Donnerstag, 23. November 2017

Mirror Mirror (Cara Delevingne) - Rezension

Dieses Jahr habe ich mir auf der Frankfurter Buchmesse (hier geht es zu meinem Event-Post) den Roman "Mirror Mirror" von Supermodel Cara Delevingne gekauft. Er ist im Oktober 2017 erschienen und ehrlich gesagt, war ich vor allem neugierig, wie sie die Geschichte erzählt. Denn Prominente schreiben ja häufig Ratgeber und ihre eigenen Biographien, aber eher selten Belletristik. Cara hat den Roman allerdings nicht alleine verfasst, sondern in Zusammenarbeit mit Autorin Rowan Coleman. In der deutschen Version ist er im Fischer Verlag erschienen und 364 Seiten lang.

Red, Naomi, Rose und Leo sind alle auf ihre Art und Weise verloren. Red hat einen Vater, der immer bei seiner Affäre ist und eine Mutter, die ihren Kummer im Alkohol ertränkt. Naomi läuft gerne von zu Hause weg und schwimmt gegen den Strom. Rose ist der Star der Schule, der von allen angehimmelt wird, ohne wirklich jemandem zu vertrauen und Leo wird von seinem kriminellen Bruder immer wieder auf die schiefe Bahn gebracht. Wegen eines Schulprojekts gründen die vier widerwillig eine Band, die sie "Mirror Mirror" nennen. Doch sie spielen richtig gut, werden schnell bekannt und zu besten Freunden. Alles ändert sich, als Naomi eines Tages verschwindet. Im Gegensatz zur Polizei glauben Red, Rose und Leo nicht, dass ihre Bandkollegin wieder von zu Hause abgehauen ist und suchen selbst nach ihr. Als sie viele Wochen später schwer verletzt in einem Kanal gefunden wird, beginnt die Freundschaft der anderen drei zu bröckeln.

