Dienstag, 26. Dezember 2017

Tatort: Der wüste Gobi - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Gotthilf Bigamiluschvatokovtschvili (Jürgen Vogel), der von allen nur "Gobi" genannt wird, sitzt seit mehreren Jahren in der Psychiatrie, nachdem er drei Frauen erwürgt hat. Als sich die Gelegenheit bietet, flüchtet er aus der Anstalt und bringt dabei eine Krankenschwester um. Die Weimarer Kommissare Kira Dorn (Nora Tschirner) und Lessing (Christian Ulmen) setzen alles daran, den Gewalttäter wieder dingfest zu machen. Bei ihren Ermittlungen trifft das Paar auf allerhand schräge Vögel. Darunter Gobis Verlobte Mimi Kalkbrenner (Jeanette Hain), die nur von ihm selbstgestrickte Wollunterwäsche trägt und sein behandelnder Arzt, Professor Elmar Eisler (Ernst Stötzner), der in seinem Garten auf Tiere schießt und sie anschließend ausstopft. Dann überschlagen sich die Ereignisse, als auch Eislers bettlägerige Ehefrau erwürgt wird.

"Soko Bigadingsbums"

Diese motivierten Blicke!
MDR/Wiedemann&Berg/Anke Neugebau
Es gibt drei "Tatort"-Teams, bei denen sich die Zuschauer nicht bemühen müssen, nach Logik und einer plausiblen Handlung zu suchen. Dazu gehört neben Münster und Wiesbaden auch Weimar. Alleine der Titel dieses "Tatorts" deutet schon darauf hin, dass er sich nicht besonders ernst nimmt. Die vorherigen Fälle des Teams zeichneten sich vor allem durch herrlich trockenen Humor, eine große Portion Selbstironie und wenig bis keinen Scham der Hauptdarsteller aus. In "Der wüste Gobi" sehen sich Dorn und ihr Ehemann (Dorn: "Der Klugscheißer der Kompanie.") jedoch einigem Klamauk à la Münster gegenüber. Der komplizierte Name des Hauptverdächtigen (Daher heißt die Soko auch nur "Bigadingsbums".), den Lessing Dutzende Male wiederholt, damit die Zuschauer die Aussprache nicht vergessen, ist dabei nur der Anfang. Einige der Running Gags sind reichlich albern, und werden so lange aufgewärmt, bis garantiert niemand mehr darüber lachen kann. Ein Beispiel ist die "Tradition" des Reviers immer gemeinschaftlich in den Kaffeesatz ihrer LKA-Kollegen zu spucken, ein anderes die Wollunterwäsche in Regenbogenfarben, die Gobi für seine Affären strickt (Gobi: "Du bist das Licht in der Kanalisation meines Lebens."). Um herauszufinden, welche Krankenschwestern er beglückt hat, bemüht sich Kommissar Lessing, den Damen unauffällig unter die Kittel zu gucken, wenn sie sich bücken. Er hat Glück: Keine von ihnen trägt mehr als Unterwäsche unter ihrer kurzen Arbeitskleidung. Während ihre Umgebung langsam aber sicher in den Klamauk und die Abstrusität abrutscht, bleiben Lessing und Dorn weiterhin angenehm ruhig und geerdet. Ich mag viele Filme von Nora Tschirner und Christian Ulmen nicht, aber als Duo im "Tatort" finde ich sie spitze. Parallel zum Fall versuchen die beiden Kommissare ein bisschen Zeit für sich zu haben, allerdings herrschen in ihrem Schlafzimmer wegen einer kaputten Heizung nur etwa 3 Grad. Die beiden lassen sich jedoch nicht aus der Fassung bringen. Mit viel Humor und Kreativität versuchen sie trotz Winterkleidung ein wenig Spaß im Bett zu haben. Noch amüsanter sind nur Tschirners Gesichtsausdrücke. Es ist schwer sie in Worte zu fassen, daher habe ich die besten schnell abfotografiert:

"An dem Text können wir aber noch feilen!"

