Dienstag, 7. November 2017

Scythe - Die Hüter des Todes (Neal Shusterman) - Rezension

"Scythe – Die Hüter des Todes" ist der Auftakt von Neal Shustermans neuester Trilogie. Das Buch ist im September im Fischer Verlag erschienen und umfasst 528 Seiten. 

Citra und Rowan leben in einer perfekten Welt: Es gibt keinen Hunger, keine Kriege, keine Krisen und vor allem keinen Tod. Die Menschen leben ewig, können sich sogar verjüngen lassen. Sollten sie sterben, werden sie mithilfe fortschrittlichster Technologie in "Revival Zentren" zurückgeholt. Doch die Population muss trotzdem in einem gewissen Rahmen gehalten werden, um eine Überbevölkerung zu verhindern. Dafür sind die Scythe zuständig, die als offizielle Hüter des Todes entscheiden, wer lebt und wer stirbt. Citra und Rowan werden unfreiwillig für die Lehre auserwählt und müssen sich nun der Frage stellen, ob sie Menschen töten können. Zu Beginn schweißt sie ihr gemeinsames Schicksal noch zusammen, doch schon bald stehen die beiden Lehrlinge auf unterschiedlichen Seiten. Denn Rowan findet Gefallen an den dunklen Scythe, die die Regeln des Scythetums nur bedingt befolgen.

Mich hat das Buch sofort angesprochen, als ich gelesen habe, worum es geht. Die Idee hörte sich auf Anhieb interessant an. Da es besonders im Bereich der Jugendbücher oft Geschichten gibt, die ähnliche Einfälle haben, war ich unheimlich gespannt, ob sich dieser Roman von der Masse anheben kann. Er kann, zumindest teilweise. 

Auch in einer perfekten Welt existiert der Tod

Ein ziemlich eindrucksvolles Cover
Foto: S. Fischer Verlag
Tatsächlich konnte mich die Grundidee, die sich im Klappentext schon so vielversprechend angehört hat, auch beim Lesen wirklich begeistern. Die Themen Tod und (Un-)Sterblichkeit werden hierbei nämlich interessant und ausführlich behandelt. Der Leser wird dazu gebracht, sich über diese Thematiken selbst Gedanken zu machen. Vor allem die Denkanstöße zu der Diskussion, ob Unsterblichkeit tatsächlich so erstrebenswert ist, fand ich besonders spannend. Denn in "Scythe" wird auch gezeigt, dass es Menschen gibt, die quasi "aufgehört" haben zu leben, denn wofür lebt man, wenn man ohnehin unsterblich ist? Wo ist der Anreiz? Gerade aus diesem Grund ist Shustermans Roman tiefgründiger als manch anderes Jugendbuch, das ich gelesen habe. Insgesamt erschafft der Autor mit dieser Geschichte ein ansprechendes Gedankenspiel, das gut auf die Frage eingeht, was passiert, wenn der Mensch das Altern und den Tod überwunden hat. So durchdachte, wie die Geschichte an diesen Stellen ist, so flach bleibt sie leider hinsichtlich der räumlichen Welt. Die Gesellschaft und wie sie funktioniert, konnte ich mir recht gut vorstellen, da es an vielen Stellen veranschaulicht wird. Es ist eine Utopie, so viel ist schnell klar. Auch das System der Scythe hat der Autor bildhaft und einprägsam vorgestellt. Es ist beispielsweise ziemlich politisch und die Todeshüter kommen regelmäßig zusammen, um über wichtiges und weniger wichtiges zu diskutieren (Ein Beispiel für Anträge, die besprochen werden: "Etwa ob man einen Scythe-Ring an der linken oder rechten Hand tragen oder ob es erlaubt sein sollte, Reklame für kommerzielle Produkte wie Joggingschuhe oder Frühstücksflocken zu machen.") Dieser Aspekt hat mir gut gefallen, da das Scythentum dadurch auch glaubwürdiger erscheint. Dennoch ist die Welt selbst für mich insgesamt einfach zu blass geblieben, weil es wenige Beschreibungen der Umgebung gibt. Auch die Erklärung, wie diese neue tolle Welt entstanden ist und wie der Übergang von der alten zu dieser abgelaufen ist, bleibt eher im Dunkeln. Das ist schade, da mich dieser Punkt wirklich interessiert hat. 
Das Buch nimmt sich insgesamt viel Zeit, um in Fahrt zu kommen. Gerade deshalb fällt die blasse Welt noch mehr auf, weil das langsame Tempo sich eigentlich perfekt anbietet, um diese als Ganzes einzuführen. Dafür lernt der Leser in dieser Zeit vor allem die Charaktere und Konflikte gut kennen, was mir wiederum sehr positiv aufgefallen ist. Der Autor gibt den Figuren eine glaubwürdige Zeitspanne, um sich zu entwickeln. So dauert das Training der Lehrlinge mehrere Monate und der Leser kann ihren Weg gut verfolgen. Daher ist ihre Entwicklung nachvollziehbar und erscheint glaubwürdiger als in anderen Geschichten, bei denen die Charaktere sich so schnell Fähigkeiten antrainieren, dass es unrealistisch wirkt. Auf der anderen Seite passiert dadurch aber lange Zeit nur wenig wirklich Aufregendes. Mich persönlich hat das nicht gestört, da ich mich über den Fokus auf die Entwicklung der Figuren und den Aufbau des Konflikts gefreut habe. Das ist eine gute Basis, auf der die zwei Folgebände aufbauen können. Zum Ende hin wird es dann auch noch recht spannend und es gibt zwei kleinere Wendungen, die mich überraschen konnten. Besonders den Schluss dieses ersten Teils mochte ich. Einerseits ist er abgeschlossen und hat zudem einen vielversprechenden Ausgang, der sehr spannend weitergehen könnte. 

