Sonntag, 5. November 2017

Tatort: Der Fall Holdt - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler) feiert abends ausgelassen in einem Club. Da ihr die Schlange vor der Frauentoilette zu lang ist, pinkelt die Hannoveraner Kommissarin draußen auf die Straße, dabei wird sie von drei Männern verspottet und gefilmt. Als Lindholm die Gaffer angeht, verprügeln sie sie. Am nächsten Morgen wird die lädierte Ermittlerin in ein Haus mitten im Wald gerufen. Bewohnerin Julia Holdt (Annika Martens) wurde auf dem Weg zu ihrem Reitstall gekidnappt. Ihr Mann Frank (Aljoscha Stadelmann) wollte auf Geheiß der Entführer nicht die Polizei einschalten, doch sein Schwiegervater Christian Rebenow (Ernst Stötzner) hat es dennoch getan. Lindholm hat schnell den Verdacht, dass Frank selbst hinter der Tat steckt und sich so seiner Ehefrau entledigen und das Lösegeld einstecken wollte. Ihre Kollegin Frauke Schäfer (Susanne Bormann) ist anderer Ansicht, doch Charlotte handelt nicht mehr rational.

Bitte alle Aufmerksamkeit auf Lindholm!

Beide blond mit Schal: Fast Klone!
Foto: NDR
Gute Nachricht für alle Krimi-Konservativen! Nach den Experimenten der letzten vier Wochen - dem verkappten Porno aus München, der historischen Neuerzählung aus Stuttgart, der seltsamen Psycho-Inszenierung aus Bremen und dem Horrorfilm aus Frankfurt kommt nun endlich wieder ein solider Krimifall. Jedenfalls fast, denn ähnlich der Stuttgarter RAF-Geschichte, hat auch dieser "Tatort" ein reales Vorbild: Den Mordfall Maria Bögerl. Die Bankiersgattin wurde 2010 aus ihrem Haus entführt und sollte nach einer Lösegeldzahlung in Höhe von 300.000 Euro freigelassen werden. Doch die Übergabe scheiterte und nach drei Wochen wurde ihre Leiche gefunden. Mehr werde ich nicht verraten, da die Handlung von "Der Fall Holdt" genauso verläuft wie die Ermittlungen bei der realen Vorlage. Allerdings ist es auch nicht wirklich notwendig, sich darauf zu konzentrieren, denn im Mittelpunkt steht ganz klar Charlotte Lindholm. Sie ist von den Vorkommnissen ihrer Partynacht noch körperlich und geistig angeschlagen, was ich als Rahmenhandlung wirklich gut finde. Allerdings suhlt sich Drehbuchautor Jan Braren dermaßen im Schicksal der Kommissarin, dass man sie den ganzen Film über einfach nur schütteln möchte. Denn sie schläft ständig ein, gefühlt schaut man Lindholm insgesamt 10 Minuten nur beim Nickerchen machen zu - sogar auf dem Seitenstreifen der Autobahn! Außerdem kommandiert sie alles und jeden herum, trägt aber selbst kaum zu den Ermittlungen bei. Was mich am meisten geärgert hat: Sie steht nicht einmal für ihre Fehler gerade. Als sie den Mann der Toten körperlich angreift, bittet sie ihre neue Kollegin Schäfer darum, den Vorfall für sich zu behalten. "Ich habe kein Problem damit, hier die zweite Geige zu spielen, aber ich werde nicht länger zusehen, wie diese Frau die Ermittlungen gegen die Wand fährt. Ich muss hier mal die Notbremse ziehen. (...) Das Ganze gleich mittlerweile nicht mehr einer kriminalistischen Untersuchung, sondern einem persönlichen Racheakt", eröffnet die junge Ermittlerin später und hat damit völlig Recht. Dennoch wird Lindholm konsequent als armes, übermüdetes Opfer dargestellt und Schäfer als die junge Gefahr, die ihr den Job streitig machen will und auf der Toilette über die Ältere lästert ("Ich habe schon überlegt, ob die ein Alkoholproblem hat!"). Scheinbar soll der Zuschauer trotzdem das Gefühl haben, dass die engagierte Kollegin Charlotte in jungen Jahren darstellt. Zu diesem Zweck werden beide gleich eingekleidet und wem die Parallele noch immer nicht auffällt, wird praktisch mit der Nase darauf gestoßen, als Schäfer bemerkt: "Schöne Bluse..."

