Sonntag, 30. April 2017

Die Nacht gehört den Wölfen (Wulf Dorn) - Rezension

Die Nacht gehört den Wölfen Wulf Dorn - Rezension
„Wenn dich die Wölfe holen, bist du für immer verloren.“ 

"Die Nacht gehört den Wölfen" ist Wulf Dorns zweiter Jugendroman. Er ist im Oktober 2015 im cbt Verlag erschienen und hat 461 Seiten. 

Werden die Wölfe auch Simon holen?
Foto: randomhouse.de

Zum Inhalt 

Der 15-jährige Simon verliert seine Eltern bei einem Autounfall, den er selbst schwer verletzt überlebt. Er muss nicht nur mit dem Verlust fertig werden, er wird zudem von Albträumen heimgesucht, die ihn auch nach dem fünfmonatigen Psychiatrieaufenthalt nicht in Ruhe lassen. Seine Ausgangssituation in den Albträumen ist dabei immer gleich: Er ist wieder an der Unfallstelle und kriecht auf die Landstraße, weg vom brennenden Auto. Und jedes Mal sieht er eine Tür, doch er kann sie nicht öffnen. Er ist sich sicher, dass sie etwas zu bedeuten hat.
Simon kommt bei seiner Tante und seinem älteren Bruder, der beim Unfall nicht dabei war, in Kössingen unter. Doch obwohl sich seine Tante viel Mühe gibt, fühlt er sich wie ein Außenseiter, der nicht mehr dazu gehört. Zu allem Überfluss soll er auch noch auf ein Internat gehen, was ihm endgültig das Gefühl gibt, nicht erwünscht zu sein. Während er immer noch versucht, in sein altes Leben zurückzufinden, wird plötzlich ein Mädchen vermisst und das scheint erst der Anfang der mysteriösen Vorkommnisse zu sein. 

Meine Meinung 

Ich habe bereits zwei Bücher von Dorn gelesen ("Mein böses Herz" und "Kalte Stille"), die mich beide überzeugen konnten. Ich war daher sehr gespannt, wie mir "Die Nacht gehört den Wölfen" gefallen würde.

Der Schreibstil war einer der Hauptgründe, warum mir der Autor nach dem Lesen von "Mein böses Herz" im Gedächtnis geblieben ist. Er beschreibt alles so bildhaft und lebendig, dass man sehr gut in die Atmosphäre und das Setting der Geschichte eintauchen kann. Das ist auch in "Die Nacht gehört den Wölfen" wieder der Fall und ich war von Beginn an gefesselt. 

Die Kapitel sind meist sehr kurz gehalten, was das Weiterlesen sehr einfach macht. Ich habe kaum gemerkt, wie die Seiten dahin geflogen sind und ich habe mir mehrmals gedacht: „Ach, ein Kapitel geht noch.“ Ich hatte das Buch nach anderthalb Tagen durchgelesen.

Die Charaktere

Die Geschichte wird durch den Protagonisten Simon sehr lebendig. Als Leser bekommt man einen großen Einblick in seine Gedankenwelt. An vielen Stellen beschreibt Dorn die Gefühlslage des Protagonisten so lebhaft, dass man den Schmerz, die Verzweiflung oder Panik förmlich spüren kann. 
Dorn behandelt Simons Trauma sehr ausführlich und bindet es über den gesamten Handlungszeitraum mit ein. Dadurch wirkt die Figur sehr real.
Simon kämpft mit den Folgen des Unfalls, zudem hat er auch leicht autistische Züge, die sich dadurch auszeichnen, dass er immer eine bestimmte Ordnung braucht und Veränderungen nur schwer akzeptieren kann. Auch das Gefühl der Angst ist ein ständiger Begleiter von Simon, der sich ihm immer wieder in den Weg stellt. Dorn arbeitet diese Aspekte gut ein und zeigt, wie Simon, aber auch andere Figuren, davon beeinflusst werden.