So nah und doch so fern

Für ein Jugendbuch hat "Scythe" angenehm wenig Klischees und alle, die es gab, wurden nicht überstrapaziert. So gibt es beispielsweise den Klassiker, dass die Protagonisten sich zu Beginn nicht ausstehen können, dann aber doch Gefühle füreinander entwickeln. Doch der Fokus lag vielmehr auf der Entwicklung der Figuren als darauf, was mich persönlich gefreut hat. Dennoch hatte ich gerade im Hinblick auf die Charaktere und die Liebesgeschichte das Problem, dass die Figuren relativ undurchsichtig bleiben. Citra und Rowan bekommen, wie oben bereits erwähnt, zwar recht viel Zeit und der Leser sieht, wie sie sich im Laufe des Romans verändern und an ihren Aufgaben wachsen, aber irgendwie fehlte ihnen dennoch das gewisse Etwas, das sie für mich richtig interessant gemacht hätte. Selbst in emotional belastenden Momenten fühlte sich vor allem Rowan irgendwie zu "weit weg" an. Ich hatte oftmals das Gefühl, die beiden nur von außen zu beobachten, ohne zu wissen, was in ihrem Inneren vorgeht. Daher konnte ich mich insgesamt einfach nicht gut genug in sie hineinversetzen, um mit ihnen richtig mitzufühlen. Anders als bei "Caraval" (hier kommt ihr zu meiner Rezension) haben mich die Protagonisten allerdings nicht pausenlos genervt, sie waren an sich ganz angenehm. Es gab kaum Momente, in denen die Zwei typische Jugendbuchklischees verkörpert haben und das hat mich positiv überrascht. Die Liebesgeschichte zwischen ihnen war definitiv nicht zu aufdringlich. Ich glaube, das Problem lag sogar eher darin, dass sie zu wenig Aufmerksamkeit bekommen hat. Ich konnte überhaupt nicht nachvollziehen, was Citra und Rowan so toll am jeweils anderen finden, abgesehen davon, dass sie das gleiche Schicksal teilen. Über einen großen Zeitraum des Romans leben die Hauptfiguren auch getrennt voneinander. Besonders Citra bekommt Zweifel, was Rowan betrifft. Am Ende sind diese Zweifel aber kaum noch relevant, was für mich ebenfalls etwas plötzlich kam und unglaubwürdig wirkte. Insgesamt gibt die Lovestory der Handlung sowie den Figuren kaum etwas Bedeutendes und ohne sie hätte nichts gefehlt. Das spricht meiner Meinung nach nicht für sie.
Die zwei jugendlichen Scythe-Anwärter bleiben in diesem ersten Band noch etwas undurchsichtig, dafür gibt es andere Charaktere, die durch ihre gut ausgearbeiteten Eigenschaften die Geschichte spannender machen, vor allem Scythe Curie. Sie geht ihrer Aufgabe schon sehr lange und ist eine der ersten Scythe. Von ihr gibt es regelmäßig Tagebucheinträge, die ihre Persönlichkeit gut offenlegen. Darüber hinaus erscheint sie aber auch im restlichen Buch vielschichtiger als die Protagonisten. Ein weiterer interessanter Charakter ist der Antagonist, der ebenfalls ein Scythe ist: Er ist von seinen Taten nicht nur voll und ganz überzeugt, sondern glaubt zudem, dass er das Richtige tut und ein Visionär unter den Scythe ist. Außerdem ist er wirklich böse, kann sich aber gut verstellen. Er hat viele Bewunderer und wird sogar von vielen Menschen geliebt. Auch von ihm erfährt der Leser einiges durch Tagebucheinträge, die seine überhebliche Einstellung noch verdeutlichen ("[...] wie können die Scythe der alten Garde es wagen, mein Verhalten bestimmen zu wollen? Sollen sie sich alle miteinander selbst nachlesen [...]"). Somit wird auch er dem Leser näher gebracht als die Protagonisten. Trotz allem habe ich nach Beenden des Romans das Gefühl, dass Citra und Rowan noch Potenzial haben, um zu spannenden Charakteren zu werden, weshalb ich Band zwei definitiv eine Chance geben werde. Mich hat der Schluss sehr neugierig darauf gemacht, wie die Geschichte von ihnen weitergehen wird.


Fazit

"Scythe – Die Hüter des Todes" hat eine wirklich interessante Grundidee, die mich vor allem durch die tiefgründige Auseinandersetzung mit der Thematik Leben und Tod überzeugen konnte. Leider fehlt es dem Buch an einer soliden Ausarbeitung der Welt, die insgesamt etwas blass bleibt. Positiv ist hingegen, dass die Handlung nicht überstürzt erzählt wird, sondern sowohl die Charakterentwicklung als auch der Konflikt genug Zeit bekommen, um gut nachvollziehbar zu sein. Die Geschichte sticht insgesamt aus der Masse an Jugendbüchern heraus, nicht nur durch die Tiefgründigkeit, sondern auch durch angenehm wenig Klischees. Die Protagonisten konnten mich leider nicht komplett mitreißen, weshalb ich hoffe, dass sie im Folgeband mehr von ihren Persönlichkeiten zeigen können.


Unsere Rezension zum zweiten Teil findet ihr hier.

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