Fall? Welcher Fall?

Eltern & Ehemann (M.) sorgen sich um die Vermisste
Foto: NDR/Marion von der Mehden
In dieser Lindholm-inszeniert-sich-selbst-Show bleibt nur wenig Platz für den Fall. Viel erfährt der Krimigucker sowieso nicht darüber, da die Ergebnisse mehr zufällig in den Raum geschmissen, als tatsächlich ermittelt werden. Vermutlich erhoffen sich die Macher hier, dass ein Großteil der Zuschauer noch die Berichterstattung über den Mord an Maria Bögerl im Gedächtnis hat. Doch es kommt nicht nur der Kriminalfall zu kurz, auch die Charaktere kommen in der One-Woman-Show kaum unter. Bis auf Frank Holdt, der als Lindholms Boxsack herhalten muss und an dem sie ihren persönlichen Frust auslässt, lernt der Zuschauer kaum eine Figur wirklich kennen. Da wäre beispielsweise Julia Holdts Vater, der sich sehr auffällig verhält und den Verdacht auf seinen Schwiegersohn lenken möchte. Er wird genauso wenig unter die Lupe genommen wie seine Frau, sein Enkel, von dem der Zuschauer erst spät überhaupt erfährt, der neugierige Nachbar oder die Affäre der Vermissten. All diese Personen sind nur Statisten in einem Fall, der sich nur um Lindholm dreht. Die einzigen beiden anderen Charaktere von Bedeutung, Frank Holdt und Frauke Schäfer, sind bloß dafür da, sich von der aufbrausenden Kommissarin fertig machen oder sie noch mehr als Opfer dastehen zu lassen. Traurig, wenn man bedenkt, dass diesem Fall ein realer Mord zugrunde liegt.

Suri ist der Anti-Lindholm: Nett und Fröhlich
Foto: Screenshot
Während die Menschen alle hinter Lindholm verschwinden, gibt es dennoch einen kleinen Break-out-Star, einer der wenigen Lichtblicke in diesem langweiligen und nervigen Krimi: Hund Suri. Er gehört den Holdts und steht zu Beginn der Folge mehr im Fokus als das spätere Mordopfer und ihr Mann. Vielleicht wollte Regisseurin Anne Zohra Berrached den Zuschauer mit niedlichen Hundetricks und -küsschen noch ein bisschen unterhalten, bevor er in die depressive Geschichte um Lindholm gezogen wird. Natürlich wird schnell klar, dass dieser glückliche Lichtblick nicht von langer Dauer sein kann. Sagen wir es einfach so: Die letzte Szene zwischen Holdt und seinem Suri ist ergreifender als alles andere in diesem "Tatort". Selbst die Mutter der Vermissten bemerkt noch in ihrer Panik: "Wo ist denn Suri?" Man muss halt Prioritäten setzen!

Fazit

"Der Fall Holdt" ist zwar mal kein Experiment, dafür aber ein langweiliger Standard-Krimi, der bestimmt eine halbe Stunde kürzer wäre, wenn man alle Zickereien und Nickerchen der Kommissarin herausschneiden würde. Anstelle das Thema Gewalt gegen Frauen deutlich anzusprechen, wird Lindholm lieber beim Herumkommandieren ihrer Kollegen oder beim Weinen in den Armen ihres Freundes gezeigt. Dadurch gerät nicht nur der Fall, sondern auch die anderen Charaktere aus dem Fokus. Deshalb ist es schwierig, eine Beziehung oder Meinung zu den einzelnen Personen aufzubauen. Da außer dem Ehemann niemand verdächtigt wird und das Ende durch die reale Vorgabe auch schon bekannt ist, verläuft der Krimi schleppend und spannungslos. Selbst ein niedlicher Hund kann da nichts mehr ausrichten.


In der nächsten Woche ermittelt wieder das Team aus Dresden. Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) müssen in "Auge um Auge" den Mord am Abteilungsleiter einer Versicherungsfirma aufklären, der von einem Scharfschützen getötet wurde. Dabei stoßen sie auf Mobbing und Schikane in dem Unternehmen. 

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