Er wünschte, er wäre einer der Helden aus den Filmen und Büchern, die er so mochte. [...] Sie waren mutig und entschlossen und sie fürchteten sich vor nichts.“ 
Allgemein sind Dorns Charaktere in diesem Buch gut ausgearbeitet. Jeder bekommt einen glaubhaften Hintergrund, der einen verstehen lässt, von wo der Charakter kommt und was ihn antreibt. Neben Simon sind dabei vor allem sein Bruder Mike und Simons Freundin Caro zu nennen. Caro hat mir besonders gut gefallen, weil oftmals so viel Wahrheit in ihren Worten steckte.

Weißt du, dein größtes Problem ist, dass du dir selbst im Weg stehst. So verpasst man die besten Dinge im Leben - Caro

Stimmung und Spannung 

Ich war auch gespannt, inwieweit das Buch denn nun mit Wölfen zu tun hat, immerhin tauchen sie schon im Titel auf. "Die Nacht gehört den Wölfen" passt als Titel wirklich gut zur Geschichte. Dorn arbeitet über das gesamte Buch hinweg mit der Symbolik des Wolfs und wie er für viele das Böse darstellt. Er wird letztendlich sogar zur Figur in Simons Albträumen. Diese Idee war interessant ausgearbeitet und trägt zur düsteren Stimmung im Buch bei.

Panisch sah er sich um und blickte in die rot glühenden Augen des Wolfs [...] Er fletschte lange rasiermesserscharfe Zähne und stieß ein tiefes Knurren aus. Es klang wie Donnergrollen.

Die Geschichte hat viele Kapitel, die spannend und nervenaufreibend sind. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Kapitel, die einen wieder etwas zur Ruhe kommen lassen, ohne dabei zu langweilig zu werden. Gerade durch die Albträume und Wahnvorstellungen, die einen großen Teil der Geschichte ausmachen, wird dem Buch noch etwas sehr unbehagliches und unheimliches mitgegeben.

Zum Spannungsaufbau kommt es auch durch die Ahnungslosigkeit des Lesers. Es gibt im Laufe der Geschichte nur vereinzelt Stellen, die Andeutungen auf mögliche Auflösungen machen und zu Vermutungen anregen. Ich bin die meiste Zeit der Geschichte im Dunkeln getappt. Da dieses Buch nicht mein erstes von Wulf Dorn gewesen ist, habe ich aber schon mit einer überraschenden Wendung am Schluss gerechnet. 
Die falsche Fährte, die Dorn gelegt hat, wirkte leider so offensichtlich, dass ich direkt sicher war, dass es sich um nichts anderes handeln konnte. Diese Fährte wurde allerdings ziemlich lange verfolgt, was die Spannung in dieser Hinsicht etwas genommen hat. Doch das hat der Schluss wieder wettgemacht. 
Die Auflösung habe ich so überhaupt nicht kommen sehen. Es war eine Wendung, die mich im positiven Sinne geschockt hat. Allerdings konnte ich die neuen Erkenntnisse kaum verarbeiten, weil das Ende nach der Aufklärung etwas gehetzt wirkte. Trotzdem hat die Erklärung zur gesamten Geschichte gepasst, weil es eine sinnvolle Lösung war, die nachvollziehbar war.

Fazit

"Die Nacht gehört den Wölfen" ist ein spannendes Leseerlebnis mit interessanten Charakteren und einer düsteren Atmosphäre. Es ist ein Buch, das man durch den packenden Schreibstil und die kurzen Kapitel nur schwer aus der Hand legen kann. Das Ende hatte eine Wendung, die verblüffend, wenn auch etwas knapp behandelt war. Es wird definitiv nicht mein letztes Buch von Wulf Dorn sein.


Folgt uns auf Facebook, Twitter und Instagram, um weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "Buch" findet ihr hier.