Lessing (l.) wird von seiner Frau verarztet
Foto: MDR/Wiedemann&Berg/Anke Neugebau
Das sagt Lessing nach einer wenig vertrauenerweckenden Lautsprecherdurchsage an die Bürger Weimars ("Es ist ein Wahnsinniger aus der psychiatrischen Klinik ausgebrochen. Bitte bleiben Sie in Ihren Häusern und öffnen Sie niemandem. Es besteht kein Grund zur Panik."). Doch die Zeile kann auch aufs Drehbuch bezogen werden. Vor knapp zwei Wochen brachte ein Retortenkind im Berliner "Tatort: Dein Name sei Harbinger" seine ihm bis dato unbekannten Geschwister um. Das sehr konstruierte Motiv: Es war ihm wichtig, das einzige Kind seiner Mütter zu sein. Die Weimar-Autoren Andreas Pflüger und Murmel Clausen übertreffen das locker. Um den Täter nicht zu spoilern nur so viel: Eine Buchstabensuppe spielt eine zentrale Rolle. Vor der Kamera klappt auch nicht alles. In fast jedem Fernsehfilm gibt es Logiklöcher, bei denen die meisten allerdings nur den Zuschauern auffallen, die sich tiefer in die Handlung hineindenken. "Der wüste Gobi" leistet sich jedoch einige Fehler, die nicht so leicht zu übersehen sind. Ich habe mich besonders über einen amüsiert: Die beiden Kommissare steigen aus ihrem Auto aus und reden mit zwei Polizisten. Plötzlich schießt ein Wagen aus der Auffahrt des observierten Hauses. Lessing rennt zum Fahrzeug zurück und fährt hinterher. Es wird nicht gezeigt, dass Kira einsteigt und der Sitz neben ihrem Mann ist beim Losfahren eindeutig leer. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd unterhalten sich die beiden jedoch und am Schluss steigen Dorn und Lessing gemeinsam aus dem Auto. Dieser Anschlussfehler ist nicht der einzige. Im Garten von Elmar Eisler tritt der Kommissar in eine Tierfalle und blutet. Die restliche Folge über ist von einer Beinverletzung nichts mehr zu sehen. Alles in allem wirkt der Krimi sehr zusammengeschustert. Das hat nichts mit der abstrusen Handlung zu tun. Auch die hätte stringent und in sich plausibel erzählt werden können.
Einer verrückter als der andere: Mimi und Gobi
Foto: MDR/Wiedemann&Berg/Anke Neugebau
Wie bereits angedeutet, sind die Kommissare auch noch in ihrem fünften Fall erfrischend witzig ohne sich zu sehr in den Vordergrund zu spielen. Deutlich aufdringlicher sind die drei zentralen Episodencharaktere: Der flüchtige Gobi, seine Verlobte Mimi und Professor Eisler. Sie waren mir zu überspitzt und unrealistisch, da sie in ihrer ganzen Art nicht wie echte Menschen wirken. Deshalb konnte ich mich nicht für sie oder ihr Schicksal begeistern. Die schauspielerische Leistung von Jürgen Vogel, Jeanette Hain und Ernst Stötzner ist jedoch nicht abzustreiten. Jede der drei Figuren ist auf eine andere Art dem Wahnsinn verfallen. Ihre unterschiedliche Selbstwahrnehmung spiegelt sich in ihrer Art zu sprechen und zu agieren wider. Gobi wirkt beispielsweise sehr kindlich und ungelenk. So sind die Charaktere zwar nicht realistisch, aber in ihrem Zusammenspiel untereinander plausibel. Vogel und Hain bleiben dabei besonders im Gedächtnis. Beide wechseln ständig zwischen zwei Gesichtern - einem bösen mit irrem Blick und einem freundlichen mit unschuldiger, naiver Miene. Ihre relativ eindimensionalen Figuren wirken so deutlich vielschichtiger (Prof. Eisler: "Wenn das keine dissoziative Persönlichkeitsstörung gewesen ist, na dann weiß ich auch nicht!").

Fazit

"Der wüste Gobi" kann nicht an die Qualität der vorherigen Fälle mit Dorn und Lessing anschließen. Die Handlung ist genauso abstrus wie zuvor, allerdings wirken die Witze erzwungen und deutlich flacher. Die Kommissare sind jedoch weiterhin klasse. Sie haben sichtlich Spaß, arbeiten perfekt zusammen und ihr Humor ist geerdeter als der Rest des Drehbuchs. Die anderen Charaktere sind überzogen und klamaukig, die guten Darsteller holen jedoch einiges wieder raus. Von den Anschluss- und Drehbuchfehlern können sie allerdings nicht ablenken, wodurch der Krimi ein wenig schludrig wirkt. Alles in allem ist der "Tatort" dennoch unterhaltend, wenn auch nicht mehr so herausragend wie die bisherigen aus Weimar.


Der erste Fall des neuen Jahres heißt "Mord Ex Machina" und kommt aus Saarbrücken. Kommissar Jens Stellbrink (Devid Striesow) und seine Kollegin Lisa Marx (Elisabeth Brück) müssen den Tod eines Justiziars untersuchen. Er ist mit seinem selbstfahrenden Auto von einem Parkdeck gestürzt. War es ein Unfall, Selbstmord oder Mord?

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