr konstruiert und umständlich. Im Gegensatz zu den vorherigen Folgen aus Dortmund ist der Showdown kein spektakuläres Finale, sondern eher ein: "Oh, okay, das ist also passiert." Dabei bleiben auch viele zentrale Fragen unbeantwortet. Die wohl spannendste: In welchem Verhältnis stand der Kindermörder zu seiner Anwältin Miriam Schott (Yvonne Yung Hee Bormann)? Sie scheint ihn sehr zu mögen und hat dafür gesorgt, dass er eine Einzelzelle, Farben und Chemikalien bekommt. Es wäre spannend gewesen, mehr über Grafs Leben in den letzten vier Jahren zu erfahren, doch leider geht Drehbuchautor Jürgen Werner darauf überhaupt nicht ein. Der letztendliche Tathergang wird auch nur am Rande thematisiert und bietet nicht viel Überraschendes. Das liegt vor allem daran, dass es trotz der 600 Häftlinge kaum Verdächtige gibt. Die Handlung konzentriert sich hauptsächlich auf Nico Rattay. Für Zuschauer, die "Tatort"-Neuigkeiten in den Medien verfolgen, ist das eine sehr langatmige und unnötige falsche Fährte. Denn schon vor Monaten wurde bekannt gegeben, dass Rick Okon das Dortmunder Team demnächst unterstützen wird. Dementsprechend wird es wohl kaum jemanden überraschen, dass der gewalttätige Straftäter vielleicht doch nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Fällt Rattay aus dem Kreis der Verdächtigen heraus, bleiben nicht mehr viele Personen. Das Schicksal seines Vorgängers Daniel Kossik (Stefan Konarske) wird nur halbherzig in Gesprächen erwähnt. Klar ist, dass er mittlerweile beim LKA in Düsseldorf arbeitet. Wie schwer er nach dem vorherigen Fall "Sturm" verletzt war und ob er sich je mit seinen Dortmunder Kollegen ausgesprochen hat, bleibt offen. Obwohl die Konflikte zwischen Kossik und Faber wegfallen, ist das Team noch immer uneins. Nora wurde nun die Position des Dauernörglers aufgezwungen und sie stänkert in einer Tour gegen ihren Chef. Der ist jedoch ehrlich bemüht, seine verbleibenden Kollegen zusammenzuhalten (Faber zu Dalay über die Bombenexplosion im vorherigen Fall "Sturm": "Wissen Sie, was mir im ersten Moment am allerwichtigsten war? Dass Sie und Frau Bönisch überlebt haben! Dass wir alle überlebt haben und weitermachen können - als Team."). Es ist toll, dass sein Charakter weiterentwickelt wird und er nicht nur auf das empathielose Arschloch festgelegt ist. Hoffentlich bekommt auch sein Verhältnis zu Markus Graf eine neue Wendung, sodass diese Geschichte ebenfalls nicht stagniert.

Fazit

"Tollwut" ist ein guter "Tatort", der vor allem durch seine angespannte und beklemmende Atmosphäre punktet. Wie immer in Dortmund ist das Team grandios, da es trotz persönlicher Konflikte effizient zusammenarbeitet und einen tollen, bissigen Humor hat. Für künftige Folgen ist es außerdem vielversprechend, dass die Charaktere sich öffnen und aufeinander zugehen. Bei Außenstehenden gilt das leider nicht. Fabers Zusammenspiel mit seinem Gegenspieler Graf ist sehr oberflächlich und öde, da alte Konflikte aufgewärmt werden, anstelle neuen Schwung in die Geschichte zu bringen. Dr. Zanders Ausstieg gleitet in die Melodramatik ab, während der Einstieg des neuen Kollegen sehr undurchsichtig und lieblos ist. Obwohl es definitiv bessere Dortmunder "Tatorte" als "Tollwut" gibt, ist die Folge im Gesamtvergleich noch immer überdurchschnittlich und bestätigt wieder einmal, dass das Team um Faber zu den mit Abstand besten gehört.


Nächste Woche geht es nach Weimar. Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) stehen in "Der kalte Fritte" gleich vor zwei Leichen: Ein Milliardär wurde umgebracht, seine junge Frau hat den Täter erschossen. Die Ermittlungen führen die Kommissare unter anderem zum geplanten Goethe-Geomuseum.

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