Freitag, 28. April 2017

Tote Mädchen lügen nicht (Serie) - Rezension

Tote Mädchen lügen nicht Serie Rezension Kritik
- Der folgende Text enthält Spoiler -

In jeder Generation gibt es Bücher, die zu einem bestimmten Zeitpunkt plötzlich in aller Munde sind. Entweder man hat sie selbst gelesen oder weiß wenigstens worum es ging. "Tote Mädchen lügen nicht" von Jay Asher ist für mich so ein Buch. Irgendwann in der Mittelstufe haben es alle Mädchen in meinem Umfeld gelesen. Ich auch. Worum es geht ist schnell erklärt: Der High-School-Schüler Clay Jensen findet eines Tages einen Karton vor seiner Haustür. Darin enthalten sind mehrere Kassetten, auf denen seine Mitschülerin Hannah Baker beschreibt, warum sie sich das Leben genommen hat. 13 Kassetten-Seiten mit 13 Gründen für ihren Selbstmord - alle an unterschiedliche Menschen gerichtet.

13 Folgen für 13 Gründe

Weshalb erhält Clay die Kassetten?
Foto: Netflix

Nach jahrelangen Gerüchten um eine mögliche Verfilmung gibt es sie jetzt: Der Streaming-Dienst "Netflix" hat aus "Tote Mädchen lügen nicht" eine 13-teilige Serie geschaffen, bei der sich jede Folge mit einer Kassetten-Seite, also einem Grund für Hannahs (Katherine Langford) Tod, beschäftigt. Die 14. Seite bleibt vorerst leer. Prinzipiell ist diese Aufteilung eine clevere Idee und gibt der Serie eine klare Struktur. Allerdings hatte ich immer wieder das Gefühl, dass die Handlung in einigen Episoden zu sehr in die Länge gezogen wurde. Alle zwölf Personen, die auf den Kassetten erwähnt werden (einer Person sind gleich zwei Seiten gewidmet), deren Angehörige, Hannahs Eltern, deren Klage gegen die Schule.... Es gibt sehr viele Nebenhandlungen, die zum Teil mehr Platz einnehmen als Hannahs Aufnahmen. Da die meisten Charaktere ebenfalls spannende Geschichten zu erzählen haben, ist die Serie, trotz Längen, nicht langweilig. Dennoch geraten Hannahs Kassetten regelmäßig aus dem Fokus - sie alleine bieten nicht genug Inhalt für 50-minütige Episoden. Vielleicht wäre eine kürzere Laufzeit hilfreich gewesen. So jedoch hat die Serie genug Nebenhandlungen aufgebaut und Fragen unbeantwortet gelassen, dass eine zweite Staffel ohne Buchvorlage prinzipiell möglich wäre.  Eine dieser zentralen, offenen Fragen ist: Was hat Jahrbuchfotograf Tyler Down (Devin Druid) mit den Waffen vor, die er in seinem Zimmer hortet? Tatsache ist, dass er, genau wie Hannah, ständigem Mobbing durch Mitschüler ausgesetzt ist. Einige der Teenager haben zwar die Kassetten angehört und erfahren, was ihre gehässigen Worte und schnell verbreiteten Gerüchte bei Hannah angerichtet haben, dennoch setzten sie das Mobbing bei anderen fort. 

Unsympathisch, aber gut

Justin (Brandon Flynn; 4.v.l.) zeigt ein peinliches Foto 
Foto: Beth Dubber/Netflix
Ich habe versucht mich daran zu erinnern, wie mir die Buchvorlage gefallen hat, bevor ich mir die Netflix Serie ansehe. Ich konnte mich nur noch an einen Punkt  erinnern: Irgendwas hat mich an den Figuren gestört. Mittlerweile weiß ich es wieder: Sie waren mir alle furchtbar unsympathisch. Bei Charakteren wie dem Macho und Vergewaltiger Bryce Walker (Justin Prentice) oder Courtney Crimsen (Michele Selene Ang), für die nur ihr eigenes Wohl zählt, ist kaum eine sympatische Regung zu finden. Doch auch mit Figuren, die vermeintlich zu den "Guten" gehören, konnte ich mich nicht anfreunden. Dazu gehört beispielsweise Tony (Christian Navarro), dem Hannah die Kassetten zur Aufbewahrung gibt und der sich um den verzweifelten Clay (Dylan Minnette) kümmert - ohne ihm oder Hannahs Eltern die Wahrheit zu sagen und so aktiv zu helfen. Oder auch Clay selbst, der seine Mitschüler auf der einen Seite für ihre Taten zur Rechenschaft ziehen will, auf der anderen Seite jedoch beispielsweise Tyler und Skye Miller (Sosie Bacon) mit Missachtung und Unfairness begegnet.

