Sonntag, 12. November 2017

Tatort: Auge um Auge - Rezension

Der Mord zum Sonntag hat Tradition, deshalb sind auch wir mit Rezension und Live-Tweets (@WatchReadTalkdabei.


Heiko Gebhardt (Alexander Schubert), Abteilungsleiter der Versicherungsfirma ALVA wird von einem Scharfschützen in seinem Büro getötet. Schnell merken die Dresdner Kommissarinnen Henni Sieland (Alwara Höfels, Allein gegen die Zeit) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski), dass der Ermordete in seinem Unternehmen nicht sonderlich beliebt war. Besonders sein interner Konkurrent Rainer Ellgast (Arnd Klawitter) profitiert von Gebhardts Tod. Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach, Das Leben danach) versteht sich auf Anhieb gut mit dem Verdächtigen und will, dass die Ermittlerinnen statt ihm die Versicherten unter die Lupe nehmen. Denn waren die erst einmal krank und arbeitsunfähig, hat ALVA alles darangesetzt, keinen Cent zahlen zu müssen. Wie im Fall von Harald Böhlert (Peter Schneider), der nach einem Autounfall an den Rollstuhl gefesselt ist und dessen Firma dadurch zu Grunde geht.


Ernstes Thema, langweilige Umsetzung

Geballte Frauenpower!
Foto: MDR
Nach dem schlechten Hannoveraner "Tatort: Der Fall Holdt" letzte Woche kommt nun zum zweiten Mal in Folge ein grundsolider Kriminalfall. Das Thema Versicherungsbetrug ist durchaus spannend: Auf der einen Seite sind mächtige Konzerne, die immer wieder Schlupflöcher finden, um kranken Menschen nichts zahlen zu müssen. Auf der anderen Seite stehen Verzweifelte, die durch Arbeitsunfähigkeit am Existenzminimum leben. Aber auch Simulanten, die sich mit dem Geld in die Frührente absetzen wollen. Leider wird dieser Kontrast nicht wirklich thematisiert, sondern blitzt nur kurz durch, als Schnabel bei einem Mann, der angeblich durch eine Knieverletzung nicht mehr arbeiten kann, Radlershorts findet. Bis auf ihn und Harald Böhlert lernt der Zuschauer auch sonst keine Geschädigten kennen. Es wird nur zwischendurch kurz angemerkt, dass alle Alibis haben und damit ist das Thema abgehakt, bevor es überhaupt richtig angesprochen wurde. Den Täter werden geübte "Tatort"-Gucker schnell überführt haben, da er dem typischen Krimi-Klischee "Hat-scheinbar-keine-Funktion-im-Fall-wird-aber-trotzdem-öfter-genannt-als-nötig" entspricht. Die Motive des Mörders werden noch schnell am Ende erläutert. Da der Zuschauer bis dahin aber wenig über ihn erfahren hat, ist die traurige Hintergrundgeschichte nicht mehr sonderlich bewegend. 
Sieland und Schnabel sind unterschiedlicher Ansicht
Foto: Screenshot
Deutlich präsenter sind stattdessen die internen Streitigkeiten. Das Grundkonzept des Dresdner "Tatorts" ist ein erzkonservativer Chef mit rassistischen, homophoben und sexistischen Tendenzen, der auf zwei jüngere, weibliche Kollegen trifft, die deutlich weltoffener, technikaffiner und toleranter sind. Zwischen Schnabel und Sieland hat es in den vergangenen Folgen schon einige Male gekracht. In "Auge um Auge" artet das in einen handfesten Streit aus, als Henni den aussortierten Computer ihres Vorgesetzten der jungen Syrerin Alima (Selin Kavak) schenkt. Einerseits finde ich dieses gegensätzliche Denken sehr gut, da es auch die verschiedenen Ansichten in der Bevölkerung, vor allem in Städten wie Dresden, widerspiegelt. Andererseits nervt das ständige hin und her schnell. Das liegt vor allem daran, dass die Drehbuchautoren Ralf Husmann und Peter Probst beide Parteien als nicht voll zurechnungsfähig darstellen. Henni hat Probleme mit ihrem Freund Ole (Franz Hartwig), nachdem die beiden gerade erst wieder zusammengekommen sind und schluchzt plötzlich bei der Arbeit los. Währenddessen wird Schnabel wie immer als lernresistenter Idiot porträtiert, der überfordert ist, sobald es um moderne Themen geht (Kriminaltechniker Ingo Mommsen (Leon Ullrich): "Der schreibt noch SMS - in ganzen Sätzen, mit Kommas." (...) Schnabel: "Was haben sie denn jetzt gegen Kommas? Stattdessen überall Zwinker-Smileys reinfriemeln, das ist dann Fortschritt oder was?"). Kommissarin Gorniak steht die meiste Zeit nur genervt neben den Streithähnen und will nicht wirklich Position beziehen. Vielleicht hat sie es auch schon und der Zuschauer hat das einfach nicht mitbekommen. Denn Karin wird mehrmals unterbrochen und kann eigentlich nur dann frei sprechen, wenn sich Schnabel und Sieland abreagiert haben.

Ingo, die gute Seele des Reviers

Gorniak und Ingo suchen nach digitalen Hinweisen
Foto: MDR/Wiedemann & Berg/Gordon Muehle
Trotz der vielen ernsten und gesellschaftskritischen Töne in diesem Krimi gibt es dennoch eine ordentliche Portion Humor. Da der "Stromberg"-Erfinder am Drehbuch mitgeschrieben hat, sind einige Witze auch eine Spur bissig (Ellgast: "Früher durfte man überall rauchen und man dachte, Schwulsein ist abartig, heute ist es genau umgekehrt."; Gorniak über Schnabel: "Was hast du denn erwartet? Dass er in seiner Freizeit Klamotten für Flüchtlinge sammelt? So wie der rumläuft, ist es eher umgekehrt!"). In den letzten Folgen aus Dresden war Rechtsmediziner Falko Lammert (Peter Trabner) ein Garant für lustige Sprüche. In "Auge um Auge" hat er nur einen sehr kurzen Auftritt - bekam dafür aber auch sein eigenes Mini-Spin-Off "Lammerts Leichen", das online abrufbar ist. Doch mit Kriminaltechniker Ingo Mommsen gibt es einen würdigen Nachfolger. Er war bereits in anderen Folgen dabei, in denen er vor allem durch "Nerd-Fachwissen" und seine nicht ganz so heimliche Schwärmerei für Sieland aufgefallen ist. Diesmal ist seine Rolle deutlich größer angelegt und von mir aus kann das gerne so bleiben! Er ist super witzig und sympathisch. Im Gegensatz zu vielen anderen männlichen Charakteren im Fernsehen drängt er sich seiner Angebeteten nicht auf, nimmt Zurückweisungen kommentarlos hin und unterstützt sie trotzdem so gut er kann - selbst wenn er sich Schnabel in den Weg stellen muss. Die letzten Sekunden dieses "Tatorts" könnten für ihn entweder Hoffnung auf ein Happy End oder doch die "Friendzone" bedeuten. Neben der vielen humorigen Szenen im Drehbuch, gibt es auch unfreiwillige Komik. In einer Szene fahren die Kommissarinnen zu einer Dönerbude, um ein Alibi zu überprüfen. Derselbe Laden war, da bin ich mir sehr sicher, im zweiten Fall des Teams ("König der Gosse") noch ein sehr teures Edelrestaurant, in dem Gorniak und Sieland damals ebenfalls ein Alibi bestätigen mussten.

Fazit

"Auge um Auge" ist ein eher mittelmäßiger "Tatort". Der Kriminalfall ist solide und auch das Thema Versicherungsbetrug wurde noch nicht Dutzendfach durchgekaut. Leider wird es nur sehr oberflächlich behandelt, sodass der Zuschauer wenig Zugang zum Schicksal der Betroffenen findet. Die internen Probleme der Ermittler werden hingegen deutlich ausführlicher besprochen. Die ständigen Streitereien nerven. Dennoch sind die Gegensätzlichkeit der Charaktere und der Grundkern ihrer Diskussion wirklich interessant und prinzipiell gute Alleinstellungsmerkmale des Dresdner Teams. Die witzigen, teils bissigen, Sprüche lockern diesen sonst eher wenig spannenden Krimi deutlich auf. Vor allem Kriminaltechniker Ingo ist eine echte Bereicherung.


Nächste Woche ist das Klamauk-Team aus Münster an der Reihe. In ihrem Fall "Gott ist auch nur ein Mensch" müssen die Kommissare Frank Thiel (Axel Prahl) und Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) herausfinden, wer eine Leiche in eine Kunstinstallation integriert hat. Hilfe bekommen sie dabei wie immer von Rechtsmediziner Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers).

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