Sehr viel Wahrheit in einem Buch

Das Cover ist echt cool!
Foto: Fischer Verlag
Die Geschichte von "Mirror Mirror" ist nicht außergewöhnlich kreativ. Eine Gruppe Außenseiter, die einander Kraft geben und gemeinsam sogar richtig cool und angesagt werden, gibt es gefühlt in jedem zweiten Jugendbuch. Im Disney Channel-Film "Lemonade Mouth" hat eine solche Clique sogar schon einmal eine Band gegründet, die dann plötzlich berühmt wurde. Die Grundhandlung hat mich also nicht wirklich vom Hocker gerissen, allerdings besteht dieser Roman aus so viel mehr! Es lohnt sich alleine schon, das Vorwort von Cara Delevingne zu lesen, da es einen guten Einblick in die Gefühle gibt, die in das Buch geflossen sind und aus welcher Motivation heraus es geschrieben wurde ("Vor allem möchte ich meinen Lesern sagen, dass es okay ist, wenn ihr noch nicht wisst, wer ihr seid."). Genau diese Stimmung hebt "Mirror Mirror" von ähnlichen Geschichten ab. Es gibt keine übernatürlichen Phänomene und keine wundersamen Verwandlungen vom Loser zum Helden. Der Großteil der Handlung ist beängstigend realistisch. Jeder der Charaktere hat eigene Probleme, die er bewältigen muss und für die seine Freunde, die sich in anderen Situationen befinden, einfach kein Verständnis haben. Zu Beginn des Buches wird der Zusammenhalt der vier Protagonisten noch sehr oberflächlich dargestellt ("Vor der Band war jeder auf seine eigene Weise verloren und dann hat es irgendwie bei uns klick gemacht. Und zusammen sind wir stark und cool und krass und einfach der Hammer."), doch im Laufe der Handlung wird klar, wie schnell so ein scheinbar perfektes Glück auch wieder zerbrechen kann. Generell werden alle Probleme authentisch dargestellt und nicht, wie es so häufig vorkommt, durch ein paar nette Worte und ganz fest daran glauben, schnell gelöst. Das Buch endet zwar mit einem glücklichen Moment der Protagonisten, es wird aber nicht mehr thematisiert, ob sie ihre Situationen in den Griff bekommen haben. Ein Happy End à la "Alles war gut" fehlt also.
Supermodel Cara Delevingne mit ihrem Buch
Foto: Dave Benett
Doch das brauchen die Charaktere auch nicht. Sie haben sich damit arrangiert, dass das Leben nicht perfekt ist und sie sich in einem ständigen Kampf mit sich selbst und ihrer Umwelt befinden. Interessant ist hierbei vor allem, dass der Leser nur eine Gedankenwelt kennt, nämlich die von Ich-Erzähler Red. Es ist dementsprechend schwer, nachzuvollziehen, was in den Köpfen der anderen Figuren vorgeht, da man immer nur so viel weiß wie Red. Die zentralen Charaktere sind die vier Bandmitglieder, ihre Familien, ihr Lehrer Mr. Smith und ein paar weitere Schulkameraden. Mir hat es wirklich gut gefallen, dass ich praktisch in Reds Kopf steckte, da ich mich ein bisschen wie ein Teil der Geschichte gefühlt habe. Anstelle Einblicke in die Gedankenwelten der anderen Charaktere zu haben, lernt man sie, wie im echten Leben auch, durch ihre Taten und ihre Worte kennen und muss sie daran definieren. Zwar erfährt der Leser so nur wenig über die einzelnen Personen, das trägt jedoch dazu bei, dass sich die Geschichte real anfühlt. Ich mochte zum Beispiel kaum eine der Figuren, die meisten waren mir sogar unsympathisch - besonders Rose und ihre affektierte Art ("Ich pflege zwar mein Armes-reiches-Mädchen-Image, aber wir wissen beide, dass mein Leben sehr bequem ist.") Obwohl Red in sie verliebt ist, hatte ich zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, dass mir der Roman eine bestimmte Meinung aufzwingen wollte, wie ich es leider in letzter Zeit bei vielen Büchern hatte (beispielsweise bei "Krähenmutter" von Catherine Shepherd). Ich habe "Mirror Mirror" trotz der unsympathischen Charaktere gerne gelesen, weil es leicht ist, sich mit ihrer Denkweise zu identifizieren. Cara Delevingne und Rowan Coleman schaffen es sehr gut, die Leere und Verlorenheit in Worte zu fassen, die man - vor allem als Teenager - empfindet, wenn man hilflos ist und nicht weiter weiß.

"Das echte Ich, ohne Filter."

Ein flapsiger Chatverlauf im Buch
Foto: Katrin Mertens
Nicht nur durch die Problemen und Einsamkeit werden sehr realistisch dargestellt. Am authentischsten ist der Schreibstil. Das Buch liest sich, als sei es ein sehr ausführliches Gedächtnisprotokoll von Red. Im Gegensatz zu fast allen Jugendmedien hat hier tatsächlich ein junger Autor für junge Leser geschrieben. Auch Übersetzerin Anita Nirschl verzichtet auf "Jugendsprache", die entgegen des Glaubens der Generation 35+, definitiv nicht in den heranwachsenden Generationen etabliert ist. Stattdessen klingt "Mirror Mirror" wie eine große Unterhaltung ("Und ich dann so, ähm, nö. Und ungefähr alle drei Tage oder so bietet sie mir an, sie schwarz zu färben, aber wieder sage ich nein, ich bin ein Rotschopf, okay, kommt damit klar.") Schachtelsätze, Umgangssprache sowie "und" am Satzanfang, findet man normalerweise eher selten in Romanen - auch Schimpfwörter, exzessive Wortwiederholungen und ähnliches nicht. Hier ging es den Autorinnen offenkundig nicht darum, "schön" zu schreiben, sondern eine gewisse Mentalität einzufangen und das ist ihnen, meiner Meinung nach, gelungen. Allerdings ist es so nicht immer ganz einfach, einem Dialog zwischen mehreren Charakteren zu folgen, weil teilweise erst am Ende langer Wortbeiträge steht, wer gesprochen hat. Einige Seiten enthalten zudem Liedtexte der Band, Chatverläufe oder Instagram-Posts. Diese Illustrationen wären nicht unbedingt nötig gewesen, da sie die Geschichte nicht voranbringen, aber sie verdeutlichen die wichtige Rolle von sozialen Medien im Leben der Teenager. Auch im Text spiegelt sich das aktive Online-Leben wider ("1385 Follower auf Twitter und ich habe einen blauen Haken beantragt, ich will unbedingt einen blauen Haken. Ein blauer Haken bedeutet, wir sind echt.")  - genauso sowie der damit verbundene Drang nach Aufmerksamkeit und Idealismus ("Denn ich mag mein Ich in dieser Welt, das Ich, das man in den sozialen Medien sieht. Dieses Ich ist perfekt."). 
Ob jemand die Texte vertont hat?
Foto: Katrin Mertens
Perfekt war für mich der unglaublich clevere Twist gegen Ende des Romans. Eigentlich ist es keine richtige Wendung. Dem Leser wird, wie oben bereits geschildert, nicht wirklich vorgegeben, was er denken soll. Allerdings haben Delevingne und Coleman meine Gedanken - und vermutlich die eines Großteils der Leser - in eine bestimmte Richtung gelenkt. Irgendwann stellt sich heraus, dass es der falsche Weg war. Das wirklich Coole daran ist, dass sie nicht gelogen oder getrickst haben, um mich so denken zu lassen. Ich bin nicht einmal auf die Idee gekommen, dass es überhaupt eine andere Möglichkeit gegeben hätte. Mir ist erst nach dem Twist bewusst geworden, wie gradlinig und "in der Box" ich unbewusst geurteilt habe. Aus diesem Grund war diese Wendung einfach genial. Auch weil sie die Handlung in keiner Weise beeinflusst und doch so wichtig ist. Lediglich die Tatsache, dass die neue Erkenntnis danach auf fast jeder Seite erwähnt und sehr platt getreten wird, hat mich gestört. Das Ende des Romans hat mich auch enttäuscht. Ich habe sehr früh geahnt, was Naomi geschehen ist und wer dafür verantwortlich ist. Damit habe ich letztendlich Recht behalten. Eigentlich kam dafür nur eine einzige Person infrage und zu keiner Zeit konnte mir das Buch glaubhaft einen anderen Verdächtigen schmackhaft machen. In Hinsicht von Spannung und "Mitrate-Potential" haben die Autorinnen also definitiv noch Nachholbedarf! Überhaupt passt die Krimi-ähnliche Handlung nur bedingt zum Rest der Geschichte. Naomi und ihre Verletzungen wandern immer weiter in den Hintergrund, bis sie auf den letzten Seiten plötzlich wieder relevant werden. Die Auflösung wirkt dann gehetzt und nicht wirklich nachvollziehbar, da viele Fragen offen bleiben. Die Probleme der Charaktere alleine bieten schon viel Stoff, daher wäre es denkbar gewesen, die Kriminalhandlung ganz wegzulassen, denn so wurde ihr das Buch leider nicht gerecht.

Fazit

"Mirror Mirror" ist einer der wenigen guten Romane, die ich in diesem Jahr gelesen habe. Cara Delevingne und Rowan Coleman haben eine interessante Geschichte geschaffen, die ganz ohne übernatürliche Phänomene und strahlende Helden auskommt. Ich-Erzähler, Gegenwartsform und Umgangssprache tragen dazu bei, dass sich die Handlung sehr authentisch anfühlt, als würde der Leser die Charaktere belauschen. Mit Red gibt es einen Protagonisten, dessen Gedanken aufschlussreich sind und dennoch viel Raum zur Interpretation lassen. Dadurch hat "Mirror Mirror" einen der cleversten Twists, die ich seit Langem in einem Buch gelesen habe. Besonders, da sich durch die Offenbarung nichts an der Handlung geändert hat, ich aber trotzdem noch einmal alles Gelesene überdacht habe. Lediglich der Kernpunkt der Geschichte, Naomis Verschwinden, ist unrund, da sich zu wenig darauf konzentriert wird. Obwohl die Auflösung praktisch zu Beginn schon feststeht, da es keine wirklichen Alternativen gibt, ist das Finale letztendlich unlogisch und überhastet. Der Schwerpunkt des Romans ist somit eigentlich eher der Selbstfindungsprozess der Protagonisten und der wird richtig super dargestellt!


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