Olivia und Hannah Baker im Laden der Familie
Foto: Beth Dubber/Netflix
Zwar waren mir alle Charaktere, mit Ausnahme von Hannahs Eltern, herzlich unsympathisch, dennoch zeigt die Serie anschaulich, dass jeder sowohl gute als auch schlechte Eigenschaften hat. So ist Bryce ein Vergewaltiger, kümmert sich aber um seine Freunde. Alex Stendall (Miles Heizer) hat zwar einen Keil zwischen Hannah und ihre ehemalige Freundin Jessica Davis (Alisha Boe) getrieben, ist letztendlich aber der Erste, der sich dafür ausspricht die Wahrheit ans Licht zu bringen. Diese Zwiespältigkeit der Charaktere ist omnipräsent, was vor allem dem grandiosen Ensemble zu verdanken ist. Die Darsteller brauchen keine Worte, um die Gefühle ihrer Figuren zum Ausdruck zu bringen. Eine Geste, ein Blick reicht und man kann sich in die Situation hineinversetzen. Für Katherine Langford ist "Hannah Baker" die erste große TV-Rolle und hoffentlich nicht ihre letzte. Sie lebt Hannah - von witzig und aufgeschlossen, über verzweifelt und unsicher bis hin zur absoluten Leere. Die einzige noch eindrucksvollere Leistung zeigt Kate Walsh als Hannahs Mutter Olivia Baker. Ihr von Zweifel, Selbstvorwürfen und Trauer zerfurchtes Gesicht allein ist schon tief bewegend. Aber auch ihr Spiel geht ans Herz. Hier möchte ich besonders eine Szene hervorheben - die, in der Olivia ihre Tochter tot auffindet. Sie eilt beinahe völlig ruhig auf Hannah zu, nimmt sie in den Arm und versichert ihr, dass alles gut wird. Diese Ruhe und Liebe, die sie ausstrahlt, lassen sich nicht in Worte fassen. Da ich die Serie in der Originalversion gesehen habe, kann ich nicht beurteilen inwieweit die Synchronisation die Wirkung dieser Szenen beeinflusst.

Fazit

"Tote Mädchen lügen nicht" gehört aufgrund der realistischen Thematik und der vielen verzweigten Nebenhandlungen nicht zu den Netflix Sendungen, die man nebenher beim Essen guckt. Man sollte sich Zeit nehmen die Serie anzuschauen und auf keinen Fall die Mini-Doku "Behind the Reasons" auslassen, in der Schauspieler, Produzenten und Experten auf die Serie und die Themen Suizid und sexuelle Gewalt eingehen. Besonders die grandiosen Schauspieler und die interessanten, komplexen Charaktere machen die Serie sehenswert.


Wenn ihr oder jemand, den ihr kennt, Hilfe benötigt, schaut euch bitte die Seite http://www.13reasonswhy.info an. Hier findet ihr Ansprechpartner, auch deutschsprachige, an die ihr euch wenden könnt. Niemand sollte sich allein fühlen.

Folgt uns auf FacebookTwitter und Instagram, um weitere Rezensionen nicht zu verpassen. Alle bisherigen Posts zum Thema "TV" findet ihr hier.


Der offizielle